Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    14.11.2008

    Rede zur Verleihung des Kulturpreises 2008 der KuPoGe


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    liebe Kulturfreunde,

    ich freue mich, heute Abend die Laudatio zur Verleihung des Kulturpreises der Kulturpolitischen Gesellschaft zu halten. Ich freue mich gerade deshalb darüber, weil ich finde, dass das Festival 48 STUNDEN NEUKÖLLN diesen Preis – pünktlich zu seinem 10. Geburtstag! - absolut verdient hat. Dieses Projekt hat beispielhaft gezeigt, wie gut anspruchsvolle Kunstproduktionen und wirksame Integrationsprojekte zusammen gehen können.

    Mit „Integration“ meine ich dabei nicht nur, in Deutschland lebende Menschen aus anderen Ländern in unsere Gemeinschaft einzubinden, sondern das gegenseitige Kennenlernen und das soziale Miteinander in Neukölln und darüber hinaus. 48 STUNDEN NEUKÖLLN hat allein schon durch seine ungewöhnlichen Spielorte erreicht, dass Menschen den Stadtteil gemeinsam neu entdecken. Durch Kunstaktionen an Kanälen, in Höfen, auf Dächern und Parkdecks wurde Neukölln wahrhaftig zu Freiluftgalerie und Konzertsaal.

    Sehr spannend finde ich auch das Projekt des Festivals „Sakrale - Kunst am geweihten Ort“, bei dem religiöse Orte in Neukölln im Vordergrund standen. Indem dort vielfältige Konzerte, Lesungen und Performances stattfanden, wurde die religiöse Geschichte Neuköllns bis zur Gegenwart erfahrbar.

    Ich glaube, gerade die kulturelle Vielfalt in Neukölln war dabei von Anfang an der entscheidende Nährboden, auf dem das Festival wachsen konnte und mittlerweile als anerkannte „urban art“ richtig aufgeblüht ist! Denn in einer Stadt wie Berlin, die so viele Gesichter hat, nützt uns eine „l’art pour l’art“ wenig. Und wenn die Medien es manchmal so darstellen, als unterstütze die Bundespolitik bei der Hauptstadtkultur nur die Berliner Opern oder den preußischen Kulturbesitz, dann ist dies falsch! Mit der im Jahr 2002 von der rot-grünen Regierung initiierte „Kulturstiftung des Bundes“ fördern wir z.B. ganz verschiedene Kulturprojekte, unter anderem die mittlerweile berühmte Breitenkultur-Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ im Ruhrgebiet.

    Eine Kultur, die allen zugänglich ist und die auch vor gesellschaftlichen Herausforderungen nicht zurückweicht – Kultur nicht als Selbstzweck, sondern als innovatives Entwicklungspotential und Standortfaktor, das muss unser Ziel sein! Genau das verkörpert 48 STUNDEN NEUKÖLLN mit großem Erfolg.

    Zum diesjährigen Programm fällt mir beispielsweise die Aktion „X Wege zum Glück“ als gelungenes soziokulturelles Integrationsprojekt ein, bei dem Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener Nationalität mit einbezogen wurden.

    Besonders hervorheben möchte ich auch die Aktion „Grenzgänger in Neukölln“, bei der sich Kinder und Jugendliche zu Stadtführern des Quartiers qualifizierten, die Besucher zu den unterschiedlichen Kunstevents begleiteten und ihnen die Kunstobjekte erklärten. Vor allem Mädchen mit türkischem und arabischem Hintergrund waren hieran beteiligt.

    Ich könnte Ihnen noch viele andere Beispiele aufzählen, die im Rahmen des Festivals den Stadtteil belebt und inspiriert haben. Aber ich hoffe, Sie alle haben Vieles davon live erlebt und Sie lassen sich 48 STUNDEN NEUKÖLLN auch im nächsten Jahr nicht entgehen.

    Auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ hat sich neben vielen anderen kulturpolitisch relevanten Themen mit der Bedeutung von Soziokultur beschäftigt. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung soziokultureller Projekte hierzulande insgesamt zunimmt und diese auch für andere Kulturinstitutionen viele wichtige Anregungen geben. Das ist ein, wie ich finde, ermutigendes Ergebnis.

    Und soziokulturelle Ereignisse wie 48 STUNDEN NEUKÖLLN bilden einen wichtigen Teil dieser Kulturlandschaft. Sie sind vielfältig und bieten ein breites Angebot für alle, Kultur nicht nur zu rezipieren, sondern auch selbst künstlerisch tätig zu sein. Dabei zeichnen sich solche soziokulturelle Projekte durch eine besondere Nähe zu den tatsächlichen Interessen und Bedürfnissen sowohl der Bürger als auch der Künstler aus. Gleichzeitig verfolgen sie keinen festgelegten kulturellen Wertekanon und sind für verschiedene Ansätze kultureller und künstlerischer Praxis offen. Sie können interessante Sichtweisen und Ansätze unkompliziert und innovativ in neue kulturelle Angebote überführen.

    In der Bestandsaufnahme der Enquete-Kommission ist deutlich geworden, dass sich soziokulturelle Initiativen nicht, wie oft angenommen, auf soziale Randgruppen beschränken. Im Gegenteil sind es meistens gesellschaftlich breit akzeptierte Kultureinrichtungen, die im weitesten Sinne sozialintegrativ und interkulturell arbeiten.

    Im Hinblick auf multikulturelle Stadtteile nehmen Projekte wie 48 STUNDEN NEUKÖLLN eine Vorreiterrolle dabei ein, mit gezielten Angeboten auch wirklich neue kulturelle Anstöße zu geben. Diese Funktion wird aber nicht nur in der heterogenen Großstadt erfüllt, sondern auch bei der demografischen Entwicklung im ländlichen Raum.

    Um Initiativen wie 48 STUNDEN NEUKÖLLN zu unterstützen, hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem Abschlussbericht Handlungsempfehlungen formuliert. Diese sind an die Kommunen und Länder als Hauptträger soziokultureller Arbeit, aber auch die Bundesregierung im Rahmen ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gerichtet. Zu diesen Handlungsempfehlungen gehört auch, dass soziokulturelle Projekte als eigenständiger Förderbereich in der Kulturpolitik anerkannt werden sollten. Darüber hinaus fordert die Enquete-Kommission, dass die institutionelle Förderung der „Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren“ als Dach- und Fachverband aus Mitteln des Bundes beibehalten und der Fonds Soziokultur um 25 Prozent erhöht werden soll. Dafür habe ich mich in der SPD besonders stark gemacht.

    Neben dem Bund sind bei vielen anderen Fragen aber auch die Länder und Kommunen gefordert. Fest steht, dass eine generationenübergreifende, interkulturelle und für alle sozialen Schichten offene Kulturarbeit ein unverzichtbarer Teil der öffentlichen Kulturförderung in Deutschland sein muss. Angesichts der Herausforderungen, denen Initiativen wie 48 STUNDEN NEUKÖLLN gegenüberstehen, muss sich die Politik der gesamtstaatlichen Verantwortung stellen und Soziokultur als offenes und vielfältiges Konzept der kulturellen Eigeninitiative stärken. Dafür werde ich mich in meiner Funktion als kultur- und medienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion auch in Zukunft einsetzen.

    Am Preisträger des heutigen Abend, 48 STUNDEN NEUKÖLLN, gefällt mir besonders seine basisdemokratische Organisation. So werden die Entscheidungen durch einen Koordinationskreis gemeinsam getroffen, der dann eine Organisatorin beauftragt, sich zum Beispiel um Sponsorengelder zu kümmern. Insbesondere den vielen ehrenamtlichen Mithelfern möchte ich danken, ohne die das Ereignis so nicht hätte stattfinden können. Ihr bürgerschaftliches Engagement ist Grundpfeiler einer solidarischen Gesellschaft und einer lebendigen Demokratie. Aus diesem Grund setze ich mich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion für den weiteren Ausbau der Freiwilligendienste, für Entbürokratisierung und für die Unterstützung von nötigen Infrastrukturen der Engagementförderung ein.

    In einem ersten Schritt haben wir bereits die steuerlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement verbessert. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat sich gemeinsam mit der SPD-Bundestagsfraktion dafür eingesetzt, dass viele Menschen, die sich gemeinnützig engagieren, damit eine zusätzliche Anerkennung erfahren. Neben einer stärkeren finanziellen Förderung wurde nicht zuletzt auch das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht vereinfacht. Ohne ehrenamtliches Engagement kann die Gesellschaft nicht funktionieren. Wir müssen auch weiterhin befördern, dass sich mehr Menschen für Gesellschaft und Umwelt verantwortlich fühlen.

    Der Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft ist nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch ein Dankeschön an alle, die dazu beigetragen haben, dass 48 STUNDEN NEUKÖLLN stattfinden konnte und kann. Weit mehr als 1000 Künstler haben in diesem Jahr dabei mitgewirkt und es erreicht, 50.000 Menschen mit ihrem Programm zu begeistern und einzubinden – und das, obwohl zeitgleich die Fußball-EM stattfand! Vielen Dank allen Mitwirkenden für diese anhaltenden Impulse, die nicht nur die Kulturszene, sondern den ganzen Stadtteil inspiriert haben!

    Ich wünsche dem Festival 48 STUNDEN NEUKÖLLN für die Zukunft weiterhin gutes Gelingen, viele kreative Ideen und alles Gute! Herzlichen Glückwunsch zum 10jährigen Jubiläum und zu der heutigen Auszeichnung!

    Vielen Dank.