Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    15.07.2007

    Rede beim Festival de Poesía de Medellín in Kolumbien


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    liebe Freundinnen und Freunde der Poesie und des Festival de Poesía de Medellín,

    als Teilnehmerin einer Delegation von Abgeordneten des Deutschen Bundestages möchte ich Ihnen als allererstes auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für die Einladung zu diesem Festival danken. Dieses Festival bildet den Schwerpunkt unserer Kolumbienreise und wir freuen uns, hier sein zu können, nachdem wir schon so viel über Medellin und sein Poesie-Festival gehört haben. Ja, der gute Ruf eilt dem Festival auf der ganzen Welt voraus und das nicht erst seit es im letzten Jahr mit dem Right Livelihood Award und damit mit dem Alternativen Nobelpreis bedacht wurde.

    Der deutsche Schriftsteller Hermann Oeser hat einmal den recht schlichten aber treffenden Satz gesagt: „Es ist gut, sich aussprechen zu können. Es ist gefährlich, es nicht zu können.“

    Ganz in diesem Sinne haben die Initiatoren des Festivals ein wunderbares und nachahmenswertes Projekt ins Leben gerufen, dass einerseits Schriftstellern und Poeten die Möglichkeit gibt, sich auszusprechen. Das Festival tut andererseits aber auch viel für all die Menschen, die es besuchen. Hier wird Literatur zum Gedankenaustausch, zur kritischen Begleitung im Leben und zur ständigen Mahnung. Literatur kann auf die blinden Flecken unserer Wahrnehmung hinweisen, sie kann Rat geben und sie kann neue Wege zeigen. Kultur und damit auch Poesie helfen uns, zu begreifen was uns ergreift.

    Menschen, denen das Erleben von Kunst und Kultur nicht möglich ist, denen der Zugang oder die Angebote fehlen oder sogar verboten werden; diesen Menschen wird nicht nur ein Teil ihrer Persönlichkeit vorenthalten, sondern ihnen fehlt auch ein wichtiges Ventil. Wenn Hermann Oeser sagt, es sei gefährlich, sich nicht aussprechen zu können, dann wird dieses Zitat in der Realität von Diktatur, Zensur und Kontrolle von Kunst und Kultur mehr als deutlich.

    Das Festival de Poesía de Medellín ist ein strahlendes Beispiel dafür, wie Menschen Kunst und Kultur an die Hand gegeben werden können. Hier wird die Poesie zur Waffe und kann damit sogar ganz reale Waffengewalt auf den Straßen ablösen. Es war für mich persönlich eine faszinierende Nachricht zu hören, dass hier in Medellín das Festival der Poesie zur Verringerung der Gewalt beigetragen hat.

    Das ist eine Botschaft, die weltweit Gehör finden sollte, denn sie kann helfen, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in die ungeheure Kraft von Literatur aber auch Musik, Malerei, Theater oder Film haben.

    Doch welchen Stellenwert hat Politik in diesem Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft? In Deutschland haben wir dazu eine wichtige Leitlinie, die nicht nur für das Parlament, sondern auch alle anderen politischen Institutionen gilt: Politik macht nicht Kunst, sondern Politik ermöglicht Kunst.

    Der direkte und manipulative Eingriff in das künstlerische Geschehen und in einzelne kulturelle Projekte ist eben keine politische Aufgabe, sondern eine, die einzig unter dem Dach der künstlerischen Freiheit geschehen darf. Denn nur so kann sich die positive gesellschaftliche Wirkung von Kunst und Kultur überhaupt erst entfalten. Neben der direkten Beeinflussung gibt es jedoch zahlreiche Bereiche, in denen Kunst der staatlichen Unterstützung dringend bedarf. Das reicht von der Finanzierung von Projektträgern und unabhängigen Institutionen über die Sicherung der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern bis hin zu einer Förderung der Bildungspolitik, in der kulturelle Bildung einen Schwerpunkt ausmacht.

    Darüber hinaus sind uns ebenfalls der internationale kulturelle Austausch und das Engagement wichtig. Dafür steht die Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, innerhalb derer auch Literatur einen zentralen Bestandteil darstellt.

    Hier in Kolumbien baut diese Arbeit auf einigen wichtigen Institutionen auf. Das sind zum Beispiel die vier deutschen Schulen in Bogotá, Barranquilla, Cali und Medellín, das ist der rege Studien- und Wissenschaftsaustausch, das ist aber auch das Goethe-Institut in Bogotá und insbesondere die drei gemeinsamen deutsch-kolumbianische Kulturinstitute in Cali, Cartagena und Medellín. Durch dieses Engagement wollen wir nicht nur mit Menschen in Verbindung kommen, die sich bereits für Deutschland und unsere Kultur interessieren, sondern wir wollen gleichzeitig die kolumbianische Kultur mit der deutschen in einen bereichernden Austausch bringen, der für beide Seiten ungemein anregend und gewinnbringend sein kann.

    Die auswärtige als auch die innerstattliche staatliche Unterstützung von Kultur und die Hilfe sind zwingend notwendig, um eine vitale und vielfältige Kulturlandschaft zu erhalten. Es gibt einige schlechte Beispiele mancher Länder, die zeigen wie groß die Gefahr ist, dass sich kulturelle Einfalt und Langeweile einstellen, wenn Kunst und Kultur allein den Kräften des Marktes überlassen werden. Dann gibt es schnell nur noch sehr wenig, wegen der Finanzierbarkeit rein auf Mainstream ausgerichtete Kultur, die zudem nur für die sozial Schwachen einer Gesellschaft kaum noch zugänglich ist. Ich sehe Politik hier in der uneingeschränkten Pflicht dies zu verhindern.

    Der Schutz des kulturellen Lebens und besonders der kulturellen Vielfalt ist in unserer globalisierten Welt inzwischen schon lange nicht mehr nur ein nationales Thema. In Zeiten von WTO und GATS, in denen die wirtschaftliche Logik immer bestimmender wird und dadurch droht, dass Kultur eher als Konsumgut anstatt als Kulturgut gesehen wird, ist Politik aufgefordert, für den Schutz von Kultur zu sorgen. Kulturelle Güter sind Träger von Identitäten, Wertvorstellungen und Sinn und können nicht einfach als Waren und Konsumgüter betrachtet werden.

    Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass Kolumbien und Deutschland zusammen mit der überwiegenden Mehrheit aller Mitgliedstaaten der UNESCO im Oktober 2005 dem „Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ zugestimmt haben. Diese Konvention sind ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem besseren Schutz von Kunst und Kultur.

    Meine Damen und Herren,
    bis jetzt haben neben der Europäischen Union bereits über 60 Staaten das Übereinkommen ratifiziert und ich hoffe sehr, dass auch Kolumbien bald zu den Unterzeichnerstaaten hinzukommen wird.

    Doch auch auf internationaler Ebene kann nur das geschützt werden, was an Kunst und Kultur im eigenen Land ermöglicht wird. Ohne das große persönliche Engagement der Initiatoren wäre dieses Festivals schlicht nicht möglich gewesen.

    Doch gleichzeitig ist so ein großes und leuchtendes Projekt auch auf die Unterstützung durch die nationale Regierung und die lokalen Autoritäten angewiesen. Ich wünsche diesem wunderbaren Festival, dass es diese Unterstützung auch in Zukunft erfährt und sich mit dieser Hilfe weiterentwickeln und erweitern kann. Dies ist umso wichtiger, wenn man die Geschichte des Festivals vor Augen hat, die in einer Atmosphäre der Feindseligkeit und Bedrohung begann.

    Die positive Entwicklung des Festivals ist ein Zeichen für den positiven Weg in eine Richtung, in der in hoffentlich naher Zukunft das Ende des langen Krieges im Land und damit einer Befriedung steht.

    In diesem Sinne spricht mir die Urteilsbegründung des Right Livelihood Awards aus dem Herzen. Dem Festival wurde die Auszeichnung verliehen: „…for showing how creativity, beauty, free expression and community can flourish amongst and overcome even deeply entrenched fear and violence.“

    Meine sehr verehrten Damen und Herren,
    die UNESCO hat zwar Bogotá zur „Welthauptstadt des Buches 2007“ erklärt, doch die Hauptstadt der Poesie ist zweifelsohne Medellín. Ich wünsche Ihnen auch im Namen der ganzen deutschen Delegation für dieses und die noch vielen kommenden Festivals alles Gute und hoffe, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt noch viel von Ihnen hören werden.

    Herzlichen Dank