Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    27.08.2008

    Rede zu den Ergebnissen der Enquete Kommission Kultur in Deutschland


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Meine sehr geehrten Damen und Herren,
    liebe Kulturfreunde,

    ich freue mich über Ihr Interesse an der Arbeit der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland. Das ist nicht selbstverständlich, denn ich muss zugeben, dass ein über 500 Seiten starker Bericht zunächst nicht gerade einladend wirkt. Aber so viel Papier zeigt in diesem Fall eben auch, dass hier wirklich viel und wie ich finde wertvolle Arbeit geleistet wurde. Die letzte Untersuchung des Deutschen Bundestages zu diesem Thema liegt immerhin mehr als 30 Jahre zurück. Und die vier Jahre, die die Enquete-Kommission gebraucht hat, um diesen neuen Bericht vorzulegen, haben sich gelohnt.

    Wir wollen heute also etwas Licht ins Dunkel bringen und wichtige Erkenntnisse aus diese Bericht herausarbeiten, gerade auch in Hinblick auf die Bereiche, die uns hier in unserer Region beschäftigen. Für die Einführung möchte ich zunächst einige Punkte ansprechen, die wir dann später zusammen mit Wolfgang Schneider vertiefen und weiterführen können.

    Zu Anfang der Arbeit in der Enquete-Kommission gab es viele Zweifel. Kann es wirklich gelingen, die Situation von Kunst und Kultur in Deutschland zu beschreiben, angesichts dieser einzigartigen Dichte und Vielfalt? Dass dies schwierig ist, hat auch die lange Arbeitszeit gezeigt. Dass dies jedoch gleichzeitig überaus erfolgreich gelungen ist, zeigt die Analyse, die ausführlich die Situation von Kultur in Deutschland beschreibt und das zeigen auch die annähernd 500 Handlungsempfehlungen mit ihren ganz konkreten politischen Schlussfolgerungen.

    Als stellvertretendes Mitglied der Enquete-Kommission habe ich die Arbeit der Kommission beispielsweise im Bereich der Soziokultur sowie der Interkultur und Migrantenkultur mit begleitet. Besonders gefreut habe ich mich die die häufig fraktionsübergreifende Einigkeit. Während im Bundestag so manche gute Idee an Parteigrenzen scheitert, so haben wir diese Grenzen hier oft gemeinsam überschritten.

    Die Frage der Umsetzung betrifft nun sowohl die Bundes-, als auch die Länderebene und die kommunale Ebene. Jetzt müssen wir uns alle gemeinsam dafür einsetzen, die Erkenntnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission so aufzugreifen, dass sie für Bürgerinnen und Bürger und für die Kulturschaffenden als Verbesserungen ankommen.

    Ich bin überzeugt, dass der Abschlussbericht dafür einmalige Chancen bietet. In ihm stecken fundierte Erkenntnisse und Einsichten darüber, dass Kultur uns alle etwas angeht und als ein gesellschaftlicher Auftrag verstanden werden muss.

    Das bedeutet auch, dass noch stärker ressortübergreifend gedacht werden muss. Zum Beispiel wenn wir auf den Bereich Wirtschaft schauen: Immer wieder zeigt sich, welch tolle Werke Filmemacher, Schriftsteller oder andere Künstler hervorbringen, wenn sie gefördert werden. Sie schaffen Arbeitsplätze und sorgen für Umsatz. Es kommt also auch darauf an, bei Wirtschaftspolitikern Unterstützung für die Kultur- und Kreativwirtschaft zu finden.

    Oder zum Beispiel im Ressort Bildung: Wenn wir es schaffen, mithilfe des Berichtes die Bildungspolitiker von der Bedeutung der kulturellen Bildung zu überzeugen, könnten wir erreichen, dass demnächst eben nicht mehr nur die „Pisa-Fächer“ Mathe und Physik im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, sondern ebenso Musik und Kunst.

    Der Abschlussbericht ist geprägt von dem Grundverständnis, dass Kultur ein öffentliches Gut ist. Um das jedoch wirklich umzusetzen, brauchen wir eine kulturelle Infrastruktur. Hier sorgt der Staat für die strukturellen Vorraussetzungen, durch die die Zivilgesellschaft dann aktiv werden kann. Am Beispiel der Soziokultur, die ja gerade auch bei uns in der Region wichtige Arbeit leistet, lässt sich das gut verdeutlichen. Der Staat unterstützt die Aktiven in diesem Bereich, indem er beispielsweise Regelungen im Gemeinnützigkeitsrecht verbessert. Bereits im vergangenen Jahr haben wir eine umfassende Reform der Unterstützung für ehrenamtlich Tätige verabschiedet, wodurch das bürgerschaftliche Engagement in außerordentlicher Weise gestärkt wurde - unter anderem durch die Erhöhung der Übungsleiterpauschale.

    Dem Markt kommt sicherlich die bestimmende Bedeutung zu, wenn es zum Beispiel um private Theater oder das Fernsehen geht. Der Staat wiederum spielt in der kulturellen Pädagogik die größte Rolle: Er sorgt zum Beispiel dafür, dass es öffentliche Bibliotheken gibt, in denen Kinder und Jugendliche lesen und spielen können und an Kultur herangeführt werden. Egal ob das durch Lesungen, Filmvorführungen oder andere Angebote der einzelnen Häuser geschieht.

    Die schwierige finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte insgesamt und gerade auch der kommunalen Haushalte haben sich in den vergangenen Jahren vor allem auf den Kulturbereich verheerend ausgewirkt. Oft wurden kulturelle Angebot aus Kostengründen stark reduziert. Jugendkunst- und Musikschulen oder auch öffentliche Bibliotheken wurden sogar geschlossen oder sind bedroht. Auch in Niedersachsen können wir davon ein Lied singen. Diese Schritte sind kurzsichtig, denn kulturelle Bildung ist für die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen von wesentlicher Bedeutung.

    Kreativ-Spiele müssen Bestandteil der Angebote in Kindergärten sein, Kinder müssen ihre Fantasie benutzen und ihre Ideen austesten können. Freiraum dafür darf nicht von vermeintlich Wichtigerem belegt werden. In den Schulen könnte ein verpflichtendes Abiturfach aus dem Bereich der Musik oder Kunst eingeführt werden, damit die Kreativität der jungen Menschen nicht unter dem Pisa-Druck verkümmert.

    Zudem müssen öffentliche Bibliotheken als Orte der kulturellen Bildung stärker genutzt und gefördert werden. Die gesetzliche Absicherung der Arbeit von Bibliotheken durch Bibliotheksgesetze in den Ländern wäre ein guter Schritt, für den ich kämpfe.

    Auch deshalb ist der Bericht der Enquete-Kommission so wichtig, denn mit ihm können kulturpolitische Ziele klar benannt werden. Nur mit guten Argumenten kann der Kulturbereich in Haushaltsdebatten erfolgreich dafür kämpfen, nicht als unnötig abgetan zu werden. Auch deshalb plädiert die SPD für die Verankerung von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz. Wir wollen, dass Kultur zur Pflichtaufgabe von Kommunen wird und damit auch die Möglichkeiten geben, Bibliotheken und Musikschulen zu erhalten und zu fördern.

    Ich will Ihnen drei weitere Handlungsempfehlungen nennen, für die wir besonderes stark eintreten. Etliche Künstlerinnen und Künstlern können von der Kunst nicht ohne Zusatztätigkeiten leben. Ohne die Künstlersozialversicherung (KSV) wäre die soziale Absicherung selbständiger Künstler in erheblicher Gefahr. Darum ist uns erstens der Erhalt dieses vorbildlichen Versicherungssystems so wichtig. Zweitens müssen Verbesserungen im Bereich des Urheberrechts kommen, die ein vernünftiges Einkommen aus der Verwertung des geistigen Eigentums ermöglichen. Und ganz oben auf der Agenda steht für uns drittens zudem die Anpassung der Rahmenfrist für den Erwerb von Anspruch auf Arbeitslosengeld I, damit Künstlerinnen und Künstlern im Falle von Arbeitslosigkeit von ihrer Versicherung Gebrauch machen können.

    Ein weiterer Punkt, der uns hier vor Ort auch wichtig sein sollte, ist Kultur im ländlichen Raum. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland – das sind fast 70 Prozent - lebt außerhalb von Großstädten. Wie auch in unserem Landkreis hat sich eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt entwickelt, die auf jeden Fall zu erhalten und auszubauen ist. Die Enquete-Kommission hat daher dem Bund und den Ländern empfohlen, die besonderen strukturellen Anforderungen der ländlichen Regionen in ihrer Kulturpolitik gezielt zu berücksichtigen.

    Das bedeutet, während man im Gegensatz zu Städten im ländlichen Raum eine geringere Dichte von Theatern, Museen, Galerien, Opernhäusern und anderen kulturellen Einrichtungen findet, wird dieser Mangel durch andere Angebote wie Musikschulen, Laienchöre und Laienorchester, Kultur- und Heimatvereine und andere soziokulturelle Initiativen im ländlichen Raum zumindest teilweise kompensiert.

    Um diese Angebote für möglichst viele Menschen nutzbar zu machen, bedarf es aber guter Voraussetzungen in Bezug auf Erreichbarkeit und Mobilität. Die Absprache zwischen Personenbeförderungsunternehmen und Veranstaltern ist derzeit häufig noch mangelhaft. Die Enquete-Kommission empfiehlt deshalb im Rahmen des Gesetzes über den öffentlichen Nahverkehr zur Verbesserung der Mobilität in ländlichen Regionen durch entsprechende Vorgaben beizutragen. Auch wird empfohlen, die Kulturarbeit stärker zu regionalisieren und darin die kommunalen Akteure einzubeziehen.

    Viele Künstlerinnen und Künstler schätzen nämlich die Vorteile von ländlichen Regionen für ihre Arbeit. Das sind vor allem Ruhe, Freiheit und kostengünstige Arbeitsräume. Aber auf der anderen Seite bedeutet das eben auch schlechtere Möglichkeiten für Präsentationen. In den letzten Jahren sind zwar viele private Initiativen entstanden, wo sich Künstler mit ihren Arbeiten präsentieren können, aber das ist nicht flächendeckend und reicht bei langem nicht aus. Um diesen Mangel entgegenzuwirken wird den Landesvertretungen empfohlen, regelmäßig Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern aus ihren Regionen auszurichten und Veranstaltungen mit ihnen durchzuführen, um die überregionale Wahrnehmung zu befördern.

    Eine weitere Forderung ist, dass Kommunen vermehrt Schulen, Musik- und Jugendkunstschulen als auch kulturell tätige Vereine und Verbände aus der Region bei Kulturveranstaltungen einbinden. Außerdem sollte es mehr regionale Kunstpreise und Wettbewerbe geben und bessere Ausstellungsmöglichkeiten für zeitgenössische Kunst. Damit stärken wir Kultur im ländlichen Raum.

    Doch wir müssen auch über unseren regionalen und selbst nationalen Tellerrand hinaus schauen. Genau das haben wir in der Enquete-Kommission getan. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass sich ein europäisches Kulturverständnis entwickelt, ohne dass eigene kulturelle Identität verloren geht. Von den mehr als 40 Handlungsempfehlungen zu diesem Thema halten wir die Festschreibung eines "Kulturbetrages" im EU-Haushalt in Höhe von einem Prozent, die Weiterentwicklung des Konzepts der Europäischen Kulturhauptstädte, die Kennzeichnung von Stätten europäischer Kultur, die Förderung und kulturelle Aufwertung des europäischen Films und die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Außenkulturpolitik für wesentliche Forderungen, die es umzusetzen gilt. Auch die Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt in zukünftigen WTO- und GATS-Verhandlungen in Bezug auf den Kultur- und Medienbereich ist dringend geboten.

    Meine Damen und Herren,
    Sie sehen, in dem Bericht der Kommission liegt viel Potential, der Kunst und Kultur in Deutschland einen neuen Schub zu verleihen. Doch dieser frische Wind entfacht sich nicht allein dadurch, dass der Bericht vorliegt. Er muss auch beachtet, diskutiert und umgesetzt werden. Ich bin froh, heute mit Ihnen zusammen einen Schritt in diese Richtung zu tun und freue mich jetzt auf das Gespräch und unsere Diskussion.

    Herzlichen Dank