Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    15.10.2007

    The cultural dimension of environmentalism

    Vortrag an der Universität Harvard, Massachussetts, USA


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    „Die Geschichte zeigt uns, dass die Natur nicht nur als Gebrauchsgegenstand, sondern vor allem als Bereicherung für die Kultur der Menschen verstanden werden muss. Wir müssen die Natur nicht als unseren Feind betrachten, den es zu beherrschen und überwinden gilt, sondern wieder lernen, mit der Natur zu kooperieren. Sie hat eine viereinhalb Milliarden lange Erfahrung. Unsere ist wesentlich kürzer.“

    Dieses Zitat stammt von Hans-Peter Dürr (*1929), deutscher Physiker und Träger des Alternativen Nobelpreises. Ich möchte sein Credo als Grundlage meines Vortrags nehmen. Denn Hans-Peter Dürr hatte meiner Ansicht nach etwas ganz Wesentliches für die Diskussion um Nachhaltigkeit und Umweltschutz genannt: Es geht darum, voneinander zu lernen und das Fremde, das Andersartige als eine Bereicherung zu verstehen. Hinzu kommt die sinnvolle Verknüpfung der Themen Umwelt, Umweltschutz und Nachhaltigkeit mit dem Gedanken der Kultur. In den folgenden 30 Minuten möchte ich Ihnen diese Gedanken genauer ausführen.

    Dafür habe ich den Vortrag wie folgt gegliedert: Zunächst möchte ich Ihnen eine Einblick in die Entwicklung der Begriffe Umweltschutz und Nachhaltigkeit geben und anschließend auf deren Zusammenhang mit Kultur und Kulturpolitik eingehen.

    Umweltschutz oder Nachhaltigkeit sind keine neuen Themen, doch sind sie in den letzten Jahren mehr und mehr in das öffentliche Interesse gerückt. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist heute nicht mehr eine „domaine reservé“ für internationale Experten. Nein, er ist zu einem international verbreiteten Schlagwort geworden, dem sich Politik, Wirtschaft und Medien gleichermaßen bedienen. Damit verbunden ist auch ein höheres Engagement der Menschen, die sich immer häufiger mit dem Schutz von natürlichen Ressourcen und nachhaltiger Entwicklung beschäftigen. Sei es in Europa oder hier, auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA.

    In Europa ist aktiver Umweltschutz wieder in Mode gekommen. Immer mehr Menschen wollen sich im Alltag für die Umwelt stark machen. Man isst wieder „Bio“, man kleidet sich „Bio“. Ich halte das für eine erfreuliche Tendenz, doch gleichzeitig warne ich davor, in die Falle des so genannten medienwirksamen „Ökologismus“ tappen.

    In den Medien vergeht kein Tag ohne einen Bericht oder eine Sendung über die Folgen des Klimawandels und die daraus resultierenden Gefahren für Mensch und Umwelt. Das ist auch gut so, denn die Menschen fragen sich, was sie als Einzelperson für den Umweltschutz tun können. Andererseits werden Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit von vielen Seiten instrumentalisiert. Vielversprechende Initiativen sind häufig nichts anderes als purer Aktionismus einiger Wirtschafts- und Medienkonzerne. Das haben wir erst kürzlich bei der internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main gesehen. Noch nie zuvor hat der Umweltschutz auf der weltgrößten Automobilmesse eine so große Rolle gespielt. Wir müssen ehrlich zu uns sein: Auf der einen Seite ist es gut und schön, wenn die Automobilindustrie sparsamere Autos, z.B. mit Hybridtechnologie, entwickelt. Auf der anderen Seite ist es aber scheinheilig, wenn Automobilkonzerne gleichzeitig „Benzinfresser“ im Luxus- oder Geländewagenbereich auf den Markt bringen. Das kann nicht die große ökologische Wende sein, welche die Automobilbranche in der letzten Zeit so lautstark anpreist.

    Ich habe den Eindruck, dass einem ganz wesentlichen Aspekt in der Diskussion um Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu wenig Gehör geschenkt wird, nämlich der Rolle der Kultur für den Umweltschutz und die nachhaltige Entwicklung. Sie mögen sich fragen: Was haben Nachhaltigkeit und Umweltschutz mit Kultur zu tun? Vielleicht fallen ihnen auf den ersten Blick nur wenige Berührungspunkte ein, doch wir werden bei näherer Betrachtung viele Gemeinsamkeiten, wenn nicht sogar Abhängigkeiten finden.

    Ich gehe sogar noch weiter und sage: Kultur, Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind Querschnittsthemen, die sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängen. Ohne kulturelles Wissen kein Umweltschutz, ohne Kultur keine nachhaltige Entwicklung. Die Kultur hat einen wesentlichen Einfluss auf den Umweltschutz und die Definition von Nachhaltigkeit. Sobald wir uns zu Umwelt, Umweltschutz und Nachhaltigkeit äußern, vermitteln wir gleichzeitig ein Bild unserer Kultur. Und da Kulturen von Land zu Land verschieden sind, wird auch der Umweltschutz ganz unterschiedlich gelebt und erlebt.

    Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. In Deutschland verbindet man Umweltschutz und Nachhaltigkeit immer mit Ökologie. In anderen europäischen Ländern werden Umweltschutz und Nachhaltigkeit als ein Entwicklungsthema betrachtet. Dort denkt man in Zyklen, während die Deutschen eher linearen Strukturen denken. Das sieht man am Beispiel der Mülltrennung sehr gut. Über Jahre hinweg hat man die Deutschen für ihre vier oder fünf Mülleimer belächelt, mit denen wir den Müll sorgfältig nach Papier, Glas, Plastik und organischen Abfällen trennen. Praktisch heißt das: Ich trenne meine Abfälle, weil ich Verantwortung für mich und mein Handeln übernehme und Rücksicht auf die Natur nehme. Heute findet man dieses Modell in vielen anderen europäischen Ländern. Es hat also eine Veränderung im kulturellen Bewusstsein hin zu einer „Kultur der Nachhaltigkeit“ stattgefunden.

    Aber was bedeutet denn „Kultur der Nachhaltigkeit“ überhaupt? „Kultur der Nachhaltigkeit“ sagt, dass wir unsere Lebensweisen und unsere Konsumgewohnheiten an den Zielsetzungen nachhaltiger Entwicklung ausrichten. Die Kultur wird dabei als eine bewusst gestaltete Organisation unserer Lebenszusammenhänge verstanden. Sie ist also kein statisches Gebilde, sonder wandelbar durch unser Verhalten.

    Um den Begriff der „Kultur der Nachhaltigkeit“ auf eine Grundlage zu stellen, müssen wir uns dem Thema Umweltschutz zuwenden.

    Dieser Begriff hat seine Wurzeln in der Kultur, weil er die kulturelle Auffassung der Welt, der Natur und der Beziehungen zwischen Mensch und Natur widerspiegelt. Wie wir die Natur wahrnehmen, das ist also zu allererst eine Frage unserer Kultur. Einerseits macht uns die ungezähmte und wilde Natur Angst, andererseits fasziniert sie uns in ihrer ganzen Vielfalt. Auf diesem Gedanken beruhen auch die ersten Umweltschutzbewegungen. Ihnen ging es nämlich darum, die natürlichen Schätze zu erhalten, nachdem sie sich ihrer Existenz bewusst geworden waren. Und so ist z.B. die Gründung der ersten Nationalparks im 19. Jahrhundert eine logische Konsequenz aus der Kultur der Menschen und dem Wunsch, die Natur zu schützen und zu bewahren.

    In den Vereinigten Staaten ist der Dichter und Schriftsteller Henry David Thoreau als Vorreiter für den Umweltschutzgedanken in die Geschichte eingegangen. Sein Werk Walden aus dem Jahre 1848 ist ihnen vielleicht ein Begriff. Darin beschreibt er seine Vorstellung von wilderness, also von der Natur in ihrem ursprünglichen und unberührten Zustand. Zwei Jahre lang lebte Thoreau in Walden Pond/Massachusetts und verbrachte seine Zeit damit, sich ganz der Natur zu widmen. In seinem Buch spricht Thoreau von der Einheit zwischen Mensch und Natur, die er in dieser Zeit zu schätzen gelernt hat. Er beschreibt die Harmonie, die Menschen spüren, wenn sie in und mit der Natur leben. Diese Berichte von Thoreau sind bis heute die Grundlage für das Umwelt- und Naturbewusstsein in den USA.

    Es wird Sie nicht überraschen, dass sich Thoreau mit seinen Äußerungen über das kulturelle Zusammenspiel von Mensch und Natur nicht nur Freunde gemacht hat. Vor allem auf politischer und wirtschaftlicher Ebene ist er auf harsche Kritik gestoßen. Der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und umweltverträglichen Verfahren sehen wir ja bis heute. Und schon damals wurde wirtschaftlichen Interessen Vorrang gegeben und natürliche Ressourcen gedankenlos ausgebeutet. Für Umweltschützer wie Thoreau war die kurzfristige wirtschaftliche Nutzung der Natur ein langfristiger geistiger und kultureller Verlust für die Menschheit. Anstatt der Bauholz- und Ölindustrie größere Renditen zu bescheren, forderte er den schonenden Umgang der Ressourcen. Der Umweltschutz ist also keine neue Idee von fanatischen Aktivisten, die sich an Bäume fesseln, Sitzblockaden errichten oder wie ich selbst früher in Greenpeacebooten Schiffe daran hindern, Abfälle und Gifte in die Meere zu kippen. Nein, Umweltschutz ist eine grundlegende Eigenschaft der menschlichen Kultur.

    Ich möchte Sie daran erinnern, was Kultur denn eigentlich bedeutet. Kultur ist die Rückbesinnung auf unsere Lebensgrundlagen. Es hat in dieser Sicht nichts mit dem Begriff der Kunst zu tun. Die Kultur setzt sich aus unserer Sprache, unseren Riten und Sitten, unseren Traditionen, unserem Glauben, kurz, aus unserer Weltanschauung zusammen. Die kulturelle Dimension des Umweltschutzes ist kein oberflächlicher Gedanke. Kultur ist ein unentbehrliches Mittel für den Umweltschutz und den nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

    Und dort sind wir schon beim nächsten Schwerpunkt meines Vortrages: der Begriff der Nachhaltigkeit. Wenn man an Kultur und Umwelt denkt, dann denkt man heute automatisch auch an Nachhaltigkeit. Denn sowohl im Umweltschutz als auch in der Kultur dreht sich vieles um diese Frage. Was bringt uns der Umweltschutz? Welchen Wert hat die Kultur für unsere Nachkommen?

    Bevor ich fortfahre, möchte ich den Begriff Nachhaltigkeit klar bestimmen. Denn man hört dieses Wort viel zu oft, ohne es mit einem konkreten Inhalt zu verbinden. Egal ob politisch oder wirtschaftlich: Viele schmücken sich mit diesem Wort während es inhaltsleer bleibt.

    Schauen wir einmal auf die Grundbedeutung des Wortes Nachhaltigkeit. Der Begriff beschreibt Vorgänge jeder Art, die über einen längeren Zeitraum stattfinden. Aber was heißt das praktisch? Die deutsche Bezeichnung „nachhaltig“ wurde erstmals am Anfang des 18. Jahrhunderts in der Forstwirtschaft verwendet. In seiner Schrift „Sylvicultura Oeconomica“ von 1713 beschrieb Hans Carl von Carlowitz die Bewirtschaftung eines Waldes, bei der nur so viel Holz genommen wird, wie nachwachsen kann. Der Wald soll sich also regenerieren können und dem Menschen langfristig zur Verfügung stehen können.

    Heute wird Nachhaltigkeit immer häufig mit dem Begriff der Zukunftsfähigkeit in Verbindung gebracht. Ich finde, dass Zukunftsfähigkeit die gelungenste Deutung für Nachhaltigkeit ist und den Gedanken, von dem, was wir mit Umweltschutz erreichen wollen, auf den Punkt bringt: Wir wollen unsere Erde fit für die Zukunft machen und den kommenden Generationen geeignete Lebensgrundlagen überlassen.

    Erlauben Sie mir, Ihnen in einer kurzen Chronologie zu veranschaulichen, wo die Wurzeln des Nachhaltigkeitsbegriffes liegen und inwiefern sich der Begriff der Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat.

    Anfang der 1970er Jahre wurde zum ersten Mal von Nachhaltigkeit gesprochen. Auslöser für diese damals neue Diskussion war nicht zuletzt die „Ölkrise“, die uns allen die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen deutlich vor Augen führte. Nachhaltigkeit hat man damals ausschließlich mit der Wirtschaft in Verbindung gebracht. Die Idee, dass der Nachhaltigkeitsgedanke maßgeblich von der Kultur der Menschen geprägt wird, das sah man damals noch nicht.

    In seinem Bericht „The Limits of Growth“ von 1971 macht Dennis L. Meadows auf die Gefahr von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum für die natürlichen Ressourcen aufmerksam. Für Meadows war damals schon klar: Wenn wir nicht behutsam mit unseren natürlichen Ressourcen umgehen, dann werden wir auch die Bedürfnisse der wachsenden Weltbevölkerung nicht decken können. Was Meadows damit ausdrückte, war nichts anderes als der Nachhaltigkeitsgedanke. Gleichzeitig vermittelte Meadows damit auch seine Vorstellung von der Welt, vom Umgang mit natürlichen Ressourcen, was wiederum durch seine Kultur geprägt wurde. Woran damals noch keiner gedacht hatte: Nachhaltigkeitspolitik macht keinen Sinn, wenn soziale und kulturelle Komponenten einfach ignoriert werden.

    Seinen Durchbruch erlebte der Begriff „Nachhaltigkeit“ erst im Jahr 1987. Im Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung wurde damals zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Entwicklung gesprochen. Darin wird dem Produzieren ohne Rücksicht auf die Interessen der nachfolgenden Generationen eine Absage erteilt und das Konzept einer dauerhaften, zukunftsfähigen und nachhaltigen Entwicklung vorgestellt.

    Es ging also nicht nur darum, wie wir die natürlichen Ressourcen nutzen und gleichzeitig für künftige Generationen bewahren können. Nein, im Brundtland-Bericht beschäftigte man sich erstmals mit der Frage: Wie können wir dafür sorgen, dass alle Menschen Zugang zu den Ressourcen haben und diese gerecht verteilt sind?

    Wie wichtig der Brundtland-Bericht für die Nachhaltigkeitspolitik ist, das sehen wir ja auch daran, dass auf Empfehlung der Brundtland-Kommission 1992 die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung stattfand.

    Während dieser Konferenz in Rio de Janeiro wurde mit der Agenda 21 der Grundstein für ein weltweites Aktionsprogramm zur Nachhaltigen Entwicklung gelegt. Und auch wenn kulturelle Aspekte damals nicht in die Agenda 21 aufgenommen wurden, so spielte Kultur doch eine Rolle bei den Diskussionen in Rio.

    Ich erinnere mich noch an die Debatte auf der Rio-Konferenz, aus der das Magische Dreieck, das so genannte „Drei-Säulen-Modell“ hervorging, eine Diskussion, in der es wirklich spannend war, zu sehen, wie die unterschiedlichen Kulturen und ihre Konzepte von Nachhaltigkeit aufeinandertrafen. Unter dem Begriff des „Drei-Säulen-Modells“ einigte man sich darauf, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinander verbunden werden sollen. Nachhaltigkeit wurde zum Leitmotiv der internationalen Politik erklärt. Das war neu und damit auch das Ziel, eine ausgewogene Balance zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Lebensperspektiven zukünftiger Generationen zu finden.

    Dazu kommt der kulturelle Gedanke. In der Erklärung von Rio heißt es: „(…) Die nachhaltige Entwicklung ist die Grundlage für den Erhalt und für die weltweite Förderung der kulturellen Vielfalt (…)“. Die Kultur hatte also Einzug in die Nachhaltigkeitspolitik gehalten.

    In den Jahren nach Rio hat sich Europa in erster Linie mit den Säulen Ökonomie und Ökologie beschäftigt. Aber auch die Beteiligung von Frauen und von Jugend oder die Rolle von Demokratie waren Themen, über die in Europa hitzige Debatten geführt wurden. Ich weiß noch genau, wie schwierig es anfangs war, die Agenda 21 in den Kommunen zu verankern. Ein Grund dafür waren die vielen unterschiedlichen Aspekte, die in der Agenda 21 enthalten sind und die alle eine sehr wichtige Rolle spielen.

    Eine wichtige spätere Etappe war die UNESCO-Konferenz zu Kultur und Entwicklung von 1998. Diese Konferenz war ein Quantensprung für die Nachhaltigkeits- und Kulturpolitik. Dort wurde nämlich Nachhaltige Entwicklung als Grundlage für den Erhalt und die weltweite Förderung der kulturellen Vielfalt anerkannt.

    Das Thema hat auch in den Jahren nach der UNESCO-Konferenz nichts an Aktualität eingebüßt. Ganz im Gegenteil. Das haben wir auf dem „Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung“ 2002 in Johannesburg ganz deutlich gesehen. Dort sollte nämlich überprüft werden, inwieweit die Beschlüsse und Programme der Agenda 21 umgesetzt worden waren. Woran es in der Agenda 21 ganz offensichtlich noch mangelte, war eine breite soziale und kulturelle Einbettung. Deshalb hat man das „Drei-Säulen-Modell“ Wirtschaft, Umwelt und Soziales um eine vierte kulturelle Säule ergänzt.

    Ich bin davon überzeugt, dass die Aufnahme der Kultur ein ganz wichtiger Schritt in der Nachhaltigkeitsdebatte war. Bislang hatte man die Diskussion nämlich auf technische und umweltpolitische Fragestellungen verengt. Außerdem wussten nur wenige Experten, worum es bei Nachhaltiger Entwicklung eigentlich geht. Das hat sich seitdem glücklicherweise geändert.

    Ich freue mich, dass in den vergangenen Jahren eine öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist, die Nachhaltige Entwicklung und ihre kulturelle Voraussetzungen verbindet. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die sich für die Weiterentwicklung der Agenda 21 und der kulturellen Dimension der Debatte um Nachhaltigkeit stark machen.

    Besonders wichtig erscheint mir hier das „Tutzinger Manifest“ aus dem Jahre 2002. Es ist eine direkte Reaktion auf die Weltkonferenz in Johannesburg, in dem es unter anderem heißt: „[…] Das Konzept Nachhaltige Entwicklung kann und muss in der Weise vertieft und weiterentwickelt werden, dass es gleichberechtigt mit Ökonomie, Ökologie und Sozialem auch Kultur als Dimension umfasst. […] Eine Zukunftsperspektive kann in einer eng verflochtenen Welt nur gemeinsam gesichert werden. Globalisierung braucht interkulturelle Kompetenz im Dialog der Kulturen. […]“.

    An diesem Punkt sind wir nun inmitten der aktuell die Tagesordnung bestimmenden Diskussion angekommen. In einer globalisierten Welt brauchen wir den interkulturellen Dialog, um den Nachhaltigkeitsgedanken voranzubringen. Wir sollten die Globalisierung als Chance für die Nachhaltige Entwicklung begreifen. Denn wo sonst hätten wir die Möglichkeit, Vergleiche anzustellen, positive und negative Aspekte der einen wie der anderen Kultur zu begreifen und sich damit auseinanderzusetzen? (Bsp. G8-Gipfel Deutschland) Die Herausforderung für die Nachhaltige Entwicklung sehe ich darin, diese unterschiedlichen Kulturen zusammen zu bringen, das Gemeinsame und das Trennende sichtbar zu machen und sich ständig mit den rasanten Änderungen der Gesellschaften und ihrer Kultur auseinanderzusetzen.

    Wir brauchen die kulturelle Vielfalt, den Austausch zwischen den Kulturen, um den Nachhaltigkeitsgedanken und uns selbst weiter zu entwickeln. Kultur und Nachhaltigkeit leben ja durch das Zusätzliche, durch das Neue, was uns weiterbringt. Denn wir wollen ja nicht immer nur den Kölner Dom in Deutschland oder hier in Boston die Boston Cathedral reparieren, was gewiss nachhaltig im Sinne ihrer Erhaltung ist. Aber schaffen wir damit etwas Neues? Wir brauchen ein Mehr an Toleranz, an Wissen, an Vielfalt und vor allem mehr gemeinsame Aktivitäten. Hier müssen wir meiner Ansicht nach ansetzen.

    Unsere Erziehung und unsere Erfahrungen prägen unser Umweltbewusstsein maßgeblich. Ich halte es deshalb auch für einen Trugschluss, wenn man den Menschen ein Umweltbewusstsein wie eine Käseglocke überstülpen will.

    Umweltschutz fängt häufig im Kleinen an. Kommunale Projekte bewirken häufig mehr als groß angelegte Initiativen. Viel zu lang hat man so getan, als ob Umweltschutz etwas Kompliziertes sei. Damit ist glücklicherweise Schluss. Denn immer häufiger mischen sich die Menschen ein, ergreifen die Initiative und wollen aktiven Umweltschutz betreiben.

    Waren Sie schon einmal auf einer Tupper-Party? In Deutschland gibt es einen neuen Trend. Bei uns erleben die so genannten Ökostrom-Wechsel-Parties einen regelrechten Boom. Bei diesen Partys geben Experten Auskunft über Ökostrom und beantworten Fragen zum Wechsel. Zunächst im heimischen Wohnzimmer organisiert, geht das so genannte „Weltrettungsteam“ jetzt bereits auf Tour durch andere deutsche Städte. In Leipzig wurde die vierte Wechsel-Party gar schon von einem Kinderfest und Musik eingerahmt.

    Ich freue mich, dass immer mehr Menschen, aber auch Firmen und Kommunen die Zeichen der Zeit erkannt haben. Da formiert sich „Bürgersolarkraftwerke“, die die Nutzung der Sonnenenergie vorantreiben wollen. Da steigen Kommunen auf Ökostrom um und sind bereit, auch etwas mehr Geld für die „saubere Elektrizität“ auszugeben. Die Initiative hat für mich noch eine weitere Komponente: Sie zeigt, dass Umweltschutz auch Spaß machen kann und Menschen zusammenbringt.

    Das „Etwas-miteinander-Tun“ spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle. Ich finde, dass Erziehung und Erfahrungen die Schlüssel zu für ein höheres Bewusstsein gegenüber der Umwelt sind. Das ist nicht immer ganz einfach, denn wie kann Kindern vermitteln, dass Bäume und Pflanzen unentbehrlich für unsere Existenz sind, wenn mehr und mehr Kinder und Jugendliche den ganzen Tag vor dem Computer oder dem Fernseher sitzen?

    Dazu möchte ich Ihnen ein ganz praktisches Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Mein Wahlkreis liegt in einer ländlichen Region südlich von Hamburg. Dort haben wir mehrere Naturkindergärten, in denen Kinder ganz spielerisch mit der Natur und der Umwelt umzugehen lernen. Die Kinder werden dort für ökologische Zusammenhänge sensibilisiert und lernen, den Wald als Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu schätzen. Solche Initiativen finde ich ganz wunderbar. Denn dort wird der Grundstein für das Umweltbewusstsein gelegt und deshalb setze ich mich auch dafür ein, dass gerade Projekte für Kinder gefördert werden.

    In der Schule können solche Initiativen problemlos weitergeführt werden. Schulklassen könnten zum Beispiel ihre eigene Agenda 21 verfassen und gemeinsam mit der Gemeinde konkrete Umweltschutzprojekte ins Leben rufen. Solche Maßnahmen bringen Kinder und Jugendliche dazu, Verantwortung zu übernehmen und über die Konsequenzen ihres Handelns nachzudenken. Dasselbe gilt natürlich auch für Erwachsene, die mit Initiativen für das Thema Umweltschutz sensibilisiert werden können.

    Nachhaltiger Umweltschutz ist immer mit einer Verhaltensänderung und einer kulturellen Änderung verbunden. Das geschieht nicht von heut' auf morgen, sondern ist ein langer Lernprozess. Wenn man das erkannt hat, dann weiß man auch, dass Vielfalt nicht nur nachhaltig ist, sondern dass Vielfalt auch ein Garant für Stabilität ist. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel aus der Natur geben. Gegenwärtig werden weltweit nur noch vier Weizensorten gezüchtet. Wenn in einer dieser Sorten irgendein Fehler auftritt, dann bricht ein riesiger Teil des Versorgungssystems zusammen. Die Stabilität von Systemen ist also nur durch ihre Vielfalt nachhaltig gesichert.

    Die biologische und kulturelle Vielfalt kennen- und schätzen zu lernen, darum geht es in den aktuellen Debatten um Nachhaltigkeit und Globalisierung. Wir sehen ja, dass diese Diskussionen immer mit kulturellen Konflikten verbunden sind. Die Frage, ob man zum Beispiel in internationale Vereinbarungen überhaupt ökologische und soziale Gesichtpunkte einbeziehen will, ist immer eine Frage der kulturellen Unterschiede.

    In Europa legen wir sehr viel Wert auf die kulturelle Vielfalt der einzelnen Länder und Regionen. Die kulturelle Vielfalt und Unterschiedlichkeit wird in den Diskussionen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union grundsätzlich miteinbezogen. In Frankreich spricht man sogar von der „exception culturelle“, d.h. Kultur wird nicht wie alle anderen verkäuflichen Güter gesehen, wenn es darum geht, kulturelle Besonderheiten in die Globalisierungsdebatten zu integrieren.

    Auch auf der Weltbühne spielt diese Überlegung eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang mit dem GATS-Abkommen ist beispielsweise die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt von großer Bedeutung. Leider mit Ausnahme der USA haben hier alle Mitgliedsstaaten im Oktober 2006 für das Abkommen gestimmt und damit deutlich gemacht, dass Kultur kein Wirtschaftsgut ist, sondern zuallererst Kulturgut und deswegen besonderen Schutzes bedarf. Das war ein großer Erfolg, über den ich sehr froh bin.

    Das alles sind sehr wichtige Ansätze, die auch für die Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte von Bedeutung sind. Doch was verbinden wir denn überhaupt mit dem Nachhaltigkeitsgedanken? Wir wollen lebendige, vielseitige und aufregende Beziehungen, so wie uns auch Kultur- und Umweltprojekte anregen, uns gegenseitig auszutauschen und gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.

    Genau diesen Austausch zu fördern, darum geht es in der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Diese ist grundlegend verschieden zur foreign policy. Wir wollen Dialoge zwischen den Menschen in Gang bringen, um so zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu kommen. Wir wollen unsere friedlichen Werte wie Demokratie und Menschenrechte transportieren und gleichzeitig von anderen Kulturen etwas lernen. Wenn wir die kulturellen Hintergründe kennen, dann fällt es uns z.B. auch leichter über die Idee der Nachhaltigkeit als die Suche nach mehr „Lebensqualität für alle“ zu diskutieren.

    In diese Richtung zielt unsere neue Initiative „weltwärts“, die wir im September 2007 gestartet haben. Mit diesem neuen Förderprogramm wollen wir es jungem Menschen zwischen 18 und 28 Jahren leichter machen, nach der Schule oder der Ausbildung in Projekten in Entwicklungsländern für 6 bis 24 Monate zu arbeiten. Dort werden junge Leute wirklich gebraucht und leben hier den beschworenen kulturellen Dialog. Sie machen wichtige Erfahrungen, die heute von unschätzbarem Wert sind: Sie lernen Fremdsprachen, entwickeln kommunikative Fähigkeiten, haben soziale und ökologische Kompetenz und verbessern ihre kommunikativen Fähigkeiten.

    Insgesamt stellen wir pro Jahr bis zu 70 Millionen Euro für das Projekt zur Verfügung. Allein auf die Ankündigung Anfang des Jahres haben sich über 2000 junge Leute gemeldet. Und ich freue mich, dass dieses Programm von den jungen Menschen so gut angenommen wird. 70 Prozent davon waren übrigens Frauen. Die Bundesregierung hat damit auf die ansteigende Nachfrage an Freiwilligendiensten reagiert. Immer mehr junge Menschen interessieren sich im Zuge der Globalisierung für einen Freiwilligendienst in Entwicklungsländern. Was man dort tun kann? Zum Beispiel AIDS-kranke Kinder in Südafrika betreuen, Solaranlagen in Tansania aufbauen helfen oder in einer Grundschule in Indien mitarbeiten. Die jungen Leute wollen sich engagieren und etwas bewegen. Für mich ist das ein Zeichen, dass die Debatte um Nachhaltigkeit, Umweltschutz und kulturellem Austausch unser Lebensgefühl bereits beeinflusst hat.

    Diese Sensibilität und das Bewusstsein für Umwelt und Kulturen zu fördern, darin sehe ich eine sehr wichtige Aufgabe für die Kulturpolitik. Kultur ist kein universelles Wundermittel. Aber sie fördert das Bewusstsein und ist Grundlage für Zufriedenheit, für Weiterentwicklung und für ein friedliches Miteinander. Deshalb brauchen wir ein Mehr an Kultur, damit junge Leute Werte miteinander teilen anstatt sich den Kopf mit Nebensächlichkeiten wie Soap Operas oder Modemarken vollzustopfen.

    Ghandi hat einmal gesagt: „There's enough for everybody's need, but not enough for everybody's greed. “ Ich finde, dass dieser Satz den Sinn und Zweck der Nachhaltigkeits- und Kulturpolitik genau trifft. Der Sinn des Lebens besteht nämlich nicht darin, möglichst viel zu konsumieren, sondern bewusst und verantwortungsvoll mit sich und seiner Umwelt umzugehen.

    Das ist das Ziel der Nachhaltigkeit. Und ich habe den Eindruck, dass wir - auch wenn wir in manchen Regionen und Ländern der Welt noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen - international auf dem richtigen Weg sind. Die Kultur ist Mittel zum Zweck: Es geht darum, den Dialog der Kulturen zu fördern und gleichzeitig internationale Nachhaltigkeitspolitik zu machen.

    Kultur ist nicht passiv. Kultur ist etwas, was man schafft und nicht etwas, was man verbraucht. Sie lebt, bewegt sich und entwickelt sich in ihrer Vielfalt. Und hier sehe ich auch die Schnittstelle mit der nachhaltigen Entwicklung und dem Umweltschutz.

    Wir müssen es schaffen, die Menschen noch mehr zu sensibilisieren. Wir müssen noch mehr über uns, unsere Umwelt und über andere Kulturen lernen. In diesem Sinne freue ich mich auf Ihre Fragen und die Diskussion und danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.