Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    11.01.2007

    Computerspiel-Diskussion in Winsen

    Wie gefährlich sind Gewaltspiele?


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Meine sehr verehrten Damen und Herren,

    ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, um über einen Streitpunkt zu diskutieren, der besonders in den letzten Monaten in Deutschland viele Gegner und Befürworter von Computerspielen aufgebracht hat.

    Ich möchte Ihnen deshalb für Ihr Kommen danken, weil Sie damit zeigen, dass Sie an einer Diskussion, die möglichst fair und offen sein sollte, interessiert sind. Viele Äußerungen, die ich den Medien entnommen habe, waren bisher leider nicht nur meistens falsch, sondern häufig plakativ, voreingenommen und unsachlich. Zudem hatten sich viele derjenigen, die Computerspiele insgesamt verdammen noch nie selbst damit beschäftigt und zumindest einmal eines gespielt. Deswegen halte ich es für gut, dass wir uns heute ruhig mit den Argumenten beider Seiten auseinandersetzen wollen.

    Es geht im Kern um die Frage: Wie gefährlich sind grundsätzlich Gewaltspiele auf dem Computer oder in Laserdrome, Paintball oder Reball-Anlagen, für unsere Gesellschaft?

    Doch bevor wir gleich zu den Gewaltspielen kommen, sollten wir zunächst noch einen Schritt zurück machen und auf Computerspiele allgemein schauen. Denn nur fünf Prozent der Computerspiele sind tatsächlich auch so genannte Gewaltspiele. Die restlichen 95 Prozent das sind Spiele wie Fußball, Autorennen, Ponyhof oder das überaus erfolgreiche Siedler-Spiel.

    Computerspiele gehören längst zu unserer Kultur und erst Recht zu der Kultur von Kindern und Jugendlichen. Aber ab über 18 wenn man die Situation einmal mit einem positiven Blick betrachtet, merkt man, dass Computerspiele sogar wertvolle und für die Arbeitswelt benötigte Fähigkeiten wie Teamfähigkeit, Stressresistenz, Führungsstärke, strategisches Denken oder Konzentrationsfähigkeit fördern können.

    Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten Computerspiele und die ganze Technologie, die daran geknüpft ist, per se auch als Chance begreifen. Wenn wir das nicht tun, sondern in einer Diskussion, bei der es eigentlich nur um einen kleinen Teil der Spiele geht, alles in einen Topf werfen, stigmatisieren wir dadurch eine ganze Branche.

    Diese Computerspielbranche ist aber viel zu kreativ, zu groß und zu wichtig, als dass wir uns das leisten sollten. Der Umsatz liegt allein in Deutschland weit über einer Milliarde Euro und übersteigt damit sogar den Umsatz der Filmindustrie. Während in anderen Ländern weltweit mit viel Unterstützung eifrig produziert und hergestellt wird, müssen sich Computerspielehersteller in Deutschland immer noch gegen ihr schlechtes Image wehren.

    Wie in der Geschichte fast jeden Mediums sind nun besonders gewalttätige und brutale Spiele wieder in die Diskussion gekommen. Nach dem Anschlag ins Emsdetten, bei dem herauskam, dass der Amokläufer auch ein häufiger Spieler von so genannten Ego-Shootern war, fanden unter anderem die Innenminister von Bayern und Niedersachsen atemberaubend schnell genau hierin den Grund für den Amoklauf. Sie kündigten sofort ein Verbot an und taten so, als sei das Problem damit erledigt.

    Ich bin froh, dass viele Bürgerinnen und Bürger diesen einseitigen und populistischen Äußerungen nicht auf den Leim gingen. Eine Umfrage der HAN vom 1. Dezember zeigte es: Über 60 Prozent der Befragten hielten ein Verbot nicht für die Lösung des Problems und erkannten, dass Computerspiele als Sündenbock herhalten müssen.

    Genauso sahen es viele, die wir Ende Dezember zu einer Anhörung in den Bundestag geladen hatten. Bei diesem Gespräch wurde klar, dass die Gründe für Menschen gewalttätig zu sein, so vielfältig sind, dass man wissenschaftlich keinen klaren Zusammenhang zwischen Computerspielen und einer stärkeren Gewaltbereitschaft herleiten kann.

    Ich halte deswegen zwei Fragen für wichtig:

    1. Was können wir tun, um Gewalt unter Kindern und Jugendlichen generell zu verhindern?
    2. Was können wir im Hinblick auf Computerspiele und deren Anteil an Gewalttätigkeiten tun?

    Zur ersten Frage will ich nur einige Stichpunkte nennen, denn es soll ja heute eher um die zweite Frage gehen.

    Ich finde es zum Beispiel unverantwortlich, dass den Schulen immer weniger Schulpsychologen zur Verfügung stehen. In manchen Ländern wie Baden-Württemberg gibt es beispielsweise keinen einzigen. Ebenso fehlt die aufsuchende Sozialführsorge. Der Amokläufer von Emsdetten fiel schon mehrere Jahre lang in seiner Schule und seinem Heimatort auf. Er lief mit langen schwarzen Mänteln durch die Straßen und schoss und experimentierte im Wald mit Waffen und Sprengkörpern. Dafür hat sich lange Zeit niemand interessiert und wir müssen uns jetzt fragen, warum das so ist. Ich glaube kaum, dass es an den grundlegenden psychischen und sozialen Problemen etwas geändert hätte, wenn dieser Schüler keine Computerspiele zur Verfügung gehabt hätte. Hierin sollte sich der Innenminister von Niedersachsen kümmern, anstatt ein Placebo-Verbot vor die tatsächlichen Ursachen zuschieben.

    Doch was können wir im Hinblick auf Computerspiele und deren Anteil an Gewalttätigkeiten tun?

    Die Expertenanhörung im Bundestag hat ergeben, dass die Gesetze und Instrumente, mit denen Kinder und Jugendliche vor Gewaltspielen geschützt werden sollen, im Grunde längst existieren. Das Problem ist allerdings, dass sie nicht oder nicht richtig angewandt werden.

    Die Regelungen in Deutschland sind im Vergleich zu anderen Ländern tatsächlich verhältnismäßig hoch. Bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) werden die Spiele vor dem Erscheinen für die verschiedenen Alterklassen eingestuft und danach erst dementsprechend im Geschäft verkauft.

    Manche - wie zum Beispiel auch das Kriminologische Forschungsinstitut - bemängeln zwar zum Teil berechtigt, dass manche Einstufungen zu lax gemacht werden aber eigentlich liegt das Problem woanders. Einige Medien haben Minderjährige beauftragt, in Geschäften Spiele, die erst ab 18 freigegeben waren zu kaufen. In jedem zweiten Fall hat das geklappt!

    Hier liegt der weitaus gefährlichere Punkt. Wir können uns so viele Gedanken um die Altersfreigaben machen wie wir wollen, wenn diese dann nicht beachtet werden, bringt auch eine Verschärfung gar nichts. Ich bin deswegen der Meinung, dass den Händlern viel klarer werden muss, dass sie mit dem Verkauf solcher Spiele an Minderjährige eine Straftat begehen, die schon jetzt hart bestraft werden kann. Ebenso müssen die Staatsanwalten noch stärker gegen Verstöße vorgehen. Das ist in der Vergangenheit viel zu wenig passiert. 2004 gab es in den alten Bundesländern und Berlin zusammen nur 33 Fälle, die vor Gericht landeten.

    Ich bin außerdem der Meinung, dass Spiele ab 18 Jahren in Geschäften für Minderjährige nicht sichtbar sein sollten. In Videotheken ist das genauso und jeder der alt genug ist, darf in den Bereich gehen, der für Minderjährige gesperrt ist.

    Es ist also einerseits der Vollzug geltenden Rechts, an dem es hier fehlt. Aber nicht nur Verkäuferinnen und Verkäufer müssen ihre Verantwortung noch stärker wahrnehmen. Auch Lehrer, Eltern und Familienangehörige sollten sich stärker ihrer Rolle als Erziehende vergewissern. Wenn sich der Enkel von seiner Großmutter ein Computerspiel zu Weihnachten wünscht, muss sie eben darauf achten, was es für eines ist. Und auch der große Bruder sollte hinterfragen, was er seinen kleinen Geschwistern so alles zeigt.

    Am wichtigsten ist es, dass sich die Eltern mit den Hobbys ihrer Kinder auseinandersetzen. Dazu gehört es aber eben auch, dass man sich dafür interessiert, damit beschäftigt und sich die Computerspiele selbst anschaut. Wenn ich nicht mit meinen Kindern ab und zu zusammen am Computer sitzen würde, könnte ich diese Welt wohl kaum verstehen.

    Lehrerinnen und Lehrer stehen vor einer nicht weniger großen Aufgabe. Sie müssen genauso helfen die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu schulen. Kein Computerspieleverbote kann so wirkungsvoll sein wie erlerntes Verantwortungsbewusstsein im Umgang damit.

    Ich habe einen weiteren Vorschlag in die Debatte um Initiativen gegen Gewaltspiele eingebracht. Wenn wir Computerspiele nur nach negativen Kriterien bewerten, vergessen wir völlig die positiven Seiten. Deswegen plädiere ich für die stärkere Verbreitung von Positivlisten, die Kindern, Eltern oder Lehrern an die Hand gegeben werden und klar benennen, welche Spiele nicht nur ungefährlich sind, sondern sogar förderlich sein können. Genauso sollte es Auszeichnungen für Computerspiele geben, womit wir auch den Herstellern Anreize geben können, gewaltfreie Spiele zu produzieren.

    Im Bereich des Films geschieht das mit Filmförderung oder dem Deutschen Filmpreis schon lange. Und wenn ich daran denke, wofür der Deutsche Film steht - nämlich für Kultur für Komik oder auch Kinderfilm - dann zeigt mir das, dass dies genau das richtige Instrument ist.

    Meine Damen und Herren,
    wir können Einiges tun, damit wir Kinder und Jugendliche besser vor extremer Gewalt schützen. Allerdings müssen wir dafür nicht noch mehr gesetzlichen Änderungen oder sogar Verboten fordern, sondern an den Punkten ansetzen, die ich genannt habe.

    Zu dem von der Stadt verbotenen Reball-Angebot des Shape Sport Clubs in Winsen werden wir in der Diskussion heute Abend sicher noch kommen. Ich möchte nur soviel dazu sagen:

    Laserdrome, Paintball und Reball sind Angebote, für die es in Deutschland zahlreiche sowohl für als auch gegen ein Verbot sprechende Entscheidungen gibt. Ich denke, essollte immer Ziel sein, dass man in einem Streit immer versucht, Kompromisse zu finden. Ich sehe durchaus die unterschiedliche Qualität von solchen Spielen im Gegensatz zu Computerspielen. Bei Reball kämpft man nicht mehr auf einem virtuellen, sondern auf einem realen Spielfeld, in einer realen Umgebung und mit realen Gegnern. Ich halte es für wahrscheinlich, dass dadurch die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit bei den Spielern eher verschwimmen können als bei einem Computerspiel.

    Ob das allerdings Grund genug ist, um in unserer Gesellschaft ein rigoroses Verbot zu erlassen und damit auch ein Stück weit die Freiheitsrechte derjenigen, die volljährig sind und gern so etwas spielen wollen, einzuschränken, weiß ich nicht. Ich hoffe, trotzdem diese Sache nun vor Gericht geht, ist die Chance auf eine gütliche Einigung noch nicht vertan. Ich kann mir durchaus Kompromisse vorstellen und hoffe, dass diese gefunden werden können.

    Vielen Dank