Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    27.11.2006

    Konferenz „Music is my first love“ des Jugendkulturnetzes

    Monika Griefahn ist Schirmherrin der Konferenz


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Liebe Musikfreundinnen und Musikfreunde,

    Monika Griefahn wäre sehr gern hier gewesen und das nicht nur, weil sie Schirmherrin dieser Veranstaltung ist, sondern auch weil ihr das Thema dieser Fachkonferenz besonders wichtig ist. Leider musste Sie sehr kurzfristig auf eine Beerdigung fahren, weswegen sie mich als Ihren Referenten bat, ihr Grußwort stellvertretend an Sie zu richten.

    Jugendkultur ist ohne den bestimmenden Anteil, den Musik an ihr hat, kaum zu denken. Ob das nun die Beatniks, die Mods, Punks, Hippies, HipHoper oder Skins sind - jede Subkultur fand und findet ein Genre innerhalb der Popmusik, durch das Identifikation besonders gut möglich wird.

    In den letzten Jahren geisterte in den Medien so mancher in die Jahre gekommene Rock- und Popmusikliebhaber mit der Schreckensvision herum, dass Musik für neue Jugendkulturen immer weiter an Einfluss und Bedeutung verliere. Ich verstehe die Befürchtung dann, wenn man für diese Vision alte Maßstäbe anlegt.

    Es werden immer weniger Tonträger verkauft, der wirtschaftliche Einfluss des Musikfernsehens ist gesunken, das traditionelle Radio ist seit Jahren auf einem absteigenden Ast und es gibt längst nicht mehr so transparente, klar definierte und weit verbreitete Subkulturen wie in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

    Ich glaube aber, in unserer veränderten, globalisierten, vernetzten und komplexeren Welt müssen wir andere Maßstäbe anlegen. Mit der wachsenden Pluralität und Diversivität von Lebensstilen steigt auch die Vielfältigkeit und Individualität von Ausdrucksformen. Popularmusik dient inzwischen weniger als Plattform zur Identifikation, sondern sie wird zu einem Instrument, dass jeder selbst spielen kann.

    Durch immer preiswertere Technik, mit der jeder auch ohne ein Instrument spielen zu können Zuhause selbst komponieren und produzieren kann, durch uneingeschränkte Verfügbarkeit von Musik im Internet oder durch die höhere Geschwindigkeit, mit der Kommunikation stattfindet, ist nicht nur der Umgang mit Musik inzwischen viel unmittelbarer, sondern das ganze kulturelle Aktivitätsspektrum insgesamt breiter, vielfältiger, dynamischer und wesentlich flexibler geworden.

    Das ist in meinen Augen bei Weitem kein Grund sich zu beschweren, denn dieser neue Umgang mit Musik bietet die Möglichkeit für eine ganz neue lebendige Kreativität.

    Es ergibt sich aber leider auch ein Nachteil. Für Außenstehende, die Zugang zu Jugendkultur suchen, wird es immer schwieriger sich zurechtzufinden. Darin sehe ich den Hauptgrund dafür, warum es der Politik aber auch der Wirtschaft oder den Medien oft so schwer fällt, Verständnis dafür aufzubringen und die große Bedeutung zu erkennen.

    Ich will aus politischer Perspektive näher auf dieses Problem schauen. Zunächst ist unbestritten, dass Musik eines der höchsten Kulturgüter ist und deswegen auch politische Unterstützung braucht. Schon Napoleon hat das erkannt. Er sagte: „Musik hat von allen Künsten den tiefsten Einfluss auf das Gemüt, ein Gesetzgeber sollte sie deshalb am meisten unterstützen.“

    Bei der Förderung muss es uns heute um die ganze Bandbreite von der Tradition bis hin zur Moderne und damit auch um die Popmusik gehen, zumal die nie wirklich logische Trennung zwischen so genannter Hochkultur und Breitenkultur aus heutiger Sicht überhaupt nicht zum Ziel führt.

    Napoleon hatte es da wohl leichter als wir, denn im Vergleich zur traditionellen klassischen Musik, fällt es bei Popularmusik viel schwerer zu erkennen, welche Art von Förderung sinnvoll ist. Elvis Presley hat gesagt: „Ich verstehe nichts von Musik. In meinem Fach ist das nicht nötig.“

    Der beachtliche Gitarrenspieler und Sänger übertreibt damit zwar aber im Grunde schneidet er eine zentrale Problematik an. Popularmusik macht sich eben nicht fest an der Aufführung im Konzertsaal, auch nicht an dem virtuosen Spiel von Instrumenten oder an einer feststehenden Musikpraxis, sondern sie findet immer wieder neue und überraschende Ausdrucksformen. Deswegen braucht sie aber auch ebenso flexible Fördermaßnahmen und Förderinstrumente.

    Ich möchte Ihnen einige Fälle nennen, mit denen wir in der Bundespolitik Popmusik unterstützen.

    Die konkrete und individuelle Förderung von einzelnen Projekten, die von Tonstudios in Jugendzentren über Workshops und die vielen Musikschulen bis hin zur Unterstützung von Festivals oder Beratung von Bands reicht, ist das Herzstück jeder Kulturpolitik. Allerdings ist das im Sinne der Länderhoheit etwas, wofür Länder und Kommunen zuständig sind. In der Bundespolitik geht es um die Rahmenbedingungen, die Künstlerinnen und Künstler in die Lage versetzen sollen, kreativ sein zu können.

    Ich bin froh, dass in Deutschland langsam aber sicher klar wird, was für einen großen Wert Kreativität hat und wie wichtig dieser Wert für die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Das hat nicht zuletzt eine wirtschaftliche Bedeutung. Unsere Qualitäten in Deutschland bestehen eben nicht darin, besonders preiswert zu arbeiten. Sie bestehen auch nicht darin, immer auf einem technologisch höheren Stand als andere Nationen zu sein.

    Die Werte, die uns für die Zukunft wettbewerbsfähig machen werden, sind unserer Kreativität, der Ideenreichtum in unserem Land und die Phantasie jeder und jedes Einzelnen.

    Doch um diese Kreativindustrie zu beflügeln, braucht es noch mehr Anstrengungen. Wir müssen den gesellschaftlichen Horizont erweitern und endlich davon wegkommen, dass nur das für wertvoll gehalten wird, was ganz direkt einen möglichst bezifferbaren Ertrag einbringt.

    Ein besonders gutes Beispiel ist die Bildung. Nach wie vor haben Schulfächer wie Mathematik oder Deutsch einen größeren Stellenwert als Musik oder Kunst. Das halte ich für falsch.

    Musik und dabei ganz klar auch Popmusik müssen schon im Schul- und Vorschulalter Bestandteil einer Bildungspolitik sein, die das Kreative fördert. Deswegen ist das mit vier Milliarden Euro angeschobene Ganztagsschulprogramm auch so wertvoll, denn hier kommt den kreativen Fächern eine viel höhere Bedeutung zu. Erst in einer Ganztagsschule können diejenigen Musikinstrumente erlernen, denen zuhause diese Möglichkeit nicht geboten wird.

    Ich will Ihnen drei Resultate nennen, die aus einer möglichst frühen und intensiven Förderung von Musik im Zusammenhang der kulturellen Bildung hervorgehen.

    Erstens wird so nachhaltig das Interesse für Musik geprägt. Wer einmal die Musik für sich entdeckt hat, den wird sie ein Leben lang begleiten. Durch kulturelle Bildung entsteht so Phantasie und Kreativität doch auch soziale Kompetenz, Konfliktfähigkeit, Intelligenz und Ausdauer werden gefördert - Fähigkeiten, die Kindern und Jugendlichen in allen Lebenslagen helfen.

    Das zweite Resultat aus guter kultureller Bildung ist, dass wir Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit an die Hand geben, sich auszudrücken und sich selbst zu verwirklichen. Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily hat einmal gesagt: „Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit“.

    Mit der Förderung von Musik helfen wir dabei, dass Jugendliche in ihr ein positives und kultiviertes Ventil finden und sich nicht durch gewalttätige Aggression oder extremistische Positionen zu verwirklichen suchen. Diese Grundidee verfolgt auch das Jugendkulturnetz, das die Jugendmusikszene stärken und damit unter anderem dem Rechtsextremismus entgegentreten will.

    Das dritte Resultat aus guter kultureller Bildung, ist ein besseres Verständnis für den Wert von Kreativität. Es ist immer schwieriger geworden, den Menschen klarzumachen, dass kreative Leistung wie zum Beispiel das Schreiben, Proben und Aufnehmen eines Musiktitels auch einen Preis haben muss.

    Wir sind gerade inmitten in der Debatte um den so genannten Zweiten Korb des Urheberrechts. Hier wollen wir einen besseren Schutz des geistigen Eigentums und die angemessene Vergütung für Urheber erreichen. Doch das gelingt letztendlich nur, wenn der Wert dessen, was beispielsweise Musikerinnen und Musiker kreativ produzieren und wovon sie leben müssen, von allen anerkannt und finanziert wird.

    Kulturelle Bildung ist also etwas, bei dem wir alle in Zukunft noch viel tun können. Wir, das ist die Politik aber das sind genauso die Schulen, in denen 60 Prozent der Musikstunden ausfallen oder es sind die Eltern, die sich um die musikalische Bildung ihrer Kinder kümmern müssen.

    Neben dem Bereich der Bildung engagieren wir uns in der Bundespolitik auch für andere Arten der Förderung wie die Künstlersozialkasse, in der sich unter anderem Musiker sozial absichern können oder um das Stiftungsrecht, durch das private Stifter in die Lage versetzt werden, Musik zu fördern.

    Gerade in der letzten Woche haben wir im Deutschen Bundestag eine „Initiative: Musik“ vereinbart, für die im nächsten Jahr eine Million Euro bereitgestellt werden. Diese Initiative soll auf drei Säulen ruhen, um deren konkrete Ausgestaltung es in den nächsten Monaten gehen wird.

    Erstens: es geht um Nachwuchsförderung und da zum Beispiel um neue Sendeformate für „Newcomer“ im Rundfunk, es geht zweitens darum, Projekte zu fördern, die einen Beitrag zur Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund leisten und es geht drittens um Exportförderung, bei der sich Bands beispielsweise auf der Popkomm oder beimGerman Jazz Meeting einem internationalen Publikum präsentieren sollen.

    Wie ich am Anfang bereits angedeutet habe, werden trotz der bereits existierenden Förderinstrumente kontinuierlich weitere gebraucht, durch die auch Musikerinnen und Musiker noch besser unterstützt werden können. Dafür gibt es seit 3 ½ Jahren nicht zuletzt die vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Bei den morgigen Fachpanels werden Sie einige Mitglieder dieser Kommission erleben können.

    Was ist mein Fazit?
    Es wird bereits viel getan aber noch lange nicht genug! Der Stellenwert von Popmusik muss in Zukunft nicht nur im Rahmen von Politik, sondern in der Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung und nicht zuletzt in der Jugendarbeit weiter wachsen. Dafür müssen wir immer wieder neue Möglichkeiten und Instrumente finden. Ich freue mich, dass Sie als Veranstalter und als Teilnehmer dieser Konferenz dazu beitragen und wünsche Ihnen drei interessante und spannende Tage.

    Vielen Dank!