Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    06.11.2006

    Artikel für die Kulturnotizen

    Kreativität – ein Wirtschaftsfaktor?


    Worin besteht eigentlich der deutsche Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Nationen, wenn heute und in Zukunft in Ländern wie Indien billiger gearbeitet, in China schneller produziert oder in Amerika mehr umgesetzt wird? Die Antwort wird immer klarer: Unser Vorteil ist unsere Kreativität.

    International gesehen könnten wir mit unseren kreativen Leistungen fast einmalig sein. Deutsche Tüftler und Bastler haben zwischen von A wie Airbag und Aspirin bis Z wie Zahnpaste und Zündkerze so ziemlich alles Mögliche erfunden. Für den Bereich Kultur und Medien sind hier das Telefon, Mundharmonika oder der Plattenspieler zu nennen. Aber auch die Sozialgesetzgebung gehört dazu, die beispielsweise in Form der Künstlersozialversicherung und der Künstlersozialkasse vielen Kulturschaffenden die notwendige Absicherung bietet. Auch deutsche Mode und Design zählen etwas in der Welt. Klar ist also, dass wir im Bereich der kreativen Leistungen nicht nur Erfahrungen haben, sondern darin auch unsere Zukunft bestehen kann. Letztlich bietet die wachsende Kreativindustrie enorme Beschäftigungspotenziale mit hochwertigen und innovativen Arbeitsplätzen. Schon heute sind hier mehr Menschen tätig als in der Automobilindustrie.

    Doch was wäre neben der ständigen, deswegen aber nicht überflüssigen Forderung, die Kreativindustrie zu stärken, dringend notwendig? Es müsste ein wirklich kreatives Klima geschaffen werden, auch und vor allem im Kultur- und Mediensektor. Denn diese beeinflussen die neuen Einfälle auch im technischen Sektor. Berlin ist - neben vielen anderen Regionen in Deutschland - ein gutes Beispiel dafür, dass durch Kreativität und neue Ideen neue Strukturen und eine ganz besondere, kreative Dynamik entstehen können. Da sendet das Bundesverfassungsgericht mit seiner Bewertung der Haushaltsnotlage Berlins ein völlig falsches Signal, wenn der Hauptstadt nahe gelegt wird, zukünftig bei der Kultur noch stärker zu sparen, dem fast einzigen Bereich, womit Berlin auch Geld verdienen kann. Berlin ist schon arm - wenigstens sexy sollte es bleiben.

    Und es müsste sich tatsächlich die grundlegende Überzeugung durchsetzen, dass wir aufgrund des Wandels von einer produzierenden hin zu einer wissens- und ideenbasierten Gesellschaft ganz wesentlich der Ideen auch der kreativen Industrien bedürfen. Eine elementare Voraussetzung dessen wird jedoch leider oftmals übersehen. Damit die Kreativwirtschaft alle die ihr zugeschriebenen, fast schon heilsversprechenden Wirkungen entfalten kann, bedarf es meiner Ansicht einer Grundlage: Wir müssen uns des hohen Wertes kreativer Leistung bewusst sein. Und nicht nur das. Es muss einen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber geben, dass kreative Leistungen, Ideen und Produkte etwas wert sind. Wir sind nur dann bereit, für ein Konzert oder eine Ausstellung einen angemessenen Eintritt; für eine CD, ein Buch, eine Zeitung oder den Rundfunk das angemessene Entgelt zu zahlen, wenn wir von der kreativen Leistung, die darin enthalten ist, überzeugt sind. Dabei sind das noch die einfachen, fast schon klassischen Beispiele. Nicht zwangsläufig zu erkennen ist diese Leistung beispielsweise bei einigen, oftmals sehr gegenständlichen Kunstwerken oder aber auch dem im Internet scheinbar frei verfügbaren Musikstück, das eben auch ein urheberrechtlich geschütztes, deshalb zu vergütendes, von Kreativen geschaffenes Werk darstellt.

    Damit komme ich auf eine aktuelle kultur- und medienpolitische, aber eben auch sehr grundlegende Diskussion zu sprechen. Im Hintergrund der politischen Diskussion über die Abwägung zwischen den legitimen Interessen von Urhebern und Rechteinhabern, den Anforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft und den Erwartungen der Industrie im Rahmen der Novelle des Urheberrechts steht eine ganz grundlegende Frage: Was ist uns kreative Leistung wert? Diese Frage ist in dem sehr kontrovers geführten Streit über Privatkopie, pauschale Vergütung oder unbekannte Nutzungsarten insgesamt von entscheidender Bedeutung. Einerseits bedarf es zuerst einmal kreativer Leistungen, die erst dann technologisch, ökonomisch, gesellschaftlich oder kulturell nutzbar gemacht werden können, sprich sich in Produkten niederschlagen. Andererseits bedarf es natürlich auch eines Marktes, der ein Bedürfnis an kreativen Ideen und Vorschlägen artikuliert. Und es bedarf kreativer und innovativer Wege, um die Verbindung zwischen beidem herzustellen. Letzten Endes profitieren aber alle Teilnehmer erheblich, wenn sie den Wert der kreativen Leistung gegenseitig anerkennen.

    Ein dafür notwendiger Grundkonsens über den hohen Wert von Kreativität könnte dann bei vielen, auch kultur- und medienpolitischen Entscheidungen hilfreich sein. Wenn es beispielsweise darum geht, dass ein Museum zusätzlicher Mittel für die Dachsanierung bedarf, wird die Erwägung, möglicherweise ein Bild aus dem Bestand zu verkaufen, hoffentlich kaum eine Rolle spielen. Plagen eine Stadt, wie so viele andere, finanzielle Nöte, würde man jedoch davon absehen, als erstes die Musikschule nicht mehr zu fördern. Nicht dass uns das Bewusstsein um den Wert von Kreativität vor Torheiten schützt, aber der gesellschaftliche Konsens darüber, dass kreative Leistung die Grundlage unserer Wirtschaft ist und immaterielle und materielle Güter hervorbringt, ist notwendig. Und dann hätte es vielleicht auch ein Ende damit, dass uns 15 Kilometer Autobahn möglicherweise wichtiger sind als 129 Goetheinstitute weltweit.