Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    14.12.2005

    Über Telenovelas und andere einseitige Phänomene


    Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben natürlich einen Grundversorgungsauftrag zu erfüllen. Die schwierige Balance zwischen Qualitäts- und Quotenanspruch – auch in Abgrenzung zu den Privaten – haben die Sender in der Vergangenheit immer wieder zu Balanceakten gebracht. Dass dabei oft erst die öffentliche Kritik und Diskussion zu Korrekturen und damit zu einem ausgeglichenen Programm geführt haben, sehe ich nicht als Manko, sondern als sinnvolle Interaktion zwischen Zuschauern und Programmmachern. Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte allerdings immer aufmerksam programmliche Mängel verfolgen, und so will ich das auch selbst an späterer Stelle am Beispiel der Telenovelas tun, die ich – diplomatisch gesagt – kritisch sehe.

    Zunächst müssen die Sender neben ihrer rein programmlichen Verantwortung noch stärker begreifen, dass sie, indem sie durch Gebühren zum größten Teil von wirtschaftlicher Abhängigkeit befreit sind, auch eine institutionelle Vorbildfunktion haben. Bei der Gleichstellung von Männern und Frauen sind die Sender hier nicht nur kein gutes, sondern ein ausgesprochen schlechtes Vorbild. Warum? Auch wenn sich allgemein die Berufstätigkeit von Frauen bei Medien nur sehr schwer exakt beziffern lässt, gerade weil die Berufsbezeichnungen nicht fest umrissen sind, so zeigt die neuste Erhebung von Siegfried Weischenberg (2005) doch, dass von zirka 50.000 hauptberuflichen Medienschaffenden in Deutschland 37,3 Prozent Frauen sind. Im Vergleich zu 1993 hat sich die Zahl um immerhin ein Fünftel erhöht. Der Beschäftigungsanteil der Frauen bei öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehsendern liegt sogar um einige Prozentpunkte höher, was zum großen Teil daran liegt, dass inzwischen bei fast allen Anstalten Richtlinien, Vereinbarungen oder Gleichstellungspläne gelten. Soweit so gut! Auf den ersten Blick stehen die Öffentlich-Rechtlichen bei dem Zahlenverhältnis von Frauen und Männern nicht gleich, aber doch ganz gut dar. Am stärksten vertreten sind Frauen mittlerweile übrigens im Fernsehen, gefolgt vom Hörfunk und von den Printmedien.

    Auf den zweiten Blick stellt ein weiteres Ergebnis das erste positive jedoch in den Schatten. Der Anteil von Frauen in leitenden Funktionen ist viel zu gering! Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat sich der Anteil in den vergangenen zwanzig Jahren von 6 Prozent auf gerade einmal 14 Prozent erhöht. Das ist lange nicht genug! Die eigentlich noch viel größere Peinlichkeit für die öffentlich-rechtlichen Anstalten aber ist, dass im privaten Rundfunk bereits 25 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt sind. Das traurige Ergebnis lässt sich schnell verdeutlichen.

    Von den insgesamt neun ARD-Anstalten – und genauso können wir die Deutsche Welle, ZDF, 3sat, Arte, Kika und Phoenix hinzunehmen – ist Dagmar Reim die erste und einzige Intendantin, bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Auf den nächsten Ebenen kommen dann zum Beispiel Lea Rosh (NDR) in den 90ern erste weibliche Funkhausdirektorin überhaupt, Maria von Welser (NDR), Barbara Molsen (MDR), Monika Piel (WDR) oder Hannelore Steer (RBB) als Funkhaus- beziehungsweise) Hörfunkdirektorinnen, außerdem Uta Thofern und Dagmar Engel (DW) als Chefredakteurinnen oder Gerda Hollunder als Programmdirektorin (DeutschlandRadio Berlin) und Micaela Lämmle als Programmchefin (SWR2) dazu.

    Einige weitere fielen mir sicher noch ein, doch schon ziemlich schnell gehen einem die Namen aus und wir sind konfrontiert mit den 86 Prozent männlichen Führungskräften. Selbst wenn es im Deutschen Bundestag nur 33 Prozent Frauen gegenüber 67 Prozent Männern gibt, so muss ich sagen, dass wir bei der Verteilung der Führungspositionen schon sehr viel weiter sind.

    Wenn wir hauptberufliche Journalisten in Altersgruppen aufteilen, wird das Bild noch klarer. Bei den 20- bis 34-jährigen gibt es mehr Frauen als Männer, in der Gruppe der 35- bis 40jährigen herrscht ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aber ab 50 Jahren sind eindeutig mehr Männer in diesem Beruf. Als weiterer Punkt kommt hinzu, dass Journalistinnen weit häufiger Themen wie Sozialpolitik und, Unterhaltung und das „leichte“ Feuilleton bearbeiten. Nachdem Führungspersonal aber zuallererst aus erfahrenen und älteren Mitarbeitern rekrutiert wird, die meist aus den ‚harten’ journalistischen Themen wie Politik oder Wirtschaft kommen, ist es nur logisch, dass Frauen es schwer haben, in Spitzenpositionen aufzusteigen.

    Ich sehe aber nicht ein, warum Frauen, die mit einem größeren Anteil an der Bevölkerung effektiv sogar mehr Rundfunkgebühren zahlen als Männer, akzeptieren sollten, dass sie in der Führungsriege weit unterrepräsentiert sind. Das zieht sich selbst bis in die Aufsichtsgremien, wo in den Rundfunk- und Verwaltungsräten auch nur um die 20 Prozent Frauen sitzen.

    Hier sehe ich in erster Linie einen dringenden Handlungsbedarf der Anstalten. Die Politik kann und darf nur für möglichst positive Rahmenbedingungen sorgen, ganz im Sinne des Grundgesetzes, das verlangt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Auf den öffentlich-rechtlichen Mediensektor bezogen, bedeutet das in erster Linie, dass die Politik für einen möglichst starken Rundfunk sorgen muss. Das bedeutet eine Vielfalt an qualitativ und quantitativ guten Radio- und Fernsehsendern, die vor allem im Inland aber auch im Ausland für möglichst viele empfangbar sind, sollen als Garant für die Möglichkeit der Vermittlung unserer Werte und Ideale den Menschen zur Verfügung stehen. Die Vermittlung dieser Werte muss dann allerdings ganz Sache der Anstalten sein und Gleichberechtigung gehört nun einmal ganz entscheidend dazu.

    Der nächste Schritt ist, dass Frauen in die Lage versetzt werden, gleichberechtigt zu den Männern, mit Kindern einem Beruf nachzugehen und darin Karriere zu machen. Mit zahlreichen Maßnahmen haben wir hier in der Vergangenheit viel erreicht und wir sehen hierin auch für die Zukunft einen Schwerpunkt unseres Handelns. Dass bei den privaten Mitbewerbern die Zahl der Frauen in Führungspositionen fast doppelt so hoch ist wie in den eigenen Reihen, daran kann nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst etwas ändern.

    Zu Anfang des Artikels habe ich die programmliche Verantwortung angesprochen, die ich insgesamt erfüllt, ja beim Bereich des Fiktionalen beinahe übererfüllt sehe. Dennoch irritiert mich, gerade wenn wir beim Thema Gleichstellung von Frauen und Männern sind, dass sich ARD und ZDF mit solch einer großen Leidenschaft nicht nur als erstes, sondern auch am stärksten auf die Telenovelas gestürzt haben.

    Das Programm beobachtend, musste ich anfangs ja zugestehen, dass die Frauenquote in den Serien wirklich vorbildlich ist. Verständlich, soll hier doch zum größten Teil eine weibliche Zielgruppe bedient werden. Im Laufe der Sendungen fragte ich mich aber schnell, ob die Frauen in Deutschland wirklich so sind. Die Darstellung besteht aus triefenden Klischees, die sich in den einzelnen Serien zeitweise am selben Tag, identisch zu wiederholen scheinen. Für jeden Hobbywissenschaftler sind die gepflegten Frauenbilder sofort als klassisches „Hure“ und „Heilige“ Gegensatzpaar erkennbar. Während die eine Gruppe immerwährend mit Liebe und Liebeskummer beschäftigt ist, ist die anderen böse und falsch und scheint sich nur mittels Intrigen durchs Leben zu bewegen. Rationales, menschliches und damit wahrheitsgemäßes Handeln – Fehlanzeige. Einzige Gemeinsamkeit aller Frauen: Sollten sie gerade einmal nicht durch Liebe oder Intrigen abgehalten werden, gilt ihre Aufmerksamkeit zuallererst dem Geld und der Kleidung. Da ist es fast überflüssig zu ergänzen, dass den Männern die zupackende, starke und erfolgreiche Rolle zukommt. Diese falsche Realität holen sich täglich Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in ihre Wohnungen und lassen sie ein Stück weit tatsächliche Realität werden.

    ‚Ein alter Hut’, könnte man sagen, wo doch seit Jahrzehnten diese Rollenbilder die Massenfilme dominieren. Doch es schmeckt schon ziemlich bitter, dass gerade ARD und ZDF mehr als alle anderen vorgestrige Welt- und Frauenbilder pflegen. Sogar die Schadenfreude der Privaten ist hier verständlich. Sat1-Sprecherin Kristina Faßler sagt im Hinblick auf die öffentlich-rechtliche Konkurrenz: „Bei uns wird nicht das Schmalz aus dem Fernseher tropfen.“ und dafür spricht, dass selbst die einzige eigenproduzierte Telenovela der Privaten „Verliebt in Berlin“ um so viel besser ist, dass sie mit dem Deutschen Fernsehpreis als beste Serie geehrt wurde. Die Öffentlich-Rechtlichen warten dagegen mit „Sturm der Liebe“, „Sophie - Braut wider Willen“ und „Julia – Wege zum Glück“ mit der Quantität von gleich drei Serien auf. Die fragwürdige Absicht, mit gerade diesem Format die Zuschauerzahlen zu verjüngen, scheint zudem nicht besonders gut aufzugehen. Der SPIEGEL berichtet, dass selbst bei der im Vergleich noch nicht einmal ganz so verstaubt wirkenden Serie „Sophie – Braut wider Willen“ die Quoten „ernüchternd“ sind, wie es Camille Zubayr, Leiter Medienforschung in der Programmredaktion der ARD, formuliert. Anfang Februar wird der Sendeplatz wohl schon wieder für etwas anderes frei. Ich freue mich über jeden Versuch der Öffentlich-Rechtlichen, jüngere Zuschauer und Zuhörer für die Sendungen zu interessieren. Den Weg, ihnen dabei vorgestrige und gefällige Rollenbilder aufzutischen, halte ich allerdings für gefährlich.

    Ich bin nicht vollends unversönlich und will die Telenovelas nicht als Teufel an die Wand malen. Das Sendeformat an sich soll gar nicht generell kritisiert sein, sondern ich will es problematisieren und die Überlegung anregen, ob man das Format nicht inhaltlich anders füllen könnte. Auch unabhängig von dem vermutlich sich sicher irgendwann von selbst erledigendem Phänomen, müssen sich die Sender – auch die Privaten – die generelle Frage gefallen lassen, wie gut sie ihre Vorbildfunktion wahrnehmen. Dabei muss Gleichberechtigung vor und hinter der Kamera mit an vorderster Stelle stehen. Es gilt nicht nur Vorbild für Mädchen und Frauen zu sein, sondern es geht auch darum, den immer wieder erschreckend starken Klischees vieler Männer entgegenzutreten und zu helfen, sie bei Jungen gar nicht erst entstehen zu lassen.

    Für die Gleichberechtigung im Allgemeinen und in den öffentlich-rechtlichen Medien im Besonderen, müssen sich die Medien ihrer Verantwortung noch stärker bewusst werden und sich dafür einsetzen, dass es hier endlich schneller vorangeht, als das in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Bei den Rundfunkanstalten fängt das an, wenn es um die Besetzung von Spitzenpositionen und die Einstellung von Mitarbeiterinnen in männerdominierte Bereiche wie Politik oder Wirtschaft geht, und hört nicht zuletzt dort auf, wo Redakteure und Produzenten entscheiden, was sie ihren Zuschauern vermitteln wollen. Solange ich immer wieder Sendungen sehe, bei denen die Sender ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, fühle ich mich als „Monika – Zuschauerin wider Willen“.