Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    13.04.2008

    Zurückdrängung der Armutsgrenzen

    Rede anlässlich der Generaldebatte der Interparlamentarischen Union in Kapstadt


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Meine sehr verehrten Damen und Herren,

    der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski sagte einmal: „Almosen verderben die Seele des Gebers wie des Nehmers und verfehlen zu alledem ihren Zweck, denn sie verschlimmern die Armut.“

    Dem kann ich nur zustimmen; ist doch die Bekämpfung der weltweiten Armut eine Aufgabe, die alle Lebensbereiche betrifft und bei der Geber und Nehmer auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten müssen. Armutsbekämpfung bedeutet nämlich nicht, Almosen zu verteilen. Moderne Entwicklungspolitik leistet viel mehr. Sie soll den Menschen helfen, produktive und schöpferische Fähigkeiten zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Sie will gerechte Grundlagen schaffen und die Welt nachhaltig zum Besseren verändern.

    Die deutsche Bundesregierung hat sich genau diese Ziele auf die Fahnen geschrieben. Für uns ist Entwicklungspolitik ein ganz wesentlicher Baustein der internationalen Friedenspolitik. Es geht darum, den Menschen eine Chance auf eine gesicherte Existenz frei von Hunger und materieller Not zu geben. Es geht um ihre Chance, eine Ausbildung zu bekommen und Arbeit zu finden. Und es geht auch darum, in einer gesunden Umwelt und in Frieden mit den Nachbarn zu leben.

    In den letzten Jahren hat sich in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit viel bewegt. Seit 1998 ist unter unserer Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit Heidemarie Wieczoreck-Zeul der deutsche Entwicklungshaushalt kontinuierlich angestiegen. In diesem Haushaltsjahr investieren wir mehr als 5 Milliarden Euro in die Entwicklungszusammenarbeit. Das sind rund 670 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Das ist der größte Zuwachs der Mittel seit Bestehen des Ministeriums. Und trotzdem wissen wir alle, dass das weit unter unseren Zielen liegt!

    Entwicklungspolitik ist so wichtig wie nie! Ich bin der Meinung, dass gerade wir in Deutschland und anderen Industrieländern uns kritisch fragen müssen: Was können wir besser machen, um die Millennium Development Goals zu erreichen? Wie können wir Armut noch wirksamer bekämpfen, als es bislang der Fall war?

    Ich finde es skandalös, dass heute immer noch mehr als eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt ohne sanitäre Anlagen und ohne Abwasserversorgung. Das hat nicht Folgen für die Gesundheit der Menschen, sondern auch für die Wirtschaft. Denn den Entwicklungsländern gehen allein aufgrund mangelhafter Wasser- und Sanitärversorgung mehr als 1,2 Milliarden Arbeitstage verloren. Da zahlen sich Investitionen in eine bessere sanitäre Grundversorgung volkswirtschaftlich aus - für jeden eingesetzten Euro gibt es neun Euro zurück.

    Wasser ist Zukunft. Und diese Zukunft wollen wir in und mit anderen Ländern, die zunehmend von Wasserknappheit betroffen sind, unterstützen. Wir haben beispielsweise in Burkina Faso 1000 Brunnenanlagen finanziert, die von den jeweiligen Dorfgemeinschaften verantwortlich betrieben und unterhalten werden. Für Wartungs- und Reparaturarbeiten werden Handwerker vor Ort ausgebildet. Damit sorgen wir nicht nur für eine gesunde Wasserversorgung, sondern geben den Menschen auch eine langfristige Berufsperspektive.

    Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass Energie und Klimaschutz zu den wichtigsten Herausforderungen gehören, denen wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen. Klimaschutz und Entwicklungspolitik sind untrennbar miteinander verknüpft. Wir wissen, dass die Entwicklungsländer bislang kaum zum Klimawandel beigetragen haben, aber schon heute unter den dramatischen Folgen leiden müssen.

    Was wir für uns wollen, das wollen wir auch für andere! Und das ist ja saubere und sichere Energie und die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Die deutsche Bundesregierung sieht sich in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. 2007 wurden bei uns mehr als 7 Prozent der Primärenergie aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Und die Tendenz ist steigend. Besonders erfreulich finde ich, dass erneuerbare Energien zu einem wahren Jobmotor in Deutschland geworden sind. Denn erneuerbare Energien haben uns in Deutschland bereits 236.000 neue Arbeitsplätze beschert. Und ich sage Ihnen, das sind Tätigkeiten, die in Zukunft noch wichtiger werden. Bis 2020 sollen es sogar noch einmal 100.000 Stellen mehr werden. Warum soll das nicht auch in Entwicklungs- und Schwellenländern möglich sein?

    Uns liegt sehr viel daran, den Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern Alternativen aufzuzeigen und nachhaltige Energieträger in den Entwicklungs- und Industrieländern zu fördern. Wir haben deshalb Klimaschutz und die Förderung von erneuerbaren Energien zu einem Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gemacht. In diesem Jahr investieren wir rund 900 Millionen Euro in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern. Wir haben auch das Programm „Nachhaltige Energie für Entwicklung“ ins Leben gerufen. Damit wollen wir nicht nur die Zusammenarbeit mit den Regierungen der Partnerländer im Energiebereich stärken, sondern auch neue Wege der Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft aufzeigen.

    Im Kampf gegen Armut sind erneuerbare Energien vor allem in ländlichen Gebieten wichtig. Die Menschen können mit Hilfe von Sonne, Wasser und Erdwärme Kleinkraftwerke vor Ort betreiben. Sie haben ausreichend Energie, fördern die lokale Wirtschaft und schonen dabei Umwelt und Klima. Und das finde ich wirklich eine tolle Perspektive!

    Es gibt ja bereits eine Reihe von privaten und nichtstaatlichen Projekten, die wir bei der umweltfreundlichen Energienutzung unterstützen. Ich denke beispielsweise an die Firma Grameen Shakti in Bangladesh, die wir zusammen mit der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau fördern. Dieses Non-Profit-Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt hat, in ländlichen Regionen Bangladesh alternative Energien in Form von Home Solar Systems zu fördern, damit auch in entlegenen Teilen des Landes die Menschen Zugang zu sauberer Energie haben. Besonders positiv an dem Projekt finde ich, dass Grameen Shakti Frauen zu Solartechnikerinnen ausbildet und ihnen damit eine berufliche Perspektive gibt. Solche Projekte sind am Puls der Zeit, denn wer es schafft, Menschen im Kampf gegen Armut mit sauberer Energie zu versorgen und ihnen damit gleichzeitig neue Berufschancen aufzeigt, der verdient unsere volle Unterstützung!

    Im Deutschen Bundestag haben wir vor kurzem darüber beraten, wie wir Entwicklungs- und Schwellenländer beim Aufbau von sozialen Sicherungssystemen unterstützen können. Denn auch wenn sich die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen, stark verringert hat, so haben heute immer noch 80 Prozent der Menschen keine Absicherung vor Krankheit, Erwerbslosigkeit und Altersarmut. Nehmen Sie beispielsweise China und Indien. Trotz einer boomenden Wirtschaft leben dort nach wie vor Millionen von Menschen als Wanderarbeiter und Tagelöhner ohne Rechte und Schutz in absoluter Armut.

    Ich bin überzeugt, dass Erfolge bei der Armutsbekämpfung ohne den Aufbau von tragfähigen Sozialsystemen nur kurzfristig sein werden. Deshalb werden wir die soziale Sicherheit zu einem weiteren Hauptthema unserer Entwicklungszusammenarbeit machen. Ich freue mich, dass beispielsweise Sambia in seinem aktuellen nationalen Entwicklungsplan erstmals ein Kapitel zur sozialen Sicherheit aufgenommen hat. Für 2012 plant die sambesische Regierung, Sozialhilfeleistungen mit Hilfe von Social-Cash-Transfers auszudehnen. Diese positiven Ansätze wollen wir fördern, indem wir den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen unterstützen.

    Als Kultur- und Bildungspolitikerin möchte ich es mir nicht nehmen lassen, ihre Aufmerksamkeit auf diese zwei wichtigen Punkte der Armutsbekämpfung zu lenken.

    Mit über 40 Millionen Euro führen wir in diesem Jahr eine große Schulinitiative an den deutschen Auslandsschulen durch. Sie bietet Kindern der Gastländer und anderer Kulturkreise die Möglichkeit, sich mit Deutschland, seiner Kultur und Sprache vertraut zu machen. Viele besuchen später deutsche Universitäten und bleiben Deutschland auch beruflich verbunden. So entstehen zukunftsfähige Netzwerke, auf die sich Außenpolitik, Exportwirtschaft und Kultur stützen können.

    Ich sehe in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ein besonders zukunftsträchtiges Feld der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Hier setzen wir auf die direkte Begegnung von Menschen und fördern den Dialog und den Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen.

    Für uns ist Afrika ein „Kontinent der Chancen“. Allein 2008 fördern wir mit 20 Millionen Euro Projekte und Programme des Kulturaustausches auf unserem Nachbarkontinent. Denn für uns ist klar: Eine wirksame Förderung von Kultur und Bildung stärkt auch die Wirtschaft. Und das gilt nicht nur für den afrikanischen Kontinent, sondern überall auf der Welt!

    Noch in diesem Jahr werden wir zwei neue Goethe-Institute in Daressalam und Luanda eröffnen. Außerdem planen wir Verbindungsbüros und Sprachlernzentren in Ruanda, Nigeria und Burkina Faso. Die Spracharbeit steht für uns im Mittelpunkt der „Aktion Afrika“. Allein 300.000 Euro investieren wir in die Weiterentwicklung von sprachbezogenen Projekten. Und darüber freue ich mich ganz besonders!

    Ich schätze sehr, was wir bislang erreicht haben, um die Armut auf der Welt nachhaltig zu bekämpfen. Aber das reicht noch nicht! Wir, die internationale Gemeinschaft, müssen weiterhin hart arbeiten, um Armut in ALLEN Teilen der Welt nachhaltig zu bekämpfen.

    Ich appelliere auch an die Industrieländer, einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Denn in den so genannten „reichen“ Ländern geht die soziale Schere immer weiter auseinander. Ich denke da vor allem an die Kinder, die zunehmend von Armut, Ausgrenzung und Benachteiligung betroffen sind. In den OECD-Staaten wachsen heute über 45 Millionen Kinder in Familien auf, die mit weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens über die Runden kommen müssen. Und ich finde, das sind höchst gefährliche Entwicklungen, denen wir nur gemeinsam zuleibe rücken können.

    Armut lässt sich nicht auf eine bestimmte Region, ein Land oder einen Kontinent begrenzen. Wir alle müssen zusammen an einer gerechteren Welt arbeiten! Unserer Verantwortung müssen wir ALLE nachkommen, oder um es mit den Worten des Theologen und Philosophen Albert Schweizer zu sagen: „Wer die Ärmsten dieser Welt gesehen hat, fühlt sich reich genug zu helfen.“ Und das sollte doch für uns ALLE gelten!

    Vielen Dank!