Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    24.11.2008

    Gesprächsrunde „Les relations culturelles franco-allemandes“

    Maison Heinrich Heine, 24. 11. 2006, 16h15


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    Ich habe die Einladung zu dieser Podiumsdiskussion sehr gerne angenommen. Das Thema dieser Gesprächsrunde „Les relations culturelles franco-allemandes“ scheint mir aus einer Vielzahl von Gründen hoch aktuell zu sein.

    Zunächst möchte ich jedoch der Direktorin des Hauses, Frau Christiane Deussen, zum 50jährigen Bestehen des Maison Heinrich Heine gratulieren. 50 Jahre Maison Heinrich Heine bedeuten gleichzeitig 50 Jahre erfolgreichreiche Kulturpolitik zwischen Deutschland und Frankreich. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der tiefen Gräben in den historischen deutsch-französischen Beziehungen ist die Erfolgsgeschichte des Maison Heinrich Heine keine Selbstverständlichkeit. Hier, in der Cité Universitaire, wurde ab 1956 entscheidend dazu beigetragen, dass sich Studierende beider Länder, aber auch anderer Drittstaaten kennen- und schätzen gelernt haben.

    Die deutsch-französische Kultur- und Bildungspolitik ist kein statisches Gebilde. Es ist ein politisches Instrument, das auf Herausforderungen reagieren muss. Deshalb möchte ich in meinem Beitrag kurz auf drei thematische Schwerpunkte der deutsch-französischen Kultur- und Bildungspolitik eingehen, mit denen wir uns meiner Meinung nach in Zukunft noch intensiver beschäftigen müssen:

    1. Wie können wir die junge Generation erreichen?
    2. Wie können wir Drittländer in die deutsch-französische Kultur- und Bildungsarbeit einbeziehen?
    3. Wie kann die deutsch-französische Kultur- und Bildungspolitik auf Immigration und fehlende Integration reagieren?

    In der Frage, wie wir die junge Generation erreichen können, ist und bleibt die Förderung der Partnersprache das wichtigste Element. Wenn es darum geht, einen lebendigen und zukunftsweisenden Kulturaustausch nicht nur zwischen Frankreich und Deutschland, sondern in ganz Europa zu garantieren, muss die kulturelle und sprachliche Diversität aller bewahrt werden. Eine gemeinsame europäische Einheitskultur wird und soll es nicht geben. Ein gemeinsames europäisches Erbe ist die Basis für einen europäischen Kulturbegriff. Die sprachliche Vielfalt ist ein, wenn nicht sogar das Markenzeichen Europas. Aus diesem Grund müssen wir dafür sorgen, Jugendliche für das Thema Europa und insbesondere für die Sprache des Nachbarn zu sensibilisieren.

    In den vergangenen Jahren traten Deutschland und Frankreich in diesem Bereich allerdings auf der Stelle. Im Jahr 2003 wählten lediglich 8% der französischen Schüler Deutsch als erste Fremdsprache gegenüber 15% zu Beginn der 1990er Jahre. In Deutschland stagnierte die Zahl der Französisch lernenden Schüler in der Sekundarstufe I mit knapp 43% an den Gymnasien und 25% an den Realschulen.

    Dank jüngsten Maßnahmen zur Förderung der Partnersprache, wie zum Beispiel dem „DeutschMobil“ oder dem „FranceMobil“, konnte dieser Trend nicht nur gestoppt, sondern sogar umgekehrt werden. Zum Schulbeginn 2005 erhöhte sich die Zahl der Deutsch lernenden Schüler in der Sekundarstufe von 8% auf 15%. In Deutschland konnte die Zahl der Französischlernenden von 31% im Jahr 2004 auf 35% gesteigert werden. Französisch kann sich als führende Fremdsprache in Deutschland nach Englisch behaupten.

    Inwiefern das deutsch-französische Geschichtsbuch einen Beitrag zu einem höheren Interesse an der Nachbarsprache leisten wird, werden wir in Zukunft sehen. Ich möchte darauf hinweisen, dass meiner Ansicht nach das deutsch-französische Geschichtsbuch ein wirkliches Ereignis ist. Links und rechts des Rheins lernen Schüler der letzten drei Klassen vor dem Abitur ab diesem Schuljahr aus einem inhaltlich identischen Geschichtsbuch. Der Mehrwert des gemeinsamen Lehrbuches liegt vor allem in der parallelen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Betrachtung der Länder. Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen stellt einen wesentlichen Teil des Buches dar.

    Es wird einen kaum hoch genug einzuschätzenden Beitrag dazu leisten, dass sich deutsche und französische Schüler über den Geschichtsunterricht noch besser oder erst richtig kennen lernen. Ähnlichkeiten und Unterschiede zum Nachbarn können noch besser erkannt werden. So lernen deutsche Schüler zum Beispiel, wie die französische Entkolonialisierung verlaufen ist. Dies ist ein Thema, das sicherlich dazu beitragen wird, politische und gesellschaftliche Prozesse in Frankreich zu verstehen. Gerade in Hinblick auf die jüngsten Ereignisse in der Banlieue der Großstädte ist dieser Bereich von großer Bedeutung.

    Französische Schüler hingegen erfahren, wie die Deutschen mit der Vergangenheit des Holocaust umgehen. Vorurteile und Stereotype können auf diese Weise gar nicht erst entstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Blick über den Tellerrand mit Hilfe des deutsch-französischen Geschichtsbuches mehr Interesse am Nachbarn hervorruft und gleichzeitig zur Stärkung einer europäischen Identität in der jungen Generation beiträgt. Es wäre wünschenswert, wenn sich in Zukunft auch andere europäische Partnerländer der Idee eines gemeinsamen Geschichtsbuches anschließen würden.

    Darüber hinaus möchte ich noch auf die politische Bedeutung des Buches hinweisen. Aufgrund der Tatsache, dass Schulbücher in Deutschland Länderangelegenheit sind, versteht es sich die bundesweite Verbreitung des Geschichtsbuches nicht von selbst. Alle 16 Bundesländer haben sich für den Gebrauch des deutsch-französischen Geschichtsbuches ausgesprochen. Dies ist ein Novum in der bundesdeutschen Bildungsgeschichte und unterstreicht die enorme Bedeutung dieses Lehrbuches.

    Die Schule ist und bleibt der Türöffner für das gegenseitige Kennen lernen. Im Rahmen von Schüleraustauschen bilden sie das Rückgrat für die kultur- und bildungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Ich plädiere dafür, dass in Zukunft mehr Lehrkräfte aus dem Nachbarland in der Ausbildung oder während ihrer beruflichen Laufbahn an den deutschen bzw. französischen Schulen zu unterrichten. Die Schüler kommen somit noch mehr in Kontakt mit der Kultur des Nachbarn, was Neugier weckt und zu einem höheren Interesse an Sprache und Kultur des Nachbarlandes führt.

    Ich halte es auch für angebracht, dass Kinder im Kindergarten und in der Grundschule nicht nur mit Englisch, sondern mit einer Nachbar- oder anderen europäischen Fremdsprache in Berührung kommen. Es sollten deutschlandweit Einrichtungen des frühkindlichen Lernens nach dem französischen Modell der école maternelle ins Leben gerufen werden.

    Nun zu meinem 2. Aspekt: Wie können wir Drittländer in die deutsch-französische Kultur- und Bildungsarbeit einbeziehen?

    In einem Europa der 25 darf das deutsch-französische Tandem nicht exklusiv bleiben. Im Bereich der Kulturpolitik haben Deutschland und Frankreich eine Vorbildfunktion eingenommen, die gleichzeitig mit einer großen Verantwortung gegenüber Drittstaaten verbunden ist. Der Trend, andere europäische Partner in das deutsch-französische Boot zu holen, darf keine vorübergehende Erscheinung darstellen. Das Ziel ist, langfristig zu einer gemeinsamen Auswärtigen Kulturpolitik zu gelangen.

    Erste Ansätze in Form von gemeinsamen Projekten in und mit Drittländern sind bereits vorhanden. Dies zeigen u.a. die gemeinsame Unterbringung von deutschen und französischen Kulturinstituten (Glasgow, Ramallah) oder auch der deutsch-französisch-polnische Dialog. Darüber hinaus können deutsch-französische Kulturprojekte in Krisenherden, wie es das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Beziehungen (BBI) zum Beispiel in Israel und Palästina organisiert, friedensstiftend sein.

    Die enge deutsch-französische Abstimmung im internationalen Rahmen hat z.B. bei der UNESCO dazu geführt, dass das Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen verabschiedet wurde. Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ können Deutschland und Frankreich in Abstimmung mit anderen Partnerländern ihren Positionen in Zukunft noch mehr Nachdruck verleihen. Das deutsch-französische Tandem darf sich also nicht isolieren, sondern muss mit seinen europäischen Nachbarn kultur- und bildungspolitisch noch enger zusammenarbeiten.

    Mein 3. Punkt ist entscheidend für den sozialen Frieden in Deutschland, Frankreich und ganz Europa: Ich spreche von Immigration und Integration.

    Das Wiederaufflammen der Unruhen in der französischen Banlieue führen uns vor Augen, welche verherrenden Folgen gesellschaftliche Ausgrenzung, Ghettoisierung, Arbeitslosigkeit und das Fehlen von Perspektiven haben können. In Deutschland haben wir es mit ähnlichen Problemen zu tun: Die Rütli-Schule im Berliner Bezirk Neukölln ist zum Symbol für gescheiterte Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund geworden. Probleme in der Schule, alltägliche Gewalt, desolate Ausbildungs- und Berufsaussichten machen einen sozialen Aufstieg vieler junger Menschen unmöglich.

    Im Gegensatz zu den französischen Jugendlichen der zweiten oder dritten Einwanderergeneration haben deutsche Migrantenkinder nicht selten mit herkunftsbedingten Sprachdefiziten zu kämpfen - eine Konsequenz, die sich sowohl aus der Geschichte und den unterschiedlichen Bildungssystemen in Deutschland und Frankreich ergibt. Um die sprachliche Kompetenz der Jugendlichen zu erhöhen, muss in Deutschland schon im frühen Kindesalter mit der Sprachausbildung begonnen werden. Wie ich bereits erwähnt habe, ist dies in der französischen école maternelle der Fall. Nur so kann die Basis für eine erfolgreichen Bildungsweg gelegt werden.

    Ein wesentlicher Punkt ist zudem: In unseren Ländern fehlt Jugendlichen mit Migrationshintergrund mehrheitlich eine deutsche und/oder französische Identität. Wir dürfen die Jugendlichen nicht alleine lassen. Wir müssen ihnen zeigen, dass sie gleichberechtigte und gleichwertige Teile unserer Gesellschaften sind. Initiativen des Deutsch-Französischen Jugendaustausches (DFJW) wie der Austausch von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus beiden Ländern sind dabei unglaublich hilfreich. Für viele Jugendliche aus den Pariser Vorstädten oder sozialen Brennpunkten in Deutschland kann ein Austausch der erste Kontakt mit dem Nachbarn sein. Dort werden sie erstmals als Deutscher oder Franzose und nicht als „Türke“ oder „jeune beur“ wahrgenommen. Bloße Austauschbegegnungen gehören der Vergangenheit an. In Form von themenorientierten Veranstaltungen mit Theater- oder Musikprojekten kann das Selbstwertgefühl der Jugendlichen gestärkt werden. Darüber hinaus weckt man das Interesse an der Sprache und Kultur des Anderen. Außerdem, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, entwickeln die Jugendlichen eine eigene Identität. Diese beschränkt sich nicht nur auf eine deutsche oder französische, sondern kann zur Entstehung einer europäischen Identität oder gar zu einem Gefühl der Zusammengehörigkeit beitragen.

    Der Dialog zwischen den Kulturen Europas sollte auch hier angesetzt werden. Kommunikation zwischen den Kulturen ist die Chance für friedliche Kooperation und Konfliktvermeidung im In- und Ausland. Deutschland und Frankreich sollten auch in diesem Bereich ihrer Verantwortung gerecht werden und für einen interkulturellen Dialog werben.

    Lassen Sie mich zum Abschluss nochmals festhalten:
    Europa braucht auch oder insbesondere im 21. Jahrhundert eine intensive und langfristig angelegte deutsch-französische Kultur- und Bildungspolitik. Die Bemühungen um die Integration von Drittländern und allen gesellschaftlichen Kräften in den deutsch-französischen Dialog muss verstärkt werden. Denn nur so kann die kulturelle Vielfalt und der gesellschaftliche Zusammenhalt gesichert werden.

    Vielen Dank