Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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Auf dieser Internetseite finden Sie Informationen über meine Arbeit als Bundestagsabgeordnete (1998 bis Oktober 2009)

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    12.05.2009

    Rede: „Die Ergebnisse der Enquete Kommission Kultur in Deutschland“


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Meine sehr geehrten Damen und Herren,
    liebe Kulturfreunde,

    ich freue mich über Ihr Interesse an der Arbeit der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland und die heutige Veranstaltung. Das finde ich wirklich bemerkenswert, da ich zugeben muss, dass ein über 500 Seiten starker Bericht zunächst nicht gerade einladend wirkt. In diesem Fall zeigt es, wie umfangreich sich der Deutsche Bundestag mit der Kultur in Deutschland beschäftigt hat.

    Mit dem Abschlussbericht wurde eine wirklich wichtige und wertvolle Untersuchung vorgelegt. Zuletzt hat sich der Deutsche Bundestag in vergleichbarer Form mit der Kultur vor mehr als 30 Jahre befasst. Damals entstanden auf der Grundlage des sog. Künstlerberichts und auf Initiative der sozialliberalen Regierung die Künstlersozialversicherung und damit die Künstlersozialkasse. Vor allem die Kulturschaffenden unter den hier Anwesenden, die ja häufig selbstständig sind, werden bestätigen können, wie wichtig diese weltweit einmalige Einrichtung ist.

    Insofern können Sie davon ausgehen, dass die von der Enquete-Kommission geleistete Arbeit in den vier Jahre wiederum wirklich wichtige Erkenntnisse und Empfehlungen zutage gebracht hat.

    Gemeinsam mit Ihnen und den hier anwesenden Gesprächspartnern wollen wir versuchen, uns einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse des Berichtes zu verschaffen, vor allem bezogen auf die Bereiche, die für Sie möglicherweise von besonderem Interesse sind. Ich werde Ihnen zudem darstellen, welche Handlungsempfehlungen bereits umgesetzt, aber auch welche aus verschiedenen Gründen schon wieder zu den Akten gelegt wurden.

    Zu Anfang der Arbeit in der Enquete-Kommission gab es viele Zweifel. Kann es wirklich gelingen, die Situation von Kunst und Kultur in Deutschland zu beschreiben, angesichts dieser einzigartigen Dichte und Vielfalt? Dass dies schwierig ist, hat auch die lange Arbeitszeit gezeigt. Dass dies jedoch gleichzeitig überaus erfolgreich gelungen ist, zeigt die Analyse, die ausführlich die Situation von Kultur in Deutschland beschreibt und das zeigen auch die annähernd 500 Handlungsempfehlungen mit ihren ganz konkreten politischen Schlussfolgerungen.

    Als stellvertretendes Mitglied der Enquete-Kommission habe ich die Arbeit der Kommission beispielsweise im Bereich der Soziokultur sowie der Interkultur und Migrantenkultur mit begleitet. Besonders hervorzuheben war aus meiner Sicht die oftmals bestehende Einigkeit zwischen den Fraktionen.

    Am Beispiel der Interkultur und Migrantenkultur lässt sich das besonders deutlich aufzeigen. Innerhalb der Enquete hatte man eine Art Arbeitsteilung etabliert, nach der sich sog. Berichterstattergruppen mit mindestens einem Vertreter aller Fraktionen mit einem Thema vertiefend beschäftigt und dann der gesamten Kommission Bericht erstattet hat. Diese Berichterstatter -Gruppen wurden von einem Berichterstatter geleitet, d.h. die Sitzungen wurden organisiert und erste Textentwürfe geschrieben.

    Die Berichterstatter -Gruppe Interkultur und Migrantenkultur wurde von einer Abg. der CSU geleitet. Wenn Sie den Text zu diesem Thema im Enquete-Bericht nachlesen, werden Sie erstaunt sein, wie zeitgemäß bestimmte Passagen formuliert sind. Bspw. wird Deutschland ganz klar als Einwanderungsland beschreiben. Ich will damit aufzeigen, welche Lernprozesse innerhalb der Enquete-Kommission auf allen Seiten, natürlich auch bei der SPD stattgefunden haben.

    Im Nachhinein ist allerdings hin und wieder festzustellen, dass diese Einigkeit in der Sache im politischen Tagesgeschäft an ihre Grenzen stößt. Ohne anderen Punkten vorgreifen zu wollen, muss ich an dieser Stelle Eines gleich eingestehen: in dieser Legislaturperiode wird es uns nicht mehr gelingen, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Obwohl sich in der Enquete-Kommission alle Fraktionen darin einig waren, konnte dieser Punkt dann von unserem Koalitionspartner nicht mehr mitgetragen werden.

    Auch wenn das Staatsziel bspw. bei unseren Rechtspolitikern auch nicht gerade auf helle Begeisterung stößt, so haben wir zumindest als SPD-Bundestagsfraktion den Beschluss gefasst, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz aufzunehmen. Das uns dies in der Großen Koalition gemeinsam mit der Union nicht gelingt, bedauere ich sehr, zeigt aber, wie schwierig die Umsetzung der Handlungsempfehlungen im Detail dann ist.

    Hinzu kommt, dass die Frage der Umsetzung sowohl die Bundes-, als auch die Länderebene und die kommunale Ebene betrifft. Deshalb müssen wir uns alle gemeinsam und auf allen Ebenen dafür einsetzen, die Erkenntnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission so aufzugreifen, dass sie für Bürgerinnen und Bürger und für die Kulturschaffenden Verbesserungen bedeuten.

    Ich bin absolut davon überzeugt, dass der Abschlussbericht dafür einmalige Chancen bietet. In ihm stecken unumstößliche Fakten dafür, dass Kultur uns alle etwas angeht und als ein gesellschaftlicher Auftrag verstanden werden muss.

    Das bedeutet auch, dass noch stärker ressortübergreifend gedacht werden muss. Zum Beispiel wenn wir auf den Bereich Wirtschaft schauen: Immer wieder zeigt sich, welch tolle und künstlerisch wertvolle Werke Filmemacher, Schriftsteller oder andere Künstler hervorbringen, wenn sie gefördert werden. Neben diesem kulturellen Aspekt schaffen sie auch Arbeitsplätze und sorgen für Umsatz.

    Es kommt also auch darauf an, bei den Wirtschaftspolitikern Unterstützung dafür zu gewinnen, dass die der Wirtschaftspolitik zur Verfügung stehenden Fördermöglichkeiten noch mehr als bisher für die sog. Kultur- und Kreativwirtschaft genutzt werden können. Beispielsweise wäre es doch vorstellbar, dass man mit Mitteln der sog. Außenwirtschaftsförderung eine Galerie in New York oder London betreibt, in der junge deutsche Nachwuchskünstler ausstellen können und auf diese Weise bekannt gemacht werden. Oder nehmen wir Musikfestivals im Ausland, bei denen man die Teilnahme junger deutscher Nachwuchsmusiker fördern könnte.

    Ich will damit nur aufzeigen, wie wichtig dieser Bericht für uns Kulturpolitiker ist. Er bietet genau diese wichtigen, ressortübergreifenden Ansätze, ganz im Sinne der Kultur Verbesserungen zu erzielen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Bereich Bildung: Wenn wir es schaffen, mithilfe des Berichtes die Bildungspolitiker von der Bedeutung der kulturellen Bildung zu überzeugen, könnten wir erreichen, dass demnächst eben nicht mehr nur die „Pisa-Fächer“ Mathe und Physik im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, sondern ebenso Musik und Kunst. Die Forderung der Enquete-Kommission, eine Bundeszentrale für kulturelle Bildung einzurichten, wurde allerdings mittlerweile schon wieder verworfen, weil in diesem Punkt ganz wesentliche Länderkompetenzen betroffen sind.

    Der Abschlussbericht ist geprägt von dem Grundverständnis, dass Kultur ein öffentliches Gut ist. Um das jedoch wirklich umzusetzen, brauchen wir eine kulturelle Infrastruktur.

    Hier sorgt der Staat für die strukturellen Vorraussetzungen, durch die die Zivilgesellschaft dann aktiv werden kann. Am Beispiel der Soziokultur, die gerade in der Fläche und auch hier in Hürth, bspw. in der Opernwerkstatt am Rhein, wichtige Arbeit leistet, lässt sich das gut verdeutlichen. Der Staat unterstützt die Aktiven in diesem Bereich, indem er beispielsweise Regelungen im Gemeinnützigkeitsrecht verbessert.

    Bereits 2007 haben wir eine umfassende Reform der Unterstützung für ehrenamtlich Tätige verabschiedet, wodurch das bürgerschaftliche Engagement in außerordentlicher Weise gestärkt wurde - unter anderem durch die Erhöhung der Übungsleiterpauschale. Die Enquete-Kommission hat vorgeschlagen, diese Regelungen noch weiter zu verbessern, aber auch die Förderung im Bereich der Soziokultur (Fonds Soziokultur) aufzustocken, da in diesem Bereich auch viele interkulturelle Projekte gefördert und diese immer wichtiger werden.

    Die schwierige finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte insgesamt und gerade auch der kommunalen Haushalte haben sich in den vergangenen Jahren vor allem auf den Kulturbereich verheerend ausgewirkt. Oft wurden kulturelle Angebot aus Kostengründen stark reduziert. Jugendkunst- und Musikschulen oder auch öffentliche Bibliotheken wurden sogar geschlossen oder sind bedroht. Diese Schritte sind kurzsichtig, denn kulturelle Bildung ist für die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen von wesentlicher Bedeutung.

    Auch deshalb hat die Enquete-Kommission vorgeschlagen, dass öffentliche Bibliotheken zu den Pflichtaufgaben der Kommunen, der öffentlichen Hand gehören sollen. Zudem müssen öffentliche Bibliotheken als Orte der kulturellen Bildung stärker genutzt und gefördert werden. Die gesetzliche Absicherung der Arbeit von Bibliotheken durch Bibliotheksgesetze in den Ländern wäre ein guter Schritt, für den ich kämpfe. Es ist klar, dass das bei den Kommunen auf Widerstände stößt, würde es doch bedeuten, dass Bibliotheken keine freiwilligen Leistungen mehr sind und gefördert werden müssen. Das braucht Geld.

    Auch deshalb ist der Bericht der Enquete-Kommission so wichtig, denn mit ihm können kulturpolitische Ziele klar benannt werden. Nur mit guten Argumenten kann der Kulturbereich bei der Verteilung der Haushaltsmittel erfolgreich bestehen. Wir wollen, dass Kultur zur Pflichtaufgabe von Kommunen wird und damit auch die Möglichkeiten geben, Bibliotheken und Musikschulen zu erhalten und zu fördern.

    Ich weiß, dass man sich mit diesen Vorschlägen sehr intensiv im Deutschen Städtetag auseinandersetzt. Obwohl die dort vertretenen Städte natürlich genau diese Bedenken haben, hat man die Bedeutung von kultureller Bildung erkannt und will möglicherweise einen Rahmen festlegen, innerhalb dessen dann die Kommunen vor Ort entscheiden, welche kulturellen Bildungsangebote sie zwingend vorhalten möchten.

    Kreativ-Spiele müssen Bestandteil der Angebote in Kindergärten sein, Kinder müssen ihre Fantasie benutzen und ihre Ideen austesten können. Freiraum dafür darf nicht von vermeintlich Wichtigerem belegt werden. In den Schulen könnte ein verpflichtendes Abiturfach aus dem Bereich der Musik oder Kunst eingeführt werden, damit die Kreativität der jungen Menschen nicht unter dem Pisa-Druck verkümmert.

    Ich will Ihnen drei weitere Handlungsempfehlungen nennen, für die wir uns als SPD in der Enquete-Kommisson besonderes stark gemacht haben. Etliche Künstlerinnen und Künstlern können von der Kunst nicht ohne Zusatztätigkeiten leben. Ohne die Künstlersozialversicherung (KSV) wäre die soziale Absicherung selbständiger Künstler in erheblicher Gefahr. Darum ist uns der Erhalt dieses vorbildlichen Versicherungssystems so wichtig. Zudem müssen Verbesserungen im Bereich des Urheberrechts kommen, die ein vernünftiges Einkommen aus der Verwertung des geistigen Eigentums ermöglichen.

    Und ganz oben auf der Agenda steht für uns drittens die Anpassung der Rahmenfrist für den Erwerb von Anspruch auf Arbeitslosengeld I, damit Künstlerinnen und Künstlern im Falle von Arbeitslosigkeit auch von der Arbeitslosenhilfe profitieren können.

    Meine Damen und Herren, die Materie ist sehr komplex und auch vielschichtig. Es gibt viele Bereiche, in denen wir Kulturpolitiker gar nicht zuständig bzw. federführend sind, wie es so schön heißt.

    D.h. wir müssen über viele Handlungsempfehlungen, sofern sie überhaupt den Bund betreffen – die meisten Handlungsempfehlungen sind nämlich an die Länder und die Kommunen gerichtet – erst eine Verständigung mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen erzielen.

    Doch auch wenn die Umsetzung des Berichts mühevoll ist, haben wir schon einiges umsetzen können. Beispielsweise wurde auf der Grundlage des Enquete-Berichts und eines Antrages im Deutschen Bundestag die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung auf den Weg gebracht. Das Bundesjustizministerium hat eine Gesprächsreihe mit den Verwertungsgesellschaften initiiert, um sich mit den HE zum Urheberwahrnehmungsrecht und den Verwertungsgesellschaften auseinander zu setzen. Und es hat einen sehr umfangreichen Antrag zur Europäischen Kulturpolitik gegeben, mit dem wir uns dafür einsetzen, dass sich ein europäisches Kulturverständnis entwickelt, ohne dass die eigene kulturelle Identität verloren geht.

    Von den mehr als 40 Handlungsempfehlungen zu diesem Thema halten wir die Festschreibung eines "Kulturbetrages" im EU-Haushalt in Höhe von einem Prozent, die Weiterentwicklung des Konzepts der Europäischen Kulturhauptstädte, die Kennzeichnung von Stätten europäischer Kultur, die Förderung und kulturelle Aufwertung des europäischen Films und die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Außenkulturpolitik für wesentliche Forderungen, die es umzusetzen gilt.

    Auch die Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt in zukünftigen WTO- und GATS-Verhandlungen in Bezug auf den Kultur- und Medienbereich ist dringend geboten.

    Meine Damen und Herren,

    Sie sehen, in dem Bericht der Kommission liegt viel Potential, der Kunst und Kultur in Deutschland einen neuen Schub zu verleihen. Doch dieser frische Wind entfacht sich nicht allein dadurch, dass der Bericht vorliegt. Er muss auch beachtet, diskutiert und umgesetzt werden. Ich bin froh, heute mit Ihnen zusammen einen Schritt in diese Richtung zu tun und freue mich auf unsere weitere Diskussion.

    Herzlichen Dank!