Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

Archiv

Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

Archives

On this website you find information about my work as member of parliament (1998 - Oct. 2009)

Curriculum Vitae english Curriculum Vitae français Curriculum Vitae spanish Curriculum Vitae russian Curriculum Vitae chinese

    21.11.2007

    Für die „falsche“ Musik ins KZ

    Aktionskreis „Gesicht zeigen!“ vermittelte Zeitzeugen in Tostedter Realschule


    „Wie Ihr Pop oder Techno habt, hatten wir die Swing-Musik“. Günter Discher drückt auf die Fernbedienung. Er spielt Swing-Musikstücke von 1917 ein, aber auch noch etwas anderes: Nazi-Propaganda aus den 30er Jahren, die Swing als „Negermusik“ und „widerliches Gequäke“ geißelt. Günter Discher ist heute 82 Jahre alt. Mit 17 steckten die Nazis ihn in ein Jugend-KZ, weil er sich für Swing begeisterte.

    Am 21. November erzählte er Schülerinnen und Schülern an der Erich-Kästner-Realschule in Tostedt von seinen Erlebnissen. Der Aktionskreis „Gesicht zeigen!“, den Monika Griefahn vor Jahren ins Leben gerufen hat, hatte diesen Besuch vermittelt. Die Jugendlichen staunten nicht schlecht, dass man eingesperrt werden konnte, weil man Musik hörte, die die Regierung nicht mochte.

    Seine Begeisterung für den Stil, der die Popmusik der 30er Jahre darstellte, konnte Günter Discher nicht verhehlen. E beschrieb mit der Einspielung zahlreicher Lieder, wie der Swing nach Deutschland kam. Er selbst schloss sich damals der Hamburger Swing-Jugend an, denn ihn interessierte nicht, welche „Fehler“ die Nationalsozialisten der Swing-Musik zuschrieben: Sie verdammten die Musik, weil sie häufig von Juden komponiert und von Farbigen gespielt wurde.

    In Hamburg hatte sich die Hitler-Jugend (HJ) beschwert: Denn die Swing-Anhänger gingen nicht zur HJ und zeigten keinen Respekt vor dem Hitler-Gruß. Günter Discher und seine Freunde legten unbeirrt weiter Swing auf. In seinem Ausbildungsbetrieb fühlten sich die Jugendlichen unbeobachtet. Doch jemand denunzierte sie, und so wurde er am 11.11.1942 in der Firma von der Gestapo verhaftet. „Diese Herren hatten kein Benehmen“, erinnert Discher sich. Sie durchsuchten bei ihm zu Hause alles, um verbotene Schallplatten zu finden. Discher hatte sie ausgelagert, sie überstanden den Nationalsozialismus jedoch am Ende nicht.

    Nach schweren Zeiten in einem Hamburger Gefängnis kam er schließlich in das Konzentrationslager Moringen, ein KZ für Jugendliche zwischen zehn und 23 Jahren. Dort musste er in Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik, die in einem Bergwerk geschützt untergebracht war, Granaten für das Regime herstellen, das ihn ins KZ gebracht hatte. Bis 1945 war er mit 18 anderen Mitgliedern der Hamburger Swing-Jugend im Lager, dann wurde es von den Briten befreit.

    Als er - zu Fuß - nach Hause zurückkam, waren all seine Schallplatten zerstört. Er begann seine neue Sammlung mit einer Platte, die er einst einer Beschäftigten in der Firma geschenkt hatte. Sie gab sie ihm zurück - Symbol für den Neuanfang. Heute drückt sich das Hobby Dischers in einer neuen, riesigen Sammlung aus: 25.000 LPs und rund 10.000 CD besitzt der 82-Jährige. Er schaffte den Wiedereinstieg in den Beruf als Programmierer und EDV-Leiter. Mit 82 geht es ihm noch gut, er arbeitet immer noch für den NDR. Nur an seinem Hörgerät muss er häufiger ruckeln, wenn die Schüler ihre Fragen stellen. „70 Jahre Swing-Musik hören hinterlässt eben seine Spuren“, meint er schelmisch.

    Dennoch ist dieses Happy End nur die halbe Geschichte. Discher: „Viele von uns sind in den 60er Jahren an den Folgen des Hungers im KZ gestorben. Außer mir ist von der Hamburger Swing-Jugend keiner mehr da.“