Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    01.09.2008

    Qualitätsmedium statt Nischenexistenz

    Beitrag in Politik und Kultur


    Es geht um entscheidende Weichenstellungen: Der Schlachtlärm war unüberhörbar und es wurde aus allen Rohren geschossen. Vom Krieg „Online gegen Offline“ und dem „Machtkampf um das Internet“ war die Rede. Nachdem sich mit dem Beschluss des „abschließenden Arbeitsentwurfes“ für einen 12. Rundfunkänderungs-Staatsvertrag durch die Ministerpräsidentenkonferenz vom 12. Juni 2008 der verlegerische Trommelwirbel zunächst etwas beruhigt hatte und der Pulverdampf fast verzogen war, soll der Entwurf nun der EU-Kommission vorgelegt und mit den Beteiligten in Anhörungen diskutiert werden. Die Erwartungen an den 12. Rundfunkstaatsvertrag waren enorm: Von einer neuen Medienordnung für die digitale Welt war die Rede und von einem „fairen Interessenausgleich“ zwischen öffentlich-rechtlichem und privaten Rundfunk sowie den Verlagen. Der geschäftsführende hessische Ministerpräsident verstieg sich gar zu der Feststellung, mit der Neufassung des Rundfunkstaatsvertrages werde das „Grundgesetz der öffentlich-rechtlichen Medien“ neu geschrieben. Um es vorwegzunehmen: Während man mit dem Grundgesetz wohl eher unveräußerlichen Grund- und Freiheitsrechte assoziiert, werden dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dem 12. Rundfunkänderungs-Staatsvertrag vor allem Grenzen und Beschränkungen insbesondere im Online-Bereich auferlegt. Die Überschriften in der Berichterstattung sprechen eine deutliche Sprache: „Mediales Mittelalter“, „Bremsen für ARD und ZDF“, „Online-Schranken“ – um nur einige Beispiele zu nennen.

    Die Erwartungen waren zu Recht groß: Mit dem 12. Rundfunkstaatsvertrag werden entscheidende Weichen für den Bestand, die Weiterentwicklungsmöglichkeiten und die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestellt – und zwar sowohl hinsichtlich seiner publizistischen Relevanz in der neuen digitalen Medienwelt, wie auch hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Akzeptanz. Die deutsche und europäische Medienlandschaft befindet sich in einem Prozess tief greifender Veränderungen und die Medienpolitik steht vor großen Herausforderungen. Die Existenz eines öffentlich-rechtlichen Medienangebots ist ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Medienordnung. Seine rechtliche Absicherung wurde maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Danach sind besondere Vorkehrungen zur Verwirklichung und Aufrechterhaltung der Freiheit des Rundfunks notwendig. Insbesondere die freie, individuelle und öffentliche Meinungsbildung muss gewährleistet sein, wobei der Vielfaltsgedanke angemessene Berücksichtigung finden muss. Das Bundesverfassungsgericht hat dies erst Ende letzten Jahres in seinem Urteil zu den Rundfunkgebühren erneut betont.

    Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nimmt in der sich abzeichnenden Wissens- und Informationsgesellschaft noch zu. Dabei darf der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugewiesene Grundversorgungsauftrag keine Mindest- oder Minimalversorgung bedeuten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen Angebote für die gesamte Bevölkerung in allen Programmgenres, die in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags informieren, bereitstellen. Notwendig ist insbesondere ein qualitativ hochwertiges öffentlich-rechtliches Informationsangebot in den Neuen Medien, um die Freiheit und Vielfalt der Meinungen auch dort zu gewährleisten. Die öffentlich-rechtlichen Angebote in allen Medien sind unabhängig, der Objektivität verpflichtet und keinem wirtschaftlichen Interesse unterworfen. Zudem ist es vor dem Hintergrund der notwendigen Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geboten, dass dieser seine Angebote auch in den Neuen Medien zur Verfügung stellt. Ohne solche neuen Angebote im Netz wäre keine ausreichende Reichweite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichergestellt. Doch eine Reichweite, die gerade die jüngeren Bevölkerungsgruppen beinhaltet, braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwingend für seine Legitimation. Vielmehr führt die plattformgerechte Aufbereitung des öffentlich-rechtlichen Programmangebotes in allen Medien langfristig auch zu einer besseren Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

    Diese Vorgaben sind aus meiner Sicht und aus Sicht der Medienpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion nur - um es vorsichtig zu formulieren - bedingt vereinbar mit den Regelungsvorschlägen des 12. Rundfunkänderungs-Staatsvertrages. Umgesetzt werden sollen mit diesem Regelwerk die Vorgaben des EU-Beihilfekompromisses ARD/ZDF vom vergangenen Jahr. Ausgangspunkt war ein Beschwerdeverfahren des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Um eine Verfahrenseinstellung zu erreichen, hat die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 28. Dezember 2006 förmliche Zusagen unterbreitet, woraufhin das Verfahren am 24. April 2007 bei der EU-Kommission unter einigen Bedingungen vorläufig beendet wurde (Kommissionsdrucksache KOM (2007) 1761 endg; die förmlichen Zusagen Deutschlands sind in dem Schreiben ab TZ 322 ff. aufgelistet).

    Der vorliegende Entwurf für einen 12. Rundfunkänderungs-Staatsvertrag geht jedoch viel weiter als es die Kommission gefordert hatte.. Dabei waren es vor allem die unionsgeführten Länder, die von einer Entwurfsfassung zur nächsten immer weiter gehende Beschränkungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und vor allem eine Deckelung hinsichtlich seiner Online-Aktivitäten forderten. Diese verfolgen letztlich das Ziel, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur noch eine „Nischenexistenz“ zuzugestehen.

    Mit den vorgesehenen Regelungen werden die Hörfunk- und Fernsehangebote zwar in dem jetzigen Umfang „gesichert“, zugleich jedoch „eingefroren“. Zugleich werden die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Online-Bereich drastisch gedeckelt: Zwar gibt es inzwischen eine – seitens der SPD-Bundestagsfraktion immer wieder geforderte - originäre Ermächtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Online-Bereich, die aber durch Beschränkungen ins Gegenteil verkehrt wird. Auch gehen die vorgesehenen Regelungen über eine 1:1-Umsetzung der Zusagen gegenüber der EU-Kommission im Rahmen des EU-Beihilfeverfahrens weit hinaus. Die Kernprobleme des Ent-wurfes für einen 12. Rundfunkstaatsvertrag – bezogen auf den Entwurf vom 12.06.2008 - sind aus Sicht der Medienpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion folgende:

    • Eine, vor allem seitens der unionsgeführten Länder geforderte, aus unserer Sicht jedoch verfassungsrechtlich unzulässige Verkürzung des Programmauftrages auf Information und Bildung für den Online-Bereich.
    • Das Festhalten am „Sendungsbezug“ der Online-Ermächtigung. Nach geltendem Recht müssen die Online-Angebote einen „Programmbezug“ haben. Dies hätte jedoch zur Folge, dass beispielsweise unter www.tageschau.de nur dann textbasierte Informationen angeboten werden dürfen, wenn in der eigentlichen Sendung hierzu ein Beitrag 1:1 ausgestrahlt wurde.
    • Die auch aus journalistischer Sicht unhaltbaren und viel zu weitgehenden Vorgaben für die 7-Tage-Frist. So sollen Sendungen sowie sendungsbezogene und nicht-sendungsbezogenen Telemedien - grundsätzlich nur für eine Frist von 7 Tagen abgerufen werden können. Ausnahmen sind nach einem Drei-Stufen-Test möglich.
    • Als Anlage zum Staatsvertrag soll zudem eine so genannte Negativliste verabschiedet werden, in der nochmals weitergehende Beschränkungen vorgesehen sind. So soll die ursprünglich vorgesehene Negativliste ausgeweitet und beispielsweise ergänzt werden um den Ausschluss von Ratgeberportalen.
    • Schließlich wird der Drei-Stufen-Test, der eigentlich den gesellschaftlichen Mehrwert (Public Value) feststellen soll, vollständig entwertet, wenn er letztlich dafür missbraucht wird, die Grundsatzregel der 7-Tage-Publikationsfrist zu brechen. Dadurch wird rechtssystematisch die Gefahr aufgebaut, dass der Drei-Stufen-Test in seiner Bedeutung und Wirkung geschmälert wird, in dem an ihn sachfremde oder überdehnte Rechtsfolgen geknüpft werden. Darüber hinaus ist problematisch, dass dieser Drei-Stufen-Test an eine Mehrheit von „drei Fünfteln der gesetzlichen Mitglieder“ des zuständigen Aufsichtsgremiums für die Aufnahme eines neuen oder veränderten öffentlichen rechtlichen Angebotes gekoppelt ist. Also nicht die Ablehnung, sondern bereits die Aufnahme eines neuen Angebotes bedarf eine derart hohe Mehrheit. Es dürfte zumindest mittelfristig problematisch sein, immer eine 2/3-Mehrheit für ein neues Angebot gewinnen zu müssen, zumal diejenigen, die kein Interesse an neuen Angeboten haben, beispielsweise Verlage, ebenfalls in den Gremien vertreten sind und schon einfach durch Fernbleiben die Aufnahme eines neuen oder veränderten öffentlichen rechtlichen Angebotes verhindern können.

    Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in den Beratungen nachdrücklich für eine 1:1-Umsetzung des EU-Beihilfekompromisses im Rahmen des 12. Rundfunkstaatsvertrages ausgesprochen. Darüber hinaus hinausgehende Zugeständnisse, vor allem auch hinsichtlich weiterer Beschränkungen der Betätigungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, haben wir in aller Deutlichkeit abgelehnt. Aus diesem Grund sehen wir den nunmehr beschlossenen Kompromiss und die derzeitigen Verhandlungen mit der EU-Kommission mit großer Sorge. Die Landesregierungen und vor allem die Landesparlamente sind aufgefordert, in den weiteren Beratungen auf eine Überarbeitung des bislang vorliegenden Entwurfes für den 12. Rundfunkstaatsvertrag zu drängen. Dabei ist es natürlich unbestritten, dass die Angelegenheiten des Rundfunks in die Kompetenz der Länder fallen. Doch letztlich ist es auch die Angelegenheit des Bundes, die Umsetzung des Beihilfekompromisses gegenüber der EU-Kommission zu vertreten und zu verteidigen – und zwar in Abstimmung mit den Ländern. Hier erwarten wir, dass sich alle Beteiligten im Sinne der Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgerichts für die Existenz und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einsetzen.