Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    14.12.2006

    Zur Medien- und Kommunikationspolitik in Europa

    Rede im Plenum des deutschen Bundestages


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrte(r) Präsident(in), liebe Kolleginnen und Kollegen,

    ich finde es immer wieder erschreckend wie viel Unverständnis nicht nur auf europäischer Ebene, sondern selbst hier bei uns in Deutschland herrscht, wenn es um die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. Dabei wird der hohe Wert spätestens dann überdeutlich, wenn wir uns andere Länder wie Italien, Polen oder Russland anschauen, in denen es keine oder nur eine stark eingeschränkte Unabhängigkeit des Rundfunks gibt.

    Aus den Gründen unserer eigenen Geschichte wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem Krieg in Deutschland zu dem Garanten für unabhängigen Journalismus gemacht. Damit ist er zu einem Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung geworden, den wir schützen müssen - auch vor übermäßigen Liberalisierungsbestrebungen in Europa.

    Mit unserem heute vorliegenden Antrag unterstützen wir grundsätzlich den gestern vorgelegten Vorschlag der EU-Kommission für eine Neufassung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“. Ich will einige wichtige Punkte herausgreifen.

    Wir begrüßen, dass die Kommission plattformunabhängige Regelungen formuliert hat und das mit einer Unterscheidung von linearen und nicht-linearen Mediendiensten verknüpft. Es sollen eben die Inhalte im Vordergrund stehen und nicht die Übertragungswege.

    Wir unterstützen ebenso das geplante europaweite Gegendarstellungsrecht und die Harmonisierung der Jugendschutzvorschriften ohne Senkung der Standards.

    Ganz grundlegend bleibt uns aber wichtig, dass die Vorschriften zur Werbung möglichst stark formuliert werden. Das bedeutet, zumindest für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen wir keine Produkt- und Themenplatzierung. Schleichwerbung muss hier ausgeschlossen werden, damit sich die Programmgestaltung allein an publizistischen Kriterien orientiert und die Programmfreiheit gewährleistet bleibt.

    Überhaupt scheint das der Knackpunkt der langen Kontroverse mit der Kommission zu sein. Immer wieder wird die Unabhängigkeit der Sender angegriffen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss eigenständig, selbst entscheiden, unabhängig von Wirtschaft und Staat.

    Für das laufende Beihilfeverfahren sehe ich das ganz genauso. Mit der Art und Weise, wie hier mit unserem Rundfunksystem als zentralem Bestandteil unserer Demokratie umgegangen wird, überschreitet die Kommission ihre Kompetenz. Außerdem halte ich das auch für einen äußerst schlechten Umgang.

    Nach konstruktiven Gesprächen zwischen Bundesregierung, den Ländern und der Kommission, war der Konsens bereits erreicht. Deswegen ist es so ärgerlich, wenn die Kommission gestern plötzlich Nachforderungen erhebt.

    Im Kern wird von der Kommission in diesem Fall beispielsweise die unabhängige digitale Weiterentwicklung kritisiert. Das heißt, alle bestehenden und zukünftigen digitalen Angebote sollen genehmigungspflichtig sein. Das können wir nicht zulassen!

    Wenn die Kommission in diesem Punkt mit ihrer Forderung durchkäme, hätten wir faktisch einen Staatsrundfunk. Das können wir auf keinen Fallen wollen.

    Zudem ist es nicht nur eine Frage nach dem, was wir wollen; wir dürften es auch gar nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen seit 45 Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Grundversorgungsauftrag hat und für diesen Programmautonomie genießt.

    Spätestens im 6. Rundfunkurteil 1991 wurde klar formuliert: Es gibt eine Bestands- und Entwicklungsgarantie. Wegen des so genannten Dynamischen Grundversorgungsbegriffs muss das Programmangebot für neue Formen und Inhalte sowie für neue Dienste offen sein. Das schließt ausdrücklich neue Technik und neue Übertragungswege mit ein.

    Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Garant der neutralen und qualitativ hochwertigen Berichterstattung weiterhin neutral und hochwertig bleiben soll, dann muss er auch in der Lage sein, mit dem sich weiterentwickelnden Markt Schritt zu halten.

    Kolleginnen und Kollegen,
    ich bin der Meinung, im Notfall müssen wir für die Verteidigung der Rundfunkautonomie und zwar des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis vor den Europäischen Gerichtshof.

    Leider ist es nicht nur so, dass wir auf EU-Ebene für die Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kämpfen müssen. Auch hier in Deutschland wünschte ich mir mehr Verständnis. Ich denke dabei zum Beispiel an manche Ministerpräsidenten, die beim letzten Rundfunkstaatsvertrag einerseits die autonome Entscheidung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) unterlaufen haben und andererseits festlegten, dass für den Bereich des Internets maximal 0,75 Prozent des Etats ausgegeben werden dürfen und damit der Kommission in die Hand spielen.

    Wenn Herr Stoiber als ein Gesprächspartner jetzt mit der Kommission verhandelt und dabei selbst für eine Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekannt ist, dann wundere ich mich nicht, dass wir in den Verhandlungen mit der EU keinen allzu guten Stand haben. Ich glaube, erst wenn wir uns alle zusammen hinter den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stellen, können wir ihn auch wirksam verteidigen und seine Qualität stärken. Und darum muss es gehen, wenn hier nicht ausschließlich auf die Konkurrenz und damit auf die Quote geschaut werden soll.

    Wie stark wir in Deutschland von der Programmautonomie und Programmvielfalt profitieren zeigt - und da brauche ich nur an die Fußballweltmeisterschaft erinnern - allein der Sport. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch das Recht auf Kurzberichterstattung. Dabei ist uns wichtig, dass weiterhin über alle Ereignisse für die es ein hohes öffentliches Interesse gibt, berichtet werden kann. Wir wollen hier keine Einschränkungen.

    Doch an diesem Punkt muss ich zum Schluss auch die Rundfunkanstalten selbst in die Pflicht nehmen. Wenn wir mit dem Argument der programmlichen Vielfalt und Qualität für den Wert des Rundfunks kämpfen, dann müssen sich die Sender auch noch stärker auf diesen Auftrag besinnen.

    Dazu nur ein Beispiel aus dem Bereich der Musik: Nachdem wir uns im Bundestag vor zwei Jahren für mehr in Deutschland produzierte populäre Musik im Rundfunk ausgesprochen haben, sagten gerade die öffentlich-rechtlichen Sender genau das zu. Aktuelle Zahlen zeigen aber, dass die ersten Anstrengungen nicht von langer Dauer waren und sich strukturell nichts geändert hat. Hier ebenso wie in anderen Bereichen muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch besser zeigen, dass er es wert ist, dass wir ihn so vehement verteidigen.

    Vielen Dank