Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    27.01.2006

    Grußwort zur Ausstellungseröffnung "Vergessene Erde"

    Am Freitag, den 27. Januar 2006 im Kunstverein Buchholz/Nordheide


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Der heutige Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus soll an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 erinnern. Doch nicht nur das. Der heutige Tag soll vor allem für einen Umgang mit Geschichte stehen, für eine Aufklärung unserer Geschichte, die durch die bewusste und mahnende aber auch die stille Erinnerung an Vergangenes geprägt ist. Dies gilt es zu vergegenwärtigen.

    Jerzy Adam Brandhuber hat als Zeichenlehrer und Professor an der Kunstakademie in Krakau gearbeitet, bevor er als Mitglied einer polnischen Widerstandsgruppe von den deutschen Besatzungsmächten in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurde. Diese Erfahrung prägte von da an sein gesamtes Leben bis zu seinem Tod. In seinen Skizzen und Bildern hat er die menschen- und lebensverachtende Zeit im Lager aufgearbeitet. Er vergegenwärtigt darin seine Erinnerungen an ein System von Vernichtung und Erniedrigung. Damit legt er auch Beweise über die in Auschwitz begangenen Verbrechen vor.
    Der nach seiner Rückkehr nach Polen 1946 entstandene Zyklus "Vergessene Erde" liefert Zeugnis ab für einen Teil unserer Geschichte, die einerseits an Unfassbarkeit nicht zu überbieten, andererseits aber auch gegenwärtig und nie zu vergessen ist.

    Für uns bleibt die Verantwortung darin bestehen, diesen aufgeklärten Umgang mit Geschichte zu pflegen. Wir müssen uns austauschen über die Erfahrungen der Überlebenden, solange dies noch möglich ist. Zugleich wollen wir uns mit ihren vielfältigen Zeugnisse und Vermächtnissen auseinandersetzen und vertraut machen. Diese Vermächtnisse sind der stets mahnende Teil unserer Geschichte. Sie geben uns aber auch die Möglichkeit, respektvoll und friedlich in Zukunft miteinander umzugehen.

    Lassen Sie mich Ihnen kurz von der heutigen Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag berichten, die ich persönlich sehr eindringlich fand. Zu dieser Veranstaltung zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus waren auch 80 Jugendliche aus Polen, Frankreich und Deutschland zu Gast. Der Deutsche Bundestag lädt nun bereits seit neun Jahren junge Menschen zu dieser Jugendbegegnung ein, die sich ehrenamtlich in Projekten und Initiativen zur Geschichte des Nationalsozialismus oder gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus engagieren, oder aufgrund ihre Herkunft, ihres Glaubens oder des Schicksals ihre Angehörigen persönlich vom Anliegen des Gedenktages betroffen sind.

    Die Jugendlichen haben mehrtägige Workshops in der Mahn- und Gedenkstätte des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück und in Berlin zu dem Thema "Täter im Nationalsozialismus" durchgeführt. Ihre Ergebnisse haben sie dann im Anschluss an die heutige Gedenkstunde gemeinsam mit den Abgeordneten diskutiert.

    Diese Form der Aufarbeitung und der Diskussion über den Nationalsozialismus finde ich persönlich besonders wertvoll. Aus meiner Sicht wird ein wesentlicher Teil von Erinnerungsarbeit auch in Zukunft darin bestehen, zu informieren und aufzuklären. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen der heutigen und ich meine auch der zukünftigen Generationen sehr daran interessiert sind, mehr zu erfahren über ihre Großeltern und Urgroßeltern. Die vielen Besucher des Holocaust-Mahnmals in Berlin am Brandenburger Tor sind ein deutlicher Beleg dafür.

    Den erst im Mai des letzten Jahres eröffnete "Ort der Information" unter dem Holocaust-Mahnmal Mahnmal haben mittlerweile mehr als 350.000 Menschen besucht. Und dies hat nicht wie befürchtet zu einem Besucherrückgang bei anderen Berliner NS-Gedenkstätten geführt. Ganz im Gegenteil. Auch die "Topographie des Terrors" und die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen haben im Jahr 2005 einen deutlichen Anstieg von rund 15 Prozent bei den Besucherzahlen registriert. Das Interesse ist also da.

    Es liegt somit auch an uns, die wir noch das Gespräch mit den Überlebenden führen konnten, diese Eindrücke und Erlebnisse weiter zu tragen und damit die Erinnerung am Leben zu erhalten. Ohne diese Erinnerung kann es keinen respektvollen und aufgeklärten Umgang miteinander geben. Eine friedliche und von Freiheit geprägte Zukunft lebt von den Erfahrungen der Vergangenheit. "Gemeinsame Erinnerungen sind manchmal die besten Friedensstifter." hat Marcel Proust (1871-1922, frz. Romanschriftsteller) einmal gesagt und ich meine, dass uns dieser Satz im Umgang mit diesem Teil deutscher Geschichte leiten sollte.

    Ich bin deshalb ganz besonders froh und zugestandenermaßen auch sehr bewegt, der Eröffnung dieser Ausstellung heute beizuwohnen. "Vergessene Erde" ist eine Ausstellung, die uns mit den Erlebnissen einer Generation konfrontiert, die nie vergessen werden darf. Ich wünsche der Ausstellung und uns allen einen regen Besuch und auch eine leidenschaftliche Diskussion über die Erfahrungen, die in den Bildern von Jerzy Adam Brandhuber verarbeitet sind.

    Ich danke Ihnen.