Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

Archiv

Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

Archives

On this website you find information about my work as member of parliament (1998 - Oct. 2009)

Curriculum Vitae english Curriculum Vitae français Curriculum Vitae spanish Curriculum Vitae russian Curriculum Vitae chinese

    19.05.2005

    „Europäische Sprachenpolitik im Kontext eines vielsprachigen Europas“

    Einführung der Vorsitzenden zur ALTE-Konferenz in Berlin; 19. Mai 2005, 10.30 Uhr im DBB-Forum


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrter Herr Dr. Milanovic
    sehr geehrter Herr Dr. Bader
    sehr geehrte Damen und Herren

    Ich freue mich sehr, dass Sie für Ihre Zweite internationale Konferenz als Tagungsort Berlin gewählt haben. Die deutsche Hauptstadt ist eine bunte, interessante, sehr lebendige Großstadt, in der sich Menschen aus aller Welt begegnen. Vielleicht hatten Sie schon Gelegenheit, bei einem Bummel durch die Stadt die sprichwörtliche Berliner Luft zu schnuppern. Wenn nicht, empfehle ich Ihnen dringend, das noch zu tun. Einige schöne Angebote enthält ja auch Ihr Rahmenprogramm zur Konferenz. Lassen Sie sich ein auf diese Stadt, genießen Sie sie, es gibt unendlich viel zu entdecken.

    Meine Damen und Herren, ich bin in meiner Funktion als Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages eingeladen, hier am Beginn Ihrer Konferenz zu sprechen. Diesen Ausschuss gibt es noch gar nicht allzu lange. Der Deutsche Bundestag hat erst 1998 entschieden, mit dem Ausschuss ein Gremium einzusetzen, das Entscheidungen des Parlaments vorbereitet und sich dabei mit kultur- und medienpolitischen Fragestellungen befasst. Zuvor wurden diese Themen von Fall zu Fall von den Innenpolitikerin, den Wirtschaftspolitikern oder den Außenpolitikern quasi nebenbei mit diskutiert und entschieden. Eine Situation, die trotz der föderalen Struktur Deutschlands nicht länger haltbar war. Denn obwohl hierzulande weitgehend Länder und Kommunen für Theater und Museen, für Bibliotheken, Schulen und Universitäten zuständig sind, wollte das nationale Parlament nicht länger auf ein eigenes Gremium verzichten, das sich mit kulturpolitischen Fragen von gesamtstaatlicher Bedeutung befasst. Und das können ganz unterschiedliche Themenfelder sein: die Filmförderung oder die Hauptstadtkultur, unsere Erinnerungskultur oder unser Medienrecht, das Stiftungsrecht oder die Organisation unseres Auslandsrundfunks.

    Besonders aufmerksam befassen wir uns im Ausschuss für Kultur und Medien mit jenem Teil der Kulturpolitik, der ins Ausland wirkt, mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik also. Ein wichtiges Element der Auswärtigen Kulturpolitik ist die Förderung der deutschen Sprache. Wir sind daran interessiert, dass möglichst viele Menschen Deutsch lernen, sich mit dieser wunderbaren Sprache auseinandersetzen, sie mindestens in den Grundzügen verstehen, sprechen und – hoffentlich – dabei schätzen, ja womöglich sogar lieben lernen. Wir sind bereit, dafür viel Geld auszugeben und schicken Lehrer an deutsche Schulen im Ausland oder finanzieren das Goethe-Institut, das Sie alle als deutsches Mitglied Ihrer Organisation ALTE kennen. Das Goethe-Institut repräsentiert als Mittlerorganisation deutsche Kultur im Ausland und ist dabei sehr erfolgreich, wie die Besucherzahlen seiner rund 16.000 Veranstaltungen im Jahr zeigen. Außerdem bietet das Goethe-Institut qualifizierte Deutschkurse an, mit denen wir in vielen Teilen der Welt Interesse wecken oder bereits vorhandenes Interesse an der deutschen Sprache aufgreifen können.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sie eine Sprache lernen, dann können Sie das tun, weil Sie über die Grenze Ihres Herkunftslandes hinweg Geschäfte machen wollen, Sie können es tun, weil Sie sich mit Wissenschaftlern anderer Nationen austauschen wollen, weil Sie gerne reisen und im Ausland auf eigene Faust zurecht kommen wollen, weil Sie sich mit Ihren Nachbarn im kleinen Grenzverkehr verständigen wollen oder weil Sie italienische Opern oder polnische Lyrik mögen, aber leider nicht als Muttersprachler mit dem Italienischen oder Polnischen groß geworden sind. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass Sie Sprache nicht auf die Funktion eines technischen Hilfsmittels zur Kommunikation reduzieren können und dass die Muttersprache für uns alle eine besonders prägende Bedeutung hat.

    Die Präsidentin des Goethe-Instituts, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach, hat kürzlich in einem leidenschaftlichen Bekenntnis zur deutschen Sprache Wilhelm von Humboldt, den großen deutschen Wissenschaftler, mit seinem Ausspruch zitiert, jede Sprache sei „auch eine Ansicht von der Welt“. Mit anderen Worten, in jeder Sprache drückt sich aus, wie diejenigen, die diese Sprache benutzen, die mit ihr ausgewachsen sind, die in ihrem Sprachraum sozialisiert worden sind, die Welt sehen, sie verstehen und Fragen und Probleme einordnen. Sage mir, welche Sprache du sprichst und ich weiß, wie du denkst! Die meisten von uns haben nur eine Sprache, nämlich die Muttersprache, die ihnen erlaubt, sich differenziert auszudrücken, auch Nuancen in der Wortwahl richtig zu interpretieren und soziale Implikationen instinktiv mitzudenken, die sich über die rein sachliche Information mit der Sprachbotschaft verbinden.

    Wer eine fremde Sprache lernt, und dies über ein paar technische Begriffe hinaus tut, lässt sich damit jedes Mal neu auf eine neue Sicht der Welt ein. Sprachen lernen heißt, aus einem großen Repertoire an Gedanken schöpfen, den eigenen Horizont zu weiten, und die eigene Sprache im Vergleich zur – noch – fremden Sprache besser zu verstehen. Wenn wir Sprachen lernen, lernen wir gleichzeitig, was den Völkern dieser Sprachgemeinschaft wichtig ist, was sie prägt und was ihre Gesellschaften zusammenhält. Wir lernen, welche Begriffe es gibt, die in unserer eigenen Sprache nicht vorkommen, oder die - umgekehrt - aus unserer eigenen Sprache nicht in die „neue“ Sprache zu übersetzen sind – und damit vielleicht etwas über unsere eigene Befindlichkeit. Wir lernen ein ausgeprägt feinsinniges Küchenvokabular in Frankreich (und damit sehr viel über die Bedeutung von Essen und Trinken als Teil einer Hochkultur) oder erschließen uns aus der Vielfalt der unterschiedlichen und zunächst kryptisch erscheinenden Botschaften der Ehrbezeigungen in asiatischen Sprachen einen Zugang zum sozialen Gefüge einer für uns als Europäer schwer verständlichen Gesellschaft. Sprache dient eben nicht nur der Übermittlung von Informationen, sondern ist immer auch Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Gesellschaft.

    Aus der Sicht der Kulturpolitikerin und nach meiner persönlichen Überzeugung, ist die Sprachenvielfalt, mit der wir in Europa leben, ein Plus, ein Ausdruck des Reichtums unserer Kulturen. Die Sprachenvielfalt auf unserem Kontinent ist für mich keine Last, die das Zusammenwachsen der Völker behindert, sondern ich verstehe sie als Chance, den jeweils eigenen Blickwinkel zu weiten, die eigene Sicht der Dinge in Frage zu stellen und an den Maßstäben der anderen zu überprüfen. Es ist eine der Stärken der Verfassung der Europäischen Union, dass sie die Union ausdrücklich auf das Ziel verpflichtet, und ich zitiere, „den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ zu wahren, und „für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas“ zu sorgen (Teil 1, Titel I, Art I-3). Denn in der Tat müssen wir den Schutz und die Pflege unserer Sprachen ernst nehmen, wenn wir unsere europäische Identität nicht verlieren wollen.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Europäischen Union mit ihren 25 Mitgliedern sind 20 Amtssprachen anerkannt. Das heißt, es gibt 380 Sprachkombinationen, eine wahre Herausforderung für den Dolmetscher- und Übersetzerdienst, eine Mammutaufgabe. Und dabei sind Regional- und Minderheitensprachen, zu denen im deutschen Sprachraum zum Beispiel das Sorbische gehört, noch gar nicht berücksichtigt. Den professionellen Dolmetschern und Übersetzern ist es zu verdanken, wenn die Europäische Union nicht in einem babylonischen Sprachengewirr versinkt, und dem pragmatischen Umgang aller Akteure mit dem Kommunikationsproblem. So suchen und finden Abgeordnete meist eine gemeinsame Plattform, um sich über Sprachgrenzen hinweg zu verständigen. Das können ganz unterschiedliche Varianten sein: Vielleicht spricht ein Kollege aus Litauen Deutsch und verständigt sich auf diese Weise mit einem Franzosen, der ebenfalls Deutsch spricht, vielleicht äußert sich ein deutscher Abgeordneter auf Englisch im Gespräch mit einer spanischen Politikerin, die wiederum in ihrer Muttersprache antworten kann, weil der deutsche Kollege Spanisch gut versteht, es nur nicht fließend spricht.

    Zwei Aspekte im Umgang mit dem Sprachenreichtum in Europa will ich besonders hervorheben. Die Europäische Verfassung, die zur Ratifizierung in den Mitgliedsländern vorliegt, verbrieft ausdrücklich jedem Einzelnen das Recht, sich in seiner Muttersprache an die Behörden in Brüssel zu wenden. Und jede Unionsbürgerin, jeder Unionsbürger hat das Recht auf eine Antwort in dieser Sprache. Diesen Anspruch zu erhalten und seine Umsetzung praktisch zu ermöglichen, ist mir wichtig, denn es entspricht fundamentalen demokratischen Grundsätzen, den Menschen zu ermöglichen, sich in ihrer Landessprache an staatliche Einrichtungen zu wenden. Eine Europäische Union, die für Chancengleichheit im Wettbewerb eintritt, muss sich anstrengen und dafür sorgen, dass kleine und mittlere Betriebe in der Konkurrenz um Aufträge nicht deshalb unterliegen, weil die Ausschreibungen nur in Englisch und Französisch vorliegen. Sie kann nicht davon ausgehen, dass Vorschriften verstanden und befolgt werden, die nur in einzelne Sprachen übersetzt wurden, sie wird Akzeptanz nur dann erreichen, wenn sie sich auf die Menschen einstellt und auf ihr Sprachvermögen. Die Europäische Union wird ihren Sprachendienst kaum reduzieren können. Sie muss sich damit auseinandersetzen, dass sie einer vielsprachigen Bevölkerung dient – und wird damit ein großer Arbeitgeber für Sprachkundige mit zertifizierten Qualifikationen bleiben.

    Über die Grenzen der Fraktionen von Regierungsmehrheit und Opposition hinweg haben wir im Deutschen Bundestag ein gemeinsames Ziel: auf europäischer Ebene die sprachliche Vielfalt als Ausdruck der kulturellen Vielfalt zu erhalten. Deshalb treten wir auch sehr selbstbewusst dafür ein, dass Deutsch (neben vielen anderen Sprachen) als Arbeitssprache seinen anerkannten Platz behält und offizielle Amtssprache bleibt.

    Meiner sehr verehrten Damen und Herren, das Recht jedes Einzelnen, einen Briefwechsel mit Brüsseler Behörden in seiner Landesprache führen zu dürfen, werde ich auch künftig verteidigen. Gleichzeitig werde ich aber genauso vehement dafür eintreten, dass die Unionsbürger Fremdsprachen lernen. Die Ziele der Gemeinschaft sind klar: In jedem Mitgliedsland sollen die Bürger zwei Fremdsprachen beherrschen, in den Schulen sollen die Kinder möglichst früh Fremdsprachen lernen. Im Rahmen ihrer Programme zur Sprachförderung betont die Gemeinschaft, wie wichtig es für die Bürgerinnen und Bürger ist, mehrere Gemeinschaftssprachen zu beherrschen, wollen sie ihre beruflichen und persönlichen Möglichkeiten nutzen. Die Europäische Union hat deshalb wiederholt Programme aufgelegt, um damit den Erwerb, oder besser das Lernen von Fremdsprachen zu fördern. Seit Juli 2003 gilt ein Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt, der noch bis 2006 läuft und Ziele auf drei Ebenen verfolgt:

    1. den Bürgerinnen und Bürgern soll vermittelt werden, dass ihnen Sprachkenntnisse ein Leben lang zugute kommen,
    2. die Qualität des Sprachunterrichts soll auf allen Ebenen verbessert werden und
    3. in Europa soll ein sprachenfreundliches Umfeld geschaffen werden.

    Wie Sie wissen war 2001 das „Jahr der Sprachen“, das die Europäische Union und der Europarat gemeinsam ausgerufen haben. 45 Länder haben sich damals beteiligt und gemeinsam das Ziel formuliert, in ganz Europa das Sprachenlernen zu fördern. Ungezählte Projekte fanden auf lokaler und regionaler Ebene statt. Über die Ziele besteht also Einigkeit und eine Studie der Europäischen Kommission zeigt, dass etwa die Hälfte aller Schüler in Europa schon in der Grundschule, also ganz zu Beginn einer Schullaufbahn, eine fremde Sprache lernt. Gut so, möchte man sagen. Dennoch bleibt viel zu tun, denn die Umsetzung der strategischen Ziele kann nur auf nationaler und regionaler Ebene erfolgen.

    Deutschland ist zum Beispiel von dem Ziel, jedem Schüler zwei Fremdsprachen zu vermitteln, noch weit entfernt. Zwar gehören wir hierzulande nicht zu den ausgesprochenen Fremdsprachenmuffeln, wie es Briten und Iren sind. Aber zufrieden zurücklehnen können wir uns angesichts der Situation an unseren Schulen nicht. Nur die Abiturienten müssen in Deutschland Kenntnisse in zwei Fremdsprachen nachweisen, alle anderen verlassen die Schulen oft, nachdem sie nur mit einer Fremdsprache – meistens ist das dann Englisch – Bekanntschaft gemacht haben. Mir ist das zu wenig, viel zu wenig. Wenn ich lese, dass nur jeder sechste Schüler in Deutschland Französisch lernt, dann blutet mir das Herz, weil ich weiß, welche Chancen all den anderen verschlossen bleiben. Aber es geht gar nicht um eine spezielle Sprache. – Französisch ist mir persönlich lediglich besonders nah, weil ich es selbst früh gelernt habe und mir damit das große Nachbarland und seine Menschen wunderbar erschließen konnte. – Ich freue mich über jeden, der als junger Mensch Tschechisch lernt, der sich Finnisch vornimmt oder Griechisch büffelt. Wenn wir die Vielfalt der Sprachen in Europa wahren wollen, dann müssen wir der Sprache des jeweils anderen Respekt erweisen. Dazu gehört, dass wir den Fremdsprachenunterricht in unseren Schulen vorantreiben, dass wir Austauschprogramme fördern und das Verständnis und die Neugier für die Nachbarn unterstützen.

    In der föderalen Struktur der Bundesrepublik sind die Schulen Ländersache. Der Bund, der Deutsche Bundestag und damit auch sein Kulturausschuss haben auf die Lehrpläne der Schulen keinen Einfluss. Der Bund kann aber einen anderen Weg gehen, und Deutsch als Fremdsprache im Ausland fördern. Das tut die Bundesregierung mit Unterstützung des Parlaments und Organisationen wie dem Goethe-Institut. Denn so wie ich von uns selbst fordere, dass wir uns mit fremden Sprachen und damit mit den Kulturen der Nachbarn befassen, so wünsche ich mir, dass unsere Nachbarn die Schönheit und den Reichtum der deutschen Sprache und der deutschen Kultur kennen und schätzen lernen.

    Sie haben sich eine wichtige Aufgabe vorgenommen, nämlich Qualitätsmanagement und Vergleichbarkeit von Sprachprüfungen zu erarbeiten und umzusetzen. Ich wünsche Ihnen sowohl viel Erfolg dabei und gute Gespräche miteinander als auch Erfahrungen in einer Stadt, die viele Kulturen und Sprachen beherbergt, schon allein aus der Tatsache, dass die beiden Teile der Stadt 40 Jahre lang unterschiedlich sozialisiert und kulturell geprägt worden sind.