Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    Juni 2004

    Europas Medien und kulturelle Vielfalt


    Die Fragen nach der Sicherung kultureller Vielfalt in Europa (und anderswo) werden immer dringlicher. Nicht zuletzt die GATS-Verhandlungen haben gezeigt, dass kulturelle Dienstleistungen und mediale Produktionen mitnichten Waren wie Eier, Butter oder Würste sind. Sie sind zwar handelbar, aber eben nicht ausschließlich ein Wirtschaftsgut. Auch die UNESCO hat sich an die Arbeit gemacht, um die kulturelle Vielfalt weltweit zu schützen. Die Einsicht, dass kulturelle und künstlerische Produkte und Dienstleistungen das (wirtschaftliche) Potenzial der Zukunft sind, greift immer mehr um sich. Es ist also klar, dass die kulturelle Vielfalt in Europa gewahrt bleiben muss. Und weil diese Vielfalt mit dem geographischen Raum zusammenhängt, in dem sie entsteht, gibt es einen Bezug zwischen Kultur und Territorium. Das gilt auch für die Medien, wenn man Medien jeglicher Art als kulturelles Produkt begreift.

    In der Europäischen Union gilt die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“, die auf dem Prüfstand steht. Sie ist zu eng gefasst und nicht geeignet, eine wirkliche Freiheit der Medien in Europa zu unterstützen. Genau das aber brauchen wir, und zwar umso mehr, je größer diese Union wird. Ich glaube, dass Europa nur dann wirklich zusammen wachsen kann, wenn wir mehr übereinander lernen. Nach wie vor ist das Unwissen über unsere Nachbarn zu groß, als dass in Europa ein Prozeß der Annäherungen statt finden könnte. Auf der politischen Ebene klappt das vielleicht ganz gut, im kulturellen Dialog, d.h. einem Dialog, der auf der Prämisse der Unterschiedlichkeit und gleichzeitigen Toleranz fußt, ist das noch schwierig. Deshalb kommt den Medien die wichtigste Rolle in der europäischen Einigung zu. Und diese Rolle kann nur glaubwürdig erfüllt werden, wenn die Chance besteht, dass sie auf der kulturellen Vielfalt Europas und seiner Territorien beruht. Eine Regionalzeitung aus Sizilien kann sicher besser über Politik auf Sizilien berichten als die RAI. Der Radiosender aus Schleswig-Holstein ist kompetent, über die Minderheiten an der deutsch-dänischen Grenze zu berichten. Eine mediale Vielfalt reflektiert die kulturelle Vielfalt und ist deshalb unerlässlich, denn diese Vielfalt ist Europas Stärke. Andererseits müssen die großen öffentlich-rechtlichen und privaten Sender, die als nationale Programme empfangbar sind, Europa zum Programm machen, wenigstens teilweise. Dazu sind sie durch die erwähnte Fernsehrichtlinie verpflichtet. Mir scheint jedoch dieser Rahmen zu eng zu sein. Laut Europäischer Charta der Grundrechte (Art. 11) muss die Kommission Informationsfreiheit und Medienpluralismus in Europa sichern. Wenn wir keine „McDonaldisierung“ der Medien in Europa haben wollen, ist dies auch dringend geboten. Deshalb ist ein starker öffentlicher Mediensektor in Europa unerlässlich, denn nur wenn ein Sender nicht dem Wettbewerb ausgeliefert ist, kann er einem Bildungs- und Kulturauftrag nachkommen und damit zur Vielfaltssicherung beitragen.

    Die technische Entwicklung der Medien wirft heute Fragen auf, die in der Fernsehrichtlinie nicht berücksichtigt sind. Die Digitalisierung schreitet voran und macht alte Übertragungswege obsolet, Wissen und Informationen gehen heute anders in die Welt und werden anders abgerufen als noch vor 10 Jahren. Das heißt aber auch, dass heute jeder aus jeder Region in Europa in diesem Spiel mitspielen kann, schauen wir nur auf die unendlich vielen privaten Websites, die schon oftmals traditionelle Medien als Informationsquelle über beispielsweise eine Stadt, eine Region oder auch nur die Geschichte eines Gebäudes abgelöst haben. Das abrufbare Wissen wird immer spezifischer, immer zugänglicher und damit auch immer vielfältiger, als wir das bisher gewohnt waren. Das sichert Vielfalt. Das sind gute Voraussetzungen für eine europäische Öffentlichkeit. Dabei sind vor allem die grenzüberschreitenden Regionen in Europa gefordert. In ihnen vermischen sich verschiedene kulturelle Einflüsse zu etwas Neuem, was auch in den Medien seinen Niederschlag finden sollte. Diese Territorien sind der Experimentierraum für ein Europa der Kulturen. Die Fernsehrichtlinie liefert nur den rechtlichen Rahmen für die Koordinierung der nationalen Gesetzgebungen in diesem Bereich. Für eine wirkliche Medienfreiheit über Grenzen hinweg bedarf es eines neuen Rechtsrahmens für alle audiovisuellen Angebote: wir brauchen in Europa grenzübergreifende Zugriffsmöglichkeiten in die Netze, damit Wahlfreiheit und freier Fluß der Informationen gewährleistet sind. Dabei müssen wir darauf achten, dass Medienkonzentrationen und –fusionen keine Gefahr für Pluralismus und kulturelle Vielfalt werden. Hier ist die Kommission gefordert, endlich die vom Europäischen Parlament angemahnte Aktualisierung des Grünbuchs vorzunehmen. In einigen Mitgliedsländern gibt es bereits Systeme, die exklusive Zugangs- und Nutzungsrechte vergeben und somit die Allgemeinheit ausschließen.

    Für das Europabild in den europäischen Medien bedeutet dies eine Einschränkung. Europa findet wenig Raum in der Berichterstattung, schon gar nicht, wenn es um lokale oder regionale Ereignisse und Entwicklungen geht. Es besteht eine Diskrepanz zwischen der staatlichen Einigung in Europa und der gesellschaftlichen Realität eben dieser Einigung. Wer weiß schon, was die berühmte Agrarpolitik der Union wirklich für die Landwirte und Verbraucher in Europa bedeutet? Die Medien müssen sich mehr um diese Aspekte Europas kümmern, um so ihren Beitrag zur europäischen Einigung zu leisten. Sie haben die Aufgabe, die oftmals komplizierte europäische Politik verständlich zu machen, sie zu übersetzen, und damit auch dem Ausland ein Bild von Europa zu liefern, das der Vielfalt und der Einheit in Europa entspricht. Nur so kann langsam bei den europäischen Bürgern auch ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen, das gleichzeitig an die eigene Region und an das ganze Europa gekoppelt ist. Das funktioniert aber nur, wenn es die Chance gibt, die regionale Eigenheit zu behalten und sie im selben Moment als ein Teil des großen Europa zu begreifen. Deshalb ist die Sicherung der kulturellen Vielfalt in Europa so wichtig. Ohne sie gibt es kein Europa. Der Bezugspunkt ist das eigene Territorium und die eigene Region. Die europäischen Medien sollten dies aufgreifen und mit ihrem Produktionen dazu beitragen, dass die Bürger Europas sich repräsentiert und wahrgenommen fühlen und nicht das Gefühl haben, dass alles in Straßburg oder Brüssel über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Denn Vielfalt lässt sich nicht verordnen: sie existiert, muss aber die Chance haben, sich auch zu artikulieren und zu entfalten. Eine spezielle Aufgabe für den deutsch-französischen Kulturkanal „arte“ ist es dabei, neue Wege aufzuzeigen – auch populäre wie Spielshows, um das Bild Europas auch für Deutsche und Franzosen zu erweitern, die weiterhin der Motor des europäischen Prozesses sein sollen.