Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    26.03.2009

    Plenumsrede zur Statenimmunität Deutschlands in Italien


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    die Verbrechen, die von Deutschland ausgehend von 1933 bis 1945 geschehen sind, gehören zu den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte. Wir haben in Deutschland auch heute über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach wie vor uneingeschränkt die Verantwortung, an diese Vergehen zu erinnern, den Opfern zu gedenken und alles dafür zu tun, dass die Erinnerung an sie Mahnung für zukünftige Generationen ist.

    Es ist keine Frage: Deutschland steht zu seiner Verantwortung. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit auch Opferentschädigungen gezahlt. Im Zuge des 1961 abgeschlossenen Globalabkommens waren das für italienische NS-Opfer 40 Mio. DM. Daneben erhielten über 3.000 zivile Zwangsarbeiter Leistungen durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beziehungsweise die Jewish Claims Conference in Höhe von ca. 1,89 Mio. Euro.

    In dem Friedensvertrag zwischen Deutschland und Italien 1947 hat Italien eine Verzichtserklärung für weitere Entschädigungszahlungen abgegeben. Trotzdem sind vor italienischen Gerichten derzeit über 50 Einzel- und Sammelklagen gegen Deutschland anhängig, mit denen von der Bundesrepublik Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg verlangt wird.

    Einige Fälle betreffen italienische Militärinternierte, die nach 1943 von Deutschland inhaftiert wurden und in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten. In anderen Fällen klagen die Opfer oder die Nachfahren von Opfern deutscher Kriegsverbrechen in Italien. Gleichzeitig wird vor italienischen Gerichten versucht, ein in Griechenland gegen Deutschland ergangenes Urteil wegen eines SS-Massakers 1944 in Distomo zu vollstrecken.

    Ich glaube, bei dieser Aufzählung wird klar, dass hier eine wahre Prozesslawine droht. Die Klagen stehen im Konflikt mit der völkerrechtlich gewährleisteten Staatenimmunität. Das Prinzip der Staatenimmunität besagt, dass kein Staat wegen seines hoheitlichen Handelns vor den Gerichten eines anderen Staates verklagt oder gegen ihn vollstreckt werden kann.

    Dieses Prinzip gilt selbstverständlich nicht nur für Deutschland, sondern für alle Länder und macht überhaupt erst möglich, dass es eine internationale, friedliche Zusammenarbeit geben kann. Nach den zahlreichen internationalen Konflikten, wovon der zweite Weltkrieg sicherlich der schwerste war, muss es so ein Prinzip geben, damit man irgendwann wieder in eine Situation der Befriedung kommt.

    Ohne dieses Prinzip gäbe es eine individuelle Klagewelle gegen Staaten weltweit, was nicht nur zur totalen internationalen Rechtsunsicherheit, sondern auch global zu einer politischen Eiszeit führen würde.

    Der italienische Kassationshof sieht das anders: er hat in insgesamt drei Urteilen entschieden, dass sich Deutschland in diesen Fällen der Kriegsverbrechen nicht auf Staatenimmunität berufen könne. Wenn dieses Prinzip Recht behielte, dann müsste das in ähnlichen Fällen auch für andere Kriege gelten.

    Meine Damen und Herren,
    Sie sehen wie weitreichend die Konsequenzen wären, wenn das grundlegende Prinzip der Staatenimmunität, dass das internationale Miteinander gewährleistet, außer Kraft gesetzt wird.

    Ich zitiere jemanden, der nach eigener Aussage das Urteil des italienischen Kassationshofes für sehr gefährlich hält: „Wenn die Gerichte von Fall zu Fall entscheiden, ob einem Staat Immunität zukommt, wird das Prinzip der Staatenimmunität unberechenbar. Die Welt braucht aber Rechtssicherheit. Sonst gerät alles aus den Fugen.“

    Dieses Zitat stammt nicht von einem Deutschen, sondern vom italienischen Außenminister Frattini. Die italienische Regierung ist in dieser Frage der gleichen Auffassung wie die deutsche Regierung und das zeigt mir, dass es richtig ist, auch im Sinne der internationalen Gemeinschaft auf dem Prinzip der Staatsimmunität zu bestehen.

    Ich sage noch einmal ganz klar: Damit treten wir keinen Millimeter von der Verantwortung Deutschlands zurück. Wir relativieren nicht unsere Schuld, zu der wir nach wie vor klar stehen.

    Die deutsche Regierung ist sich mit der italienischen darin einig, dass es zwei Dimensionen der Debatte gibt: zum einen die juristische und zum anderen die politisch-moralische. Beide sind zwar miteinander verflochten, aber die Rechtsfrage lässt sich nicht moralisch aus der Welt schaffen und genauso wenig kann unsere Verantwortung für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Unrecht des zweiten Weltkrieges durch einen Gerichtsbeschluss erledigt werden. Der juristische und der politisch-moralische Prozess ergänzen sich. Keiner wäre, für sich allein, in der Lage, Grundlage für eine gute gemeinsame Zukunft zu legen. Stattdessen wollen wir das gemeinsam angehen.

    Deswegen haben am 18. November im letzten Jahr Außenminister Franco Frattini und Frank-Walter Steinmeier mit ihrem gemeinsamen Besuch der Gedenkstätte „La Risiera di San Sabba“ – dem einzigen KZ Italiens - ein in der Öffentlichkeit beider Länder viel beachtetes Zeichen für die Anerkennung des Leids der Opfer des Nazifaschismus gesetzt.

    Außerdem haben die Minister Historiker beider Länder zu einer gemeinsamen Konferenz in das deutsch-italienische Begegnungszentrum der Villa Vigoni eingeladen. Die heutige Debatte findet zu einem guten Zeitpunkt statt, denn genau morgen beginnt diese Konferenz, bei der es um die deutsch-italienische Kriegsvergangenheit und das Schicksal der italienischen Militärinternierten gehen wird. Dies ist die Auftaktveranstaltung zu einer gemeinsamen Historikerkommission, die ab morgen ihre Arbeit aufnehmen wird, aus der am Ende auch ein Bericht hervorgeht. Sowohl Deutschland als auch Italien haben leidvolle Erfahrungen mit totalitären Regimen. Mit der gemeinsamen historischen Aufarbeitung können wir auch eine gemeinsame Erinnerungskultur schaffen.

    Wenn wir etwas in die Breite schauen, dann sehen wir auch viele andere Beispiele dafür, dass Deutschland seiner Verantwortung für ein gutes Verhältnis mit Italien gerecht wird. In keinem anderen Land haben wir so viele kulturelle Institutionen wie in Italien. Allein fünf wissenschaftliche Institute, vier Häuser mit Stipendien für Künstler, sieben Goethe-Institute, die Villa Vigoni, drei Deutsche Schulen, insgesamt über 30 deutsch-italienische Kulturinstitute – das ist so viel wie nirgendwo sonst.

    Und auch Italien ist in Deutschland mit der weltweit größten Zahl von Kulturinstituten vertreten. Ich glaube, das allein zeigt schon sehr deutlich wie weit wir in den 65 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs schon gekommen sind.

    Ich würde mir wünschen, dass dieser gemeinsame Weg noch weiter verstärkt wird. Derzeit wird an einer Internetplattform für deutsche und italienische Jugendliche gearbeitet. Ich finde das sehr begrüßenswert und würde mir wünschen, dass wir in diese Richtung noch weiter gehen und nach dem Vorbild des deutsch-französischen oder deutsch-polnischen Jugendwerks auch ein deutsch-italienisches Jugendwerk ins Leben rufen. Das ist natürlich auch immer eine Frage des Geldes aber ich denke hier können wir wirklich nachhaltig in die deutsch-italienischen Beziehungen investieren und zur Verständigung beitragen.

    Noch ein Wort zu dem besonderen Fall, bei dem vor italienischen Gerichten versucht wird, ein in Griechenland gegen Deutschland ergangenes Urteil wegen eines SS-Massakers 1944 in Distomo zu vollstrecken. Das höchste griechische Gericht hat beschieden, dass dieses Urteil wegen der geltenden Staatsimmunität gar nicht vollstreckt werden kann. Deswegen versuchen die Kläger jetzt, es in Italien vollstrecken zu lassen. Auch wenn die Rechtslage in diesem Fall von Seiten der griechischen Gerichte unumstrittener ist, so wird doch klar, dass wir in der politisch-moralische Dimension der deutsch-griechischen Beziehungen noch lange nicht am Ziel sind. Ich würde mir deshalb ein ähnliches Zeichen wie es die Außenminister in Italien gesetzt haben und einen ähnlichen Anstoß wie die Historikerkommission auch in Griechenland wünschen.

    Abschließend möchte ich den in meinen Augen wichtigsten Aspekt des Konfliktes unterstreichen. Anstatt dass dieser Konflikt Deutsche und Italiener entzweit hätte, hat uns das Problem eher zusammengeführt und darüber bin ich sehr froh. Der vorliegende Antrag bestätigt leider wieder einmal meinen Eindruck, dass die Linke mehr daran interessiert ist, Symbolpolitik zu fordern, als dass sie sich für realistische Maßnahmen einsetzt. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen können.

    Vielen Dank