Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    09.11.2005

    Kulturpreis 2005 der Kulturpolitischen Gesellschaft


    Sehr geehrte Damen und Herren,

    es ist bemerkenswert, wie rührig Sie, also das „Kulturelle Aktionsprojekt“, seit Ihrer Gründung 1993 gewesen sind und was Sie alles auf die Beine gestellt haben. Darum freue ich mich sehr, heute bei Ihnen sein zu dürfen – und ich freue mich mit Ihnen, dass Ihr Engagement jetzt mit dem Kulturpreis 2005 der Kulturpolitischen Gesellschaft gewürdigt wird.

    Der Preis zeichnet zum einen Ihre langjährige Arbeit aus, aber zum anderen auch die Entwicklung des soziokulturellen Zentrums Kulturbastion, das jetzt eröffnet wird.

    Ich finde, der Verein – Sie! - haben Pionierarbeit vollbracht. Nur wenige Jahre nach der Wende gegründet, haben Sie seitdem kontinuierlich Kulturarbeit geleistet, haben für Angebote in der Jugend- und Medienarbeit gesorgt - auch der soziale Aspekt für die Gesellschaft ist dabei nicht zu unterschätzen. Bemerkenswert ist, dass Sie das einzige kommunale Kino im ländlichen Raum in Sachsen betreiben. Das, meine Damen und Herren, ist ein konkreter und wichtiger Beitrag zur kulturellen Grundversorgung.

    Es ist Ihnen nicht nur gelungen, ein soziokulturelles Zentrum zu etablieren, sondern gleichzeitig auch aktiven Denkmalschutz zu betreiben, weil die kulturgeschichtlich bedeutsame Festungsanlage Torgau saniert werden konnte.

    Die Kulturpolitische Gesellschaft würdigt mit der Verleihung ihres Kulturpreises 2005 außerdem das beispielhafte bürgerschaftliche Engagement sowie das aussichtsreiche Bemühen, den neuen Kulturort in der Region fest zu verankern. Nicht zuletzt in dem Versuch, Soziokultur, Denkmalschutz und Kulturtourismus konzeptionell zu verbinden, hat die Gesellschaft einen zukunftsfähigen Ansatz gesehen, der Region noch mehr kulturelle Attraktivität zu verleihen und das Bürgerrecht Kultur mit Leben zu füllen.

    Was können wir uns vorstellen unter einem Zentrum für Soziokultur?

    Das Kunstwort Soziokultur steht für eine widerständige Kulturarbeit. Im Kern ging und geht es ihr darum, Kultur als Synonym für Kunst und Geisteswelt aufzubrechen und mit der Vielfalt der Gesellschaft in Beziehung zu setzen. Kultur für alle und von allen darf nicht ausschließlich von Geschichte und Tradition her gedacht werden, sondern bedarf der Politisierung. Dies schließt Kritik am Überkommenen genauso ein wie eigene Gestaltungsansprüche.

    Soziokultur lässt sich so als eine breitenkulturelle Praxisform mit sozialräumlicher Ausrichtung beschreiben, die viele Menschen erreicht und aktiv einbindet. Sie ermöglicht Podien für generations- und spartenübergreifende Gestaltung, politische Bildung, künstlerische Betätigung und Kommunikation – wer will, hat vielfältige Möglichkeiten am soziokulturellen Leben teilzunehmen. Soziokultur ist damit ein Konzept für eine lebendige Kulturarbeit.

    Ich will Ihnen sagen, was für mich persönlich das bemerkenswerteste an Ihrer Arbeit ist. Nämlich, dass sie es geschafft haben, viele Akteure ins Boot zu holen, und Ihre soziokulturellen Interessen mit denen der Stadtentwicklung zu verbinden. Allzu häufig nämlich scheitern gute Vorhaben daran, dass Unterstützung fehlt oder Interessen zuwiderlaufen.

    Torgau ist eine geschichtsträchtige Stadt. Amerikaner und Russen gaben sich hier die Hand nach dem Sieg über Hitler-Deutschland. Torgau gehört zu den schönsten Renaissance-Städten Deutschlands und ist reich an Traditions- und Sinnbezügen. Es gibt einen sehr ansprechenden Altstadtkern und das für die Landesgeschichte Sachsens bedeutsame Schloss Hartenfels. Der Gedanke, Ererbtes mit Neuem zu verbinden, liegt nahe. Das ist einfach festzustellen, aber sicher schwer, in die Tat umzusetzen. Die napoleonische Festungsanlage in ein Kulturzentrum zu verwandeln war bestimmt keine leichte Aufgabe, ist sie doch soziokulturelle Basisarbeit und Denkmalpflege in einem.

    Vorausgegangen waren diesem Unterfangen, das nun eine konkrete Gestalt gefunden hatte, umfangreiche Überlegungen und Debatten, die schon im Jahr 2001 zu einem Grobkonzept zur Erschließung von Teilen der Festungsanlage geführt hatten. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist vor allem, dass Sie sich die Zeit genommen haben, aus einer Organisationsdebatte heraus ein Konzept zu entwickeln, das ganz eindeutig von seinen Visionen lebt.

    Sie hatten professionelle Unterstützung, haben die Konzeptentwicklung aber nicht aus der Hand gegeben. Die Arbeit an der Erschließung der Bastion wurde nicht vom „schönen Schein des Ortes“ überstrahlt (den es wohl am Anfang auch gar nicht gegeben hat), sondern der Ort selbst wurde zum Träger der zu verwirklichenden Ideen weiterentwickelt.

    Ich bin beeindruckt: Sie haben es geschafft, mit viel ehrenamtlicher Arbeit, der Unterstützung der Stadt als Eigentümerin der Gebäude, mit finanziellen Hilfen unter anderem von der EU und einem langen Atem, die Menschen Ihrer Stadt zu begeistern und kontinuierlich auf das Ziel zuzuarbeiten, an dem Sie heute sind.

    Auch in der Politik braucht es genau diese Qualitäten: ein Ziel haben, Menschen dafür begeistern und einen – manchmal sehr sehr – langen Atem beweisen. Ich weiß also selbst, wie schwierig kontinuierliche Arbeit ist und bewundere das Ergebnis in Torgau umso mehr.

    Es ist vorbildlich, dass Sie nicht mit Scheuklappen agiert haben, sondern über Ihre Vereinsarbeit hinaus immer auch die Stadt, die Region, die bestehenden Angebote und den Nutzen aller im Blick hatten.

    Und wie ich gehört habe, haben Sie noch viel vor: Ihre Vorstellungen, was aus diesen Zentrum noch werden könnte, reicht bis zur Ansiedlung von Kulturgewerbe und zur Etablierung eines Kulturentwicklungshofes.

    Das Zentrum ist offensichtlich auf Wachstum angelegt, und bei allem, was Sie bislang verwirklichen konnten, habe ich keine Zweifel, dass Sie mit der bewährten Mischung aus Zielstrebigkeit, Kooperationsbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit auch Ihre weiteren Vorhaben umsetzen können. Die Einbindung vieler Menschen in Ihre bürgernahe Kultur- und Jugendarbeit scheint mir dabei der wichtigste Schlüssel zum Erfolg zu sein.

    Über den Begriff „Kulturbastion“, wie Sie Ihr Zentrum genannt haben, habe ich lange nachgedacht. Schließlich beinhaltet er Rückzug, Verschanzen und Abschotten – und das ist eigentlich genau das Gegenteil von der Art, mit der Sie viel zum soziokulturellen Leben in dieser Stadt beigetragen haben. Aber „Bastion“ ist durchaus auch ein positiver Begriff, den eine „letzte Bastion“ ist immer auch der Hort der Werte, Traditionen und Überzeugungen, des Beharrens auf wichtigen Errungenschaften, die unterzugehen drohen.

    In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Kraft für all die Schritte, die Sie sich nach diesem Meilenstein - die Gründung des soziokulturellen Zentrums - in Ihrer Arbeit noch vorgenommen haben. Haben Sie weiterhin den Mut, in größeren Zeitabschnitten zu denken, und haben sie weiterhin die Beharrlichkeit, nicht von Ihrem guten Konzept für das kulturelle Leben in der Stadt und die Einbindung ihrer Bürger abzulassen.

    Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft!