Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    08.06.2007

    Rede zur Ausstellung „Europa ist 50“ in Winsen


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrter Herr Rempe,
    sehr geehrter Herr Lengfelder,
    sehr geehrter Herr Paul,
    lieber Kollege Herr Grosse-Brömer
    sehr verehrte Gäste,

    ich freue mich, dass wir heute zusammen so ein freudiges Jubiläum feiern können. Anlass dazu gibt uns der Abschluss der Römischen Verträge vor 50 Jahren. Doch auch, wenn in den Geschichtsbüchern an diesem Jahr der Ursprung Europas festgemacht wird, so sind doch die Vision und der Traum von Europa weit älter. Heute ist dieser Traum zu großen Teilen in die Realität umgesetzt worden und trägt wertvolle Früchte.

    Auch wenn ich es manchmal schade finde, dass diese europäische Realität nicht allen Menschen voll bewusst ist, obwohl sie im Alltag von Jeder und Jedem eine nicht zu übersehende Rolle spielt, so hat das vielleicht auch sein Gutes. Es zeigt, dass unserer deutsche Identität inzwischen ganz selbstverständlich und vielleicht oft unbewusst um einen Teil europäische Identität bereichert wurde. Es zeigt, dass der Gemeinschaftsgedanke zu einem Teil von uns und wir wiederum ein Teil der europäischen Kultur geworden sind.

    Das zeigt sich jeden Tag auch hier in unserem Landkreis. Gerade vor wenigen Wochen ist mir das wieder einmal sehr deutlich geworden. Da durfte ich nämlich an einer Jubiläumsfeier der Schule am Kattenberge in Buchholz teilnehmen. Hier haben wir ein fabelhaftes Beispiel für europäische Tradition gefeiert: das dreißigjährige Bestehens des Schüleraustausches zwischen Buchholz und Canteleu in Frankreich. Mit seiner 30jährigen Geschichte gehört diese Partnerschaft nicht nur in unserem Landkreis zu den ältesten und damit auch zu den beachtenswertesten.

    Genau solche Projekte sind es, die dazu beitragen, dass sich Jungen und Mädchen oder eben auch Erwachsene der unterschiedlichen Länder kennen- und schätzen lernen. Die deutsch-französischen Beziehungen sind dabei besonders durch den Elyseevertrag, der 1963 zahlreiche Städtepartnerschaften angeregt hat, nicht nur zu einem Meilenstein für uns, sondern auch zu einem einzigartigen Vorbild in Europa geworden.

    Doch um dort anzukommen, wo Deutschland und Frankreich heute sind, hat es viel Zeit und Ausdauer gebraucht. Und wie wir alle wissen, müssen Freundschaften gepflegt werden. Die deutsch-französische Freundschaft stellt in diesem Zusammenhang keine Ausnahme aber dennoch ein Vorbild dar.

    Es gibt noch ein weiteres deutsch-französisches Beispiel, dass wie ich finde eine wunderbare Möglichkeit der europäischen Verständigung aufzeigt. Ab diesem Schuljahr lernen die Schüler links und rechts des Rheins in den letzten drei Klassen vor dem Abitur aus einem inhaltlich identischen deutsch-französischen Geschichtsbuch.

    Das wird einen kaum hoch genug einzuschätzenden Beitrag dazu leisten, dass sich deutsche und französische Schüler über den Geschichtsunterricht noch besser kennen lernen.

    Auf diese Weise entstehen weitaus weniger Vorurteile und Stereotype. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Blick über den Tellerrand mit Hilfe des deutsch-französischen Geschichtsbuches mehr Interesse am Nachbarn hervorruft und gleichzeitig zur Stärkung einer europäischen Identität in der jungen Generation beiträgt. Der bilaterale Prozess und die nötige Verständigung, mit denen das Buch konzipiert worden ist, waren sicherlich zum Teil kontrovers und nicht immer einfach zu erreichen. Doch ich finde, dass wir jetzt so ein gelungenes Resultat haben, sollte uns ermutigen, in Zukunft auch mit anderen europäischen Partnerländern diese Idee eines gemeinsamen Geschichtsbuches umzusetzen.

    Wenn ich beispielsweise an die immer wiederkehrenden und leider nicht immer erfreulichen Geschichtsdebatten mit Polen oder England denke, dann hielte ich genau so ein Schulbuchprojekt mit diesen beiden Ländern für dringend notwendig.

    Trotz des heutigen erfreulichen Jubiläums gibt es noch viel zu tun, um Europa und eine europäische Kultur wirklich Realität werden zu lassen. Dabei will ich nicht falsch verstanden werden: Eine europäische Einheitskultur wird und soll es nicht geben. Die kulturelle und insbesondere auch die sprachliche Vielfalt sind ein, wenn nicht sogar das Markenzeichen Europas. Ganz nach dem Grundsatz „Einheit in der Vielfalt“ wird die europäische Kultur geprägt durch die vielen unterschiedlichen Kulturen, Bräuche, Sitten und Sprachen in den Ländern.

    Die Einheit erwächst also nicht daraus, dass wir uns anpassen und irgendwann zu einem kulturellen EU-Einheitsbrei kommen. Sie erwächst stattdessen daraus, dass wir uns für die anderen Kulturen interessieren, uns mit ihnen auseinandersetzen und sie vielleicht ein Stück weit annehmen. Ein ganz konkreter Schritt und eine wichtige Vorrausetzung ist das Erlernen von anderen europäischen Sprachen. Das muss Ziel unserer Bildungspolitik sein. Englisch reicht allein eben nicht aus, um die unterschiedlichen Kulturen in Europa zu verstehen. Hier muss noch viel passieren.

    Ich glaube, wir können Europa besonders auf kulturellem Wege ungemein voranbringen. Viel von dem was in Brüssel passiert, wird von den Bürgerinnen und Bürgern als bürokratisch, abstrakt und nicht lebensnah empfunden. Genau das war auch ein Grund, warum der europäische Verfassungsvertrag ins Stocken geraten ist. Doch das sollte uns nicht entmutigen, sondern darin bestärken, neben der politischen Ebene noch mehr Partnerschaften und Austausch auf der gesellschaftlichen Ebene zu fördern.

    Es gibt beispielsweise gemeinsame Kulturinstitute zusammen mit anderen europäischen Ländern in Glasgow, Ramallah, Moskau, Luxenburg, Turin oder Genua. Solche grenzenübergreifenden Institutionen und Kulturprojekte sind es, die Kultur und Frieden stiften.

    Ganz konkret haben sich solche Verständigung und das gemeinsame Engagement beispielsweise bei wirtschaftlichen Liberalisierungsverhandlungen innerhalb der EU-Dienstleistungsrichtlinie oder des GATS-Abkommens bewiesen. Hier standen und stehen alle europäischen Länder zusammen für die kulturelle Vielfalt ein.

    Die Europäische Komission hat so auch vor einigen Monaten das UNESCO-Abkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt ratifiziert. Ich halte das für einen sehr wichtigen Schritt, der unsere Vision von einem gemeinsamen und gleichzeitig vielfältigen Europa deutlich macht. In den letzten Monaten haben wir parallel in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Bundestages und der französischen Assemblée National gemeinsam beraten wie diese UNESCO-Konvention zukünftig mit Leben zu füllen ist.

    Sie sehen also: die Vielfalt in der Einheit ist kein Lippenbekenntnis, bei dem gemeinsame Erklärungen gemacht werden, bei denen letztendlich doch nur jedes Land sein eigenes Süppchen kocht. Stattdessen wollen wir im Dialog gemeinsame Lösungen finden.

    Wenn wir bei dieser kulturellen Verständigung erfolgreich sind, bin ich der festen Überzeugung, dass Europa bei den ein oder anderen momentan vielleicht noch skeptischen Bürgerinnen und Bürgern die positive Perspektive und die Gemeinsamkeiten noch klarer werden, so dass sich noch mehr Menschen zu Europa bekennen und sich als Teil Europas fühlen.

    Bei dem Jubiläum am heutigen Tag dürfen wir uns jedoch in erster Linie gemeinsam über das bereits Erreichte freuen und auch stolz darauf sein. Zumal positive Erlebnisse ja auch einen wichtigen Beitrag zur europäischen Identität leisten - ob nun hier bei dieser Ausstellungseröffnung in Winsen oder bei der großen Europafeier in Berlin.

    Herzlichen Dank