Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    19.03.2009

    Interview zur Verantwortung der Medien bei Amokläufen

    Württemberger Gemeindeblatt


    Frau Griefahn, wie beurteilen Sie die Medienberichterstattung nach Winnenden?

    Es gab dort eine sehr hektische Berichterstattung, die teilweise nicht auf Fakten beruhte. Ein Internetportal hat den Weg des Attentäters wie in einem „Ego-Shooter-Spiel“ nachspielen lassen. Schüler haben nachweislich Geld dafür erhalten, dass sie für die Kameras weinten oder sich umarmten. Das hat in meinen Augen nichts mehr mit seriösem Journalismus zu tun und ruft schlimme Erinnerungen an die Geiselnahme von Gladbeck 1988 hervor. Von dem existierenden Pressecodex war man in Winnenden weiter entfernt denn je.

    Wie sieht aus Ihrer Sicht denn ethisch verantwortlicher Journalismus aus?

    Ich halte es für wichtig, dass sich die Medien auch in der Situation eines Amoklaufs an einer Schule über die Folgen ihrer Berichterstattung bewusst sind und Zurückhaltung üben. Nicht alles, was aus Winnenden berichtet wurde, war wirklich nötig, nicht alles waren Informationen, die man brauchte. Ein gutes Beispiel dafür, wie es auch geht, ist die Deutsche Bahn AG: Wenn irgendwo in Deutschland jemand einen Suizid begeht, indem er sich vor einem Zug wirft, wird das nicht mehr groß berichtet, um Nachahmer abzuhalten.

    Aber kann man das denn mit einem Amoklauf vergleichen?

    Natürlich muss man da unterscheiden. Informationen über einen Amoklauf müssen sein, aber Zurückhaltung ist ebenfalls geboten. Der Täter von Winnenden hat durch die Berichterstattung so viel Nachruhm erhalten, dass sein Amoklauf für andere Jugendliche zum Vorbild zu werden droht. Allein in Baden-Württemberg gab es in den Tagen nach dem Amoklauf mehr als 50 Fälle angedrohter Nachahmungen. Sie dürfen nicht vergessen: Wir leben in einer Zeit, die durch Fernsehformate wie „Deutschland sucht den Superstar“ geprägt ist. Und gerade Jugendliche träumen oft vom schnellen Ruhm. Nach Winnenden konnte man den Eindruck haben, dass ein Amoklauf genau diesen Ruhm verschaffen kann.

    Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht denn neue Medien, wie die Internetportal Twitter oder Youtube?

    Twitter wurde dieses Mal vor allem von so genannten Journalisten genutzt, deren Berichte ich sehr problematisch fand. Dort wird ohne Kontrolle, ohne Recherche gepostet. Das Vier-Augen-Prinzip, wonach in einer Redaktion jeder Text mindestens von einem anderen Redakteur gegengelesen werden muss, gilt dort nicht mehr.

    Was ist ihre Konsequenz aus diesen Erkenntnissen?

    Ich trete dafür ein, dass sich Vertreter von Zeitungen, Rundfunkanstalten und Internetportalen an einen Runden Tisch setzen, und verbindliche Richtlinien für die Medienberichterstattung nach solchen Vorfällen schaffen. Der Pressekodex, den wir im Moment haben, ist leider viel zu unverbindlich. Wir müssen dafür sorgen, dass sich eine Berichterstattung wie nach Winnenden nicht mehr wiederholt.

    Wir danken für dieses Gespräch.