Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    02.02.2007

    Ein Sichtbares Zeichen braucht den europäischen Dialog

    Artikel für „politik und kultur“


    Die Themen Vertreibungen und Zwangsmigration, verbunden mit ethnischen Säuberungen und Deportationen, gehören zur europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Viele Menschen haben furchtbares Leid und Unrecht erfahren und bis heute beeinflussen diese Themen die Beziehungen zwischen europäischen Nachbarstaaten.

    Ich kann für die ganze SPD sprechen, wenn ich sage, dass wir uns diesem leidvollen Teil europäischer Geschichte stellen und insbesondere aus einer europäischen Perspektive diskutieren wollen und müssen. Ganz sicher ist es notwendig, gemeinsam mit den Betroffenen und den sie vertretenden Organisationen und Initiativen einen offenen, verlässlichen und vor allem aufrichtigen Dialog über die Aufarbeitung der Geschichte der Vertreibungen zu führen. Und weil aufrichtig eben auch heißt, die historischen Umstände und Hintergründe zu berücksichtigen, kann dieser Dialog nur gemeinsam mit unseren von Vertreibungen infolge des Zweiten Weltkrieges betroffenen Nachbarstaaten geführt werden.

    Die bereits lang geführte Debatte über das Thema Vertreibungen hat sich unter dem Eindruck der immer kleiner werdenden so genannten „Erlebnisgeneration“ gewandelt. Es ist deutlich geworden, dass es auch über die Frage, wie dem Gedenken an die Betroffenen und die Opfer von Vertreibungen entsprochen werden kann, eine Verständigung geben muss. Um diese Frage zu beantworten, gilt es, die historischen Zusammenhänge korrekt, aber auch sensibel und vor allem aus einer europäischen Perspektive zu betrachten. Denn letztlich kann es nur in einem gesamteuropäischen Zusammenhang einen Prozess der Verständigung und Versöhnung geben. Ein Alleingang träfe vollkommen zu Recht auf Unverständnis.

    Vor diesem Hintergrund lehnen wir in der SPD jede Unterstützung der Bundesregierung für das vom Bund der Vertriebenen (BdV) und seiner Vorsitzenden Erika Steinbach MdB verfolgte Projekt eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ ab. Wir vertreten in dieser Frage eine grundlegend andere Position, die bereits in einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom Juli 2002 zum Ausdruck kam. Damals wurde beschlossen, das Thema der Vertreibungen grundsätzlicher zu bearbeiten und einen europäischen Dialog mit den europäischen Nachbarn darüber zu führen (siehe BT-Drs. 14/9033). Eine ganz wesentliche Bedeutung in diesem Prozess besitzt die „Danziger Erklärung“ von Bundespräsident Johannes Rau und dem polnischen Staatspräsidenten, Aleksandre Kwasniewski, vom 29. Oktober 2003. Die darin formulierte Aufforderung an die Europäer zur gemeinsamen Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung wurde von Kulturstaatsministerin Dr. Christina Weiss aufgegriffen. Sie schlug eine Vernetzung bestehender Initiativen und Institutionen, die europaweit und grenzüberschreitend zu dem Thema Vertreibungen arbeiten, vor. Im Februar 2005 verkündete die Kulturstaatsministerin in Warschau in einer gemeinsamen Erklärung mit ihren Kollegen aus Polen, der Slowakei und Ungarn die Gründung des „Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität“ und die Errichtung eines Büros in Warschau. Das Netzwerk ist nach wie vor nicht nur aktiv, sondern genau der richtige Ausgangspunkt für eine Aufarbeitung. Es bietet aufgrund seiner Struktur die Möglichkeit der Mitarbeit sowohl für andere Länder als auch für verschiedene Initiativen. Die jetzige Bundesregierung hat die gemeinsame Arbeit mit den europäischen Partnern im Rahmen des Netzwerkes fortgesetzt. Einige Projekte, wie zum Beispiel das multilateral konzipierte Lexikon der Vertreibungen an der Universität Düsseldorf, wurden bereits gemeinsam realisiert oder befinden sich in Planung. Es ist uns in der SPD-Bundestagsfraktion ein wichtiges Anliegen, die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn in dieser Form weiter fortzusetzen und zu intensivieren.

    Zu den Themen Vertreibungen und Zwangsmigration heißt es in der Koalitionsvereinbarung:
    „Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisher beteiligten Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten.“

    Bereits 1999 regte der damalige Kulturstaatsminister Dr. Michael Naumann eine Ausstellung zum Thema beim Haus der Geschichte in Bonn an, die mit dem Titel „Flucht, Vertreibung, Integration“ realisiert wurde und 2006 bereits in Bonn und in Berlin zu sehen war. Sie wurde von Seiten unserer europäischen Nachbarn ob ihrer Objektivität und des umfangreich dargestellten europäischen Kontextes ausdrücklich gelobt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) betonte in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung, dass sie das „Herzstück einer künftigen Dauerausstellung“ sein solle, um die in der Koalitionsvereinbarung getroffene Vereinbarung umzusetzen.

    Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag unterstütze ich diese Position ausdrücklich. Wir bekennen uns zu der Verantwortung, die gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung in einem europäischen Dialog aufzuarbeiten und an das geschehene Leid und Unrecht zu erinnern. In einem gemeinsamen Gespräch mit internationalen Experten haben wir innerhalb unserer Fraktion über den Umgang mit dem Gedenken an Vertreibungen des 20. Jahrhunderts diskutiert. Dabei hat es große Übereinstimmungen gegeben. Wir wollen ein „sichtbares Zeichen“ für das Gedenken an Vertreibungen. Doch dieses wird in unseren Augen folgende zentrale Punkte beinhalten müssen. Es soll eine Dauerausstellung auf der Grundlage der vom Bonner „Haus der Geschichte“ (HdG) konzipierten Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ geben. Die mögliche Einrichtung, die die Ausstellung beherbergt, sollte ausschließlich in öffentlicher, staatlicher Trägerschaft sein, wobei das Dach der Trägerschaft noch zu diskutieren ist. Um konkrete Elemente dieser Dauerausstellung zu erarbeiten, ist es wichtig, in naher Zukunft eine internationale Konferenz nach Möglichkeit in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netzwerk durchzuführen. Wenn wir ein „Sichtbares Zeichen“ wollen, das der Versöhnung dienen soll, ist die Zusammenarbeit mit den Ländern, die im „Europäisches Netzwerk“ zusammengeschlossen sind, unumgänglich. Ich möchte alle Beteiligten und Betroffenen einladen, diesen Prozess der Umsetzung konstruktiv zu begleiten. Auf diesem Weg werden wir gemeinsam ein gutes Ziel erreichen.