Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    05.06.2009

    Rede: Computerspiele als Kulturgut


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Mitte März, kurz nach dem Amoklauf in Winnenden, hatten wir im Bundestag eine aktuelle Stunde zu diesem schrecklichen Ereignis. Ich habe eine Rede im Plenum gehalten und darin einen Fehler gemacht. Ich habe gesagt, dass ich sehr froh darüber bin, dass wir gegenüber Erfurt und Emsdetten in der politischen Kultur ein wichtiges Stück vorangekommen zu sein scheinen, weil bis dahin überwiegend besonnene Kommentare und Vorschläge zu hören waren.

    Doch ich musste merken, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben soll. Je größer der Profilierungsdrang mancher Politiker und je größer der Druck der Medien wurde, desto schneller wurden in Tagen darauf wieder monokausale und einfache Erklärungen vorgeschoben. Diese hatten leider wie so oft schon Neue Medien, Computerspiele und auch das Waffenrecht zum Ziel.

    Sie dürfen mich jetzt nicht falsch verstehen. Ich selbst glaube auch, dass wir beim Waffenrecht an einigen Punkten für noch mehr Sicherheit der Menschen sorgen können. Genau darüber verhandeln wir ja derzeit im Bundestag. Und ich bin auch der Überzeugung, dass der Jugendmedienschutz noch effektiver funktionieren kann und muss.

    Aber es bringt überhaupt nichts, wenn mit Verbotsforderungen vermeintliche Lösungen vorgegaukelt werden, denn das lenkt von den wahren Problemen ab. Richtig ist, dass es Menschen und darunter auch Jugendliche gibt, die wegen ihres Hangs zu Gewalt zu Waffen und gewalthaltigen Computerspielen greifen. Aber das trifft nun beileibe nicht auf alle ComputerspielerInnen und WaffenbesitzerInnen zu.

    Ein Arzt würde sagen, das sind Symptome für eine Krankheit aber die Auslöser dafür sind sie nicht.

    An dieser Stelle wollen wir uns näher mit Computerspielen beschäftigen. In diesem Bereich haben wir in den letzten Jahren viel dafür getan, dass wir in Deutschland inzwischen eines der wirksamsten Systeme für den Jugendmedienschutz in Europa haben. Aber ich halte es eben für selbstverständlich, dass wir politisch weiter diskutieren müssen, was unabhängig davon zu tun ist, damit wir nicht die Symptome, sondern die Ursachen bekämpfen.

    Wir müssen uns eben gerade mit der aufsuchenden Sozialarbeit befassen und prüfen, wo es Probleme gibt und ob ausreichend Personal vorhanden ist. Und wir müssen das Thema Ganztagsschule noch stärker in den Vordergrund stellen, denn die ist als gemeinsamer Ort für die Kinder und Jugendlichen mit den unterschiedlichsten sozialen Hintergründen nicht nur für den Erwerb von Medienkompetenz eine äußerst wertvolle Chance.

    Leider sehen das Herr Wulf und seine Landesregierung nicht so, was ich für sehr gefährlich halte.

    Ein anderer wichtiger Punkt, ist die viel zu wenig diskutierte Frage nach der Medienkompetenz von Eltern und Lehrern. Wie werden sie aus- und fortgebildet? Wie können sie mit Medien umgehen? Angebote wie „Spielräume“ für Eltern, durch die sie sich ein Bild machen können, womit sich ihre Kinder beschäftigen, gibt es viel zu wenig. Ich glaube, dass wir auch das weiter im Blick behalten müssen. Denn wir können nicht ignorieren, dass die Jugendlichen in der Onlinewelt leben. Wir als Eltern können nur versuchen, das nachzuvollziehen und zu verstehen und dann auch aktiv mit unseren Kindern zu diskutieren.

    Damit streifen wir den Punkt Onlinesucht, den wir ganz sicher in der Diskussion später noch vertiefen werden. Im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages haben wir eine Anhörung dazu gemacht, bei dem wir unter anderem mit Frau Farke diskutiert haben.

    Die Anhörung hat gezeigt, dass es immer mehr Betroffene gibt, denen man helfen muss. Doch dafür müssen die genauen Wirkungszusammenhänge besser erforscht werden. Gleichzeitig muss diese Art der Sucht nicht zuletzt bei der WHO endlich als Krankheit anerkannt werden, damit Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene entwickelt und bereit gestellt werden können. Und wir müssen die Beratungsangebote ausbauen und besser vernetzen. Derzeit stimmen wir in der Koalition gerade einen Antrag zu dem Thema ab, damit dieser noch vor dem Ende der Legislatuperiode durch den Bundestag gehen kann und wir da endlich weiter kommen.

    Meine Damen und Herren,
    ich hoffe, ich konnte Ihnen an diesen Beispielen schon klar machen, dass es politisch angebracht ist, gerade auch in Hinblick auf den Jugendmedienschutz zu konkreten Verbesserungen zu kommen. Aber was auf keinen Fall geschehen darf ist, dass wir ein Medium wie Computerspiele stigmatisieren und damit gleich alle Spielerinnen und Spieler mit. Es mag einfach sein, hier Verbote zu fordern, egal ob aus Unverständnis oder weil die Nutzer noch zu wenig organisiert sind, um sich öffentlichkeitswirksam zur Wehr setzen. Aber genau deswegen müssen wir gemeinsam darauf achten, dass wir unseren Kindern und anderen Spielerinnen und Spielern aller Altersklassen nicht einem Teil ihrer Alltagskultur berauben.

    Damit sind wir auch bei dem Begriff angelangt, der im Titel meines kleinen Impulses anklingt: Kultur. Geht dieser Begriff mit Computerspielen zusammen?

    Der Deutschen Kulturrat meint, ja! Der bundesweite Dachverband hat im August letztes Jahr den G.A.M.E. (Bundesverband der Entwickler von Computerspielen) aufgenommen. Auch damit wird deutlich, dass Computerspiele immer stärker zum Kulturgut werden. Der Film ist es längst und Computerspiele gleichen sich künstlerisch gesehen dem Film immer mehr an. Zahlreiche künstlerische Arbeiten wie die des Drehbuchautors, Musikkomponisten oder Designers tragen zum wachsenden Erfolg von Computerspielen bei.

    Auf Spielerseite, wenn es darum geht, wie diese selbst Computerspiele einschätzen, dann fällt immer recht schnell der Begriff Alltagskultur.

    Das kann man nicht mit einem Kunstanspruch gleichsetzen, aber wie sehr virtuelle Welten über das einzelne Spiel hinaus Eingang in unsere Kunst und Kultur gefunden haben, kann wohl von kaum jemandem mehr bestritten werden.

    Vielleicht entdecken wir in dieser Entwicklung auch nur alte Tugenden und Erkenntnisse wieder. Das jedenfalls denke ich, wenn ich von Friedrich von Schiller den Ausspruch lese:

    „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

    Um solche alten Weisheiten in Zeiten von virtuellen Welten ebenso zur Geltung zu bringen, haben wir uns auch von Seiten des Deutschen Bundestages engagiert.

    Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Bundestagsfraktion habe ich einen Preis für qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele initiiert, der auch bei der politischen Debatte weiterhelfen kann. Wir wollen positive Spiele bekannt machen, wodurch ja auch der Blick auf Computerspiele insgesamt wieder differenzierter wird. Dieser Preis heißt „Deutscher Computerspielpreis“ und er wurde am 31. März dieses Jahr vergeben. Da ich selbst Jurymitglied gewesen bin, habe ich selbst inzwischen einen ganz guten Einblick was es derzeit so gibt und muss Ihnen sagen, es ist sehr vielfältig und beeindruckend.

    Die vergebenen Preisgelder müssen im Übrigen wieder für neue Spiele genutzt werden. So erreichen wir, dass mehr hochwertige und wertvolle Computerspiele in Deutschland produziert werden können. Und wir machen auch deren Wert für die Kultur und die Kulturwirtschaft deutlich.

    Im Übrigen werden gerade in Deutschland in erster Linie Spiele hergestellt, die Kategorien wie Strategie, Sport oder Wissen zuzuordnen sind. Gewaltspiele kommen zuallererst aus anderen Ländern und deswegen ist es gut, wenn wir mit einem Preis die Produktion von kulturell und pädagogisch wertvollen Spielen hier vor Ort fördern.

    Die Signalwirkung der Preise war ein zentraler Gedanke unserer Initiative und ich glaube, dieses Signal ist von der Premiere auch ausgegangen. Und dieser Preis ist ebenso im Sinne der Stärkung von Medienkompetenz, was uns ein besonderes Anliegen ist. Mit Verboten macht man Dinge besonders schnell besonders interessant. Wenn wir wirklich etwas für den besseren und verantwortungsbewussteren Umgang mit Medien tun wollen, dann müssen wir gerade bei der Medienkompetenz ansetzen. Mit unserem Preis schaffen wir genau das: positive Beispiele zu zeigen, die nicht nur ungefährlich, sondern vor allem gut gemacht und kulturell sowie pädagogisch wertvoll sind und geben damit positive Kaufempfehlungen.

    Wir wollen, dass in Deutschland noch mehr gute Spiele produziert werden und die Branche auch Anschluss an den internationalen Markt finden kann. Denn Computerspiele und andere interaktive Unterhaltungsmedien werden nicht nur kulturell und gesellschaftlich immer wichtiger, sondern eben auch technologisch und wirtschaftlich. Die Computerspiel-Branche hat gemessen am Umsatz die Filmwirtschaft längst überholt. Aber gleichzeitig muss man feststellen, dass weniger als 10 Prozent aller in Deutschland gekauften Spiele auch hier produziert sind. Das ist schade, denn so bleibt eine kulturelle und wirtschaftliche Chance ungenutzt.

    Das haben auch einige Bundesländer inzwischen erkannt und sie legen Wirtschaftsförderprogramme auf, damit mehr Spiele hier entwickelt werden. Genau wie das beim Film mit dem Deutschen Filmförderfonds seit einigen Jahren wunderbar funktioniert, können wir damit erreichen, dass sich eine Zukunftsbranche auch bei uns in Deutschland entwickelt und damit gleichzeitig, dass mehr Spiele mit Inhalten unserer Kultur Verbreitung finden und gespielt werden.

    Ich denke, das ist eine gute Perspektive – in jedem Fall eine bessere als die, Computerspiele zu verbieten.

    Ich hoffe, ich habe mit meinem kleinen Impuls ein paar Anregungen und Stoff für die Diskussion liefern können, denn darauf freue ich mich jetzt.

    Vielen Dank