Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    01.03.2008

    Beitrag für die Kulturpolitischen Mitteilungen

    Enquete-Bericht eröffnet kulturpolitisches Neuland


    Nach vierjähriger intensiver Tätigkeit hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages im Dezember 2007 ihren Abschlussbericht vorgelegt – ein wahres Kompendium für die Kulturpolitik. Der Bericht ist eindrucksvoll, und er ist eine dringend notwendige Darstellung des kulturellen Ist-Zustandes in Deutschland. Zuletzt 1975 hatte sich der Deutsche Bundestag in ähnlicher Weise mit der Situation der Kulturschaffenden in Deutschland befasst. Damals wurde auf der Grundlage des abschließenden Künstlerberichtes die bis heute europaweit einmalige Künstlersozialversicherung geschaffen, die ein Segen für so manchen freischaffenden Künstler ist. Auch vor dem Hintergrund des von Bundeskanzler Gerhard Schröder neu geschaffenen Amts eines Kulturstaatsministers ist die rot-grüne Koalition 2002/2003 in einer Enquete-Kommission wesentlichen Fragen zur Rolle und Situation der Kultur in Deutschland sowie der Verantwortung des Bundes für die Kultur nachgegangen. Das politische Fundament für eine Bundeskulturpolitik war gelegt, nun sollte es durch eine bundesweite Erhebung und Gesamtdarstellung untermauert werden.

    Als stellvertretendes Mitglied der Enquete-Kommission habe ich die Arbeit der Kommission beispielsweise im Bereich der Soziokultur sowie der Interkultur und Migrantenkultur mit begleitet. Besonders erfreulich war die häufig fraktionsübergreifende Einigkeit, die bestand, wenn es galt, Mittel und Wege zur Verbesserung der Situation der Kultur und der Künste zu beschreiben. Aus diesem Grund bin ich auch hoffnungsvoll, dass nun möglichst schnell wichtige Empfehlungen umgesetzt werden können.

    Die Frage der Umsetzung betrifft sowohl die Bundes-, als auch die Länderebene und die kommunale Ebene. Jetzt müssen wir uns alle gemeinsam dafür einsetzen, die Erkenntnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission so aufzugreifen, dass sie für Bürgerinnen und Bürger und für die Kulturschaffenden als Verbesserungen ankommen. Um das zu schaffen, helfen uns die kulturpolitisch Interessierten und Aktiven ungemein. Aber wir sollten zum Ziel haben, wirklich jeden mit dem „Kultur-Virus“ zu infizieren.

    Ich bin überzeugt, dass der Abschlussbericht einmalige Chancen bietet. In ihm stecken fundierte Erkenntnisse und Einsichten darüber, dass Kultur als ein gesellschaftlicher Auftrag verstanden werden muss. Kulturpolitik wird in einer neuen Qualität beschrieben, aber auch in einer neuen Verantwortung. Kulturpolitik wird zu einem zentralen politischen Handlungsfeld, das auch ressortübergreifend gedacht werden muss, soll es seine ganze Wirkung entfalten. Zum Beispiel im Ressort Wirtschaft: Immer wieder zeigt sich, welch tolle Werke Filmemacher, Schriftsteller oder andere Künstler hervorbringen, wenn sie gefördert werden. Sie schaffen Arbeitsplätze und sorgen für Umsatz. Es kommt also auch darauf an, bei Wirtschaftspolitikern Unterstützung für die Kultur- und Kreativwirtschaft zu finden. Oder zum Beispiel im Ressort Bildung: Wenn wir es schaffen, mithilfe des Berichtes die Bildungspolitiker von der Bedeutung der kulturellen Bildung zu überzeugen, könnten wir erreichen, dass demnächst eben nicht mehr nur die „Pisa-Fächer“ Mathe und Physik im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, sondern ebenso Musik und Kunst.

    Kultur ist ein öffentliches Gut

    Der Bericht ist geprägt von dem Grundverständnis, dass Kultur ein öffentliches Gut ist. In Bezug auf die öffentliche und private Förderung und Finanzierung von Kunst und Kultur, die wirtschaftliche und soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern, die Kultur- und Kreativwirtschaft, die kulturelle Bildung sowie die Kultur in Europa und im Kontext der Globalisierung wird Kultur stets auch als gesellschaftliches Handlungs- und Verantwortungsfeld beschrieben.

    Daraus folgen Konsequenzen: Beispielsweise wird sehr deutlich, dass wir eine kulturelle Infrastruktur brauchen, um den Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft gerecht zu werden. Hier besteht eine zentrale Verantwortung des Staates, ein Mindestmaß an kultureller Infrastruktur bereit zu stellen. Beteiligt sind daran der Staat auf der einen, der Markt und die Zivilgesellschaft auf der anderen Seite.

    Am Beispiel der Soziokultur zeigt sich deutlich: hier ist vor allem die Zivilgesellschaft angesprochen, kulturell tätig zu werden. Der Staat unterstützt dies, indem er beispielsweise Regelungen im Gemeinnützigkeitsrecht verbessert. Bereits im vergangenen Jahr haben wir eine umfassende Reform der Unterstützung für ehrenamtlich Tätige verabschiedet, wodurch das bürgerschaftliche Engagement in außerordentlicher Weise gestärkt wurde - unter anderem durch die Erhöhung der Übungsleiterpauschale.

    Der Markt hat sicherlich den größten Anteil, wenn es zum Beispiel um private Theater oder das Fernsehen geht. Der Staat wiederum spielt in der kulturellen Pädagogik die größte Rolle: Er sorgt zum Beispiel dafür, dass es öffentliche Bibliotheken gibt, in denen Kinder und Jugendliche lesen und spielen können und - sei es durch Lesungen oder andere Angebote der einzelnen Häuser – an Kultur herangeführt werden.

    Umsetzung der Handlungsempfehlungen

    Vor diesem Hintergrund sind die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission einzeln zu bewerten und im Hinblick auf das Zusammenspiel von Staat, Markt und Gesellschaft zu gewichten. Aus Sicht der SPD besteht insbesondere bei der öffentlichen Künstlerförderung, der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern, im Bereich der kulturellen Bildung und hinsichtlich der europäischen Kulturpolitik konkreter Handlungsbedarf.

    Öffentliche Kulturförderung

    Die schwierige finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte insgesamt und der kommunalen Haushalte im Besonderen haben sich in den vergangenen Jahren vor allem auf den Kulturbereich verheerend ausgewirkt. Die politisch Verantwortlichen haben das kulturelle Angebot aus Kostengründen oftmals stark reduziert. Jugendkunst- und Musikschulen oder auch öffentliche Bibliotheken wurden sogar geschlossen. Diese Schritte sind kurzsichtig, denn kulturelle Bildung ist für die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen von wesentlicher Bedeutung. Deshalb müssen die kulturpolitischen Ziele klar benannt werden. Nur dann kann der Kulturbereich in Haushaltsdebatten die richtigen Argumente liefern, um nicht als unnötig abgetan zu werden. Auch deshalb plädiert die SPD für die Verankerung von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz. Wir wollen auch, dass Kultur zur Pflichtaufgabe von Kommunen wird und damit auch die Möglichkeiten geben, Bibliotheken und Musikschulen zu erhalten und zu fördern. Damit unterlegen wir den Anspruch der Kultur als öffentliches Gut und sorgen dafür, dass wichtige kulturelle Einrichtungen nicht mit einem Federstrich geschlossen werden können.

    Wirtschaftliche und soziale Situation von Künstlern

    Etliche Künstlerinnen und Künstlern können von der Kunst nicht ohne Zusatztätigkeiten leben. Ohne die Künstlersozialversicherung (KSV) wäre die soziale Absicherung selbständiger Künstler in erheblicher Gefahr. Darum ist uns als SPD der Erhalt dieses vorbildlichen Versicherungssystems so wichtig. Es gibt Freiraum für Kreativität. Zudem treten wir für Verbesserungen im Bereich des Urheberrechts ein, denn für das Einkommen aus der Verwertung des geistigen Eigentums bietet es wesentliche Rahmenbedingungen. Ganz oben auf der Agenda steht für uns zudem die Anpassung der Rahmenfrist für den Erwerb von Anspruch auf Arbeitslosengeld I, damit Künstlerinnen und Künstlern im Falle von Arbeitslosigkeit von ihrer Versicherung Gebrauch machen können.

    Kulturelle Bildung

    Die Erkenntnis setzt sich mehr und mehr durch: Kulturelle Bildung trägt in entscheidendem Maße dazu bei, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, das kreative Denken und Handeln zu fördern und damit Menschen in besonderem Maße zu stärken und zur gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen. Die Verantwortung dafür liegt beim Staat. Einer Empfehlung der Enquete-Kommission folgend, wird sich die SPD dafür einsetzen, kulturelle Bildung in die frühkindliche Erziehung einzubeziehen und an den Schulen zu stärken. Kreativ-Spiele müssen Bestandteil der Angebote in Kindergärten sein, Kinder müssen ihre Fantasie benutzen und ihre Ideen austesten können. Freiraum dafür darf nicht von vermeintlich Wichtigerem belegt werden. In den Schulen könnte ein verpflichtendes Abiturfach aus dem Bereich der Musik oder Kunst eingeführt werden, damit die Kreativität der jungen Menschen nicht unter dem Pisa-Druck verkümmert. Zudem müssen öffentliche Bibliotheken als Orte der kulturellen Bildung stärker genutzt und gefördert werden. Die gesetzliche Absicherung der Arbeit von Bibliotheken durch Bibliotheksgesetze in den Ländern wäre ein guter Schritt.

    Europäische Kulturpolitik

    Der Kultur wird für den Fortgang des europäischen Integrationsprozesses immer größere Bedeutung beigemessen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass sich ein europäisches Kulturverständnis entwickelt, ohne dass eigene kulturelle Identität verloren geht. Von den mehr als 40 Handlungsempfehlungen zu diesem Thema halten wir die Festschreibung eines „Kulturbetrages“ im EU-Haushalt in Höhe von einem Prozent, die Weiterentwicklung des Konzepts der Europäischen Kulturhauptstädte, die Kennzeichnung von Stätten europäischer Kultur, die Förderung und kulturelle Aufwertung des europäischen Films und die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Außenkulturpolitik für wesentliche Forderungen, die es umzusetzen gilt. Auch die Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt in zukünftigen WTO- und GATS-Verhandlungen in Bezug auf den Kultur- und Medienbereich ist dringend geboten.

    Auf zu neuen Ufern!

    Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat uns nicht nur ein kulturelles Schatzbuch sondern auch die notwendigen Navigationsinstrumente hinterlassen, die Schätze zu heben und nutzbar zu machen. Nun müssen wir losziehen und den Schatz tatsächlich heben. Es gilt, kulturpolitisches Neuland zu entdecken!