Inhalt
- Jugend in Mülheim
- Studium in Göttingen und Hamburg
- Greenpeace Deutschland
- Greenpeace International
- Familie
- Umweltministerin in Niedersachsen
- Abgeordnete im Bundestag
- Selbstständigkeit
- Cradle to Cradle
- Alternativer Nobelpreis
- Mülheimer Mädchen
Am 3. Oktober 1954 kam ich im Katholischen Krankenhaus in Mülheim an der Ruhr zur Welt. Mein Vater Jürgen war Viehkaufmann. Er arbeitete auf einem Schlachthof in Essen, bei einer kleinen Viehagentur, die er später übernahm. Er war nicht oft zu Hause, morgens um 4 ging es los zur Arbeit, auch an den Wochenenden. Meine Mutter Karin war Hausfrau und half im Betrieb bei der Buchhaltung.
So wuchs ich in bescheidenen, man könnte sagen kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Tilsiter Straße in Holthausen auf. Unser Haus, 1953 von meinem Großvater erbaut, würde man heute einen Mehr-Generationen-Haushalt nennen. Bei Griefahns lebten wir zusammen mit meinen Großeltern, meinen Eltern und meinen drei Schwestern, von denen ich die Älteste war.
Reiche Leute waren wir nicht und Taschengeld gab‘s sowieso keins; wollte ich mir etwas gönnen, musste ich dafür arbeiten. So kellnerte ich schon mit 14 Jahren im Café Pieper.
Aber es war auch unbeschwert. Mit dem Nachbarsjungen konnte ich unbeaufsichtigt durchs Viertel tollen; meiner Mutter war nur wichtig, dass ich zum Mittagessen heimkomme, wenn die Kirchenglocken läuten. Heute ist das so kaum noch vorstellbar.
Vater Jürgen:
„Die Monika wird sowieso heiraten,
die muss nicht auf die höhere Schule!“
Ich besuchte die Hölterschule, damals eine evangelische Volksschule. Im Abschlussjahr schlug mich mein Lehrer für die höhere Schule vor. Nun stand meine Familie also vor der Frage: Soll Monika aufs Gymnasium oder nicht? Für meinen Vater war das klar: „Die Monika wird sowieso heiraten, die muss nicht auf die höhere Schule!“ So war das damals.
Zum Glück sah das mein Großvater anders: Der nahm mich eines Tages mit und meldete mich einfach an der Luisenschule an, damals noch ein reines Mädchengymnasium.
Mein Großvater war eine wichtige Bezugsperson für mich. Jeden Sonntagvormittag, vor dem großen gemeinsamen Familienessen, hatte ich ihn für mich alleine – bei drei Geschwistern nicht selbstverständlich. Wir gingen immer gemeinsam in den Witthausbusch und fütterten die Tiere im Gehege. Das war einer meiner Lieblingsorte.
Monika Griefahn:
„Wie verdreckt die Ruhr war,
stieß mir übel auf.“
Ein anderer Lieblingsort ist für mich zweifellos die Ruhr. Ob bei Fahrten mit der Weißen Flotte oder rudernd mit der Schule: Auf der Ruhr zeigt sich mir Mülheim von seiner schönsten Seite.
Doch damals stieß mir übel auf, wie verdreckt unser Fluss war. Man konnte ihm ansehen, wie sehr er durch ungeklärte Abwässer und die Schwerindustrie im Ruhrgebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und das hörte nicht bei Gewässern auf. Auch ich entwickelte schlimmen Husten, den ich in einem Kindererholungsheim auf Föhr auskurieren musste. Das gab mir zu denken.
In der Luisenschule lernte ich meine beste Freundin Conny kennen. Conny kam aus einem Haushalt, in der Bildung einen höheren Stellenwert hatte als in meiner Familie, und das merkte man auch. Sie brachte mir einen ganz anderes Bewusstsein für die Welt näher.
Zwar engagierte ich mich bereits kirchlich in der Jungschar und leitete Kindergruppen an der damaligen Walkmühlenkirche. Mein christlicher Glaube gab mir auch mit, wie wichtig es ist, durch Nächstenliebe für Gerechtigkeit einzutreten und auch die Schöpfung zu bewahren. Aber erst mein Austausch mit Conny politisierte mich wirklich.
Monika Griefahn:
„Eine geborene Rednerin war ich nicht.
Aber mir war nun klar: Ich bin ein politischer Mensch!“
Also beteiligten Conny und ich uns zusammen mit anderen an der Gründung einer Mülheimer Ortsgruppe von Amnesty International. Für mich ist das ein tolles Beispiel, dass man manchmal ganz leicht etwas in Bewegung setzen kann, denn wir waren nur 15 Jahre alt und engagierten uns plötzlich mit verschiedenen Mitstreiter*innen – darunter ein Polizist und eine Richterin!
Die Gründungsversammlung war auch gleich mein erster öffentlicher Auftritt. Ich stellte vor, wie Amnesty sich durch das koordinierte Verschicken von Briefen für politische Häftlinge einsetzt.
Ehrlicherweise muss ich sagen: Auch wenn ich in der Mülheimer Ballettschule Wrona, die ich rund zehn Jahre besuchte, gelernt hatte, vor Menschen aufzutreten: Eine geborene Rednerin war ich nicht. Aber mir war nun klar: Ich bin ein politischer Mensch! So begann ich mich auch in der Schülervertretung der Luisenschule zu engagieren, bis ich 1973 dort mein Abitur ablegte.
Es zog Conny und mich dann zum Studium nach Göttingen, wo ich mich zunächst für Sozialwissenschaft und Mathematik einschrieb. Göttingen war sehr beschaulich, aber blieb auch nicht von den Ereignissen des Weltgeschehens unbehelligt.
Als der demokratisch gewählte Präsident Allende von einer faschistischen Junta in Chile weggeputscht wurde, kamen viele chilenische Flüchtlinge auch nach Göttingen. Und da war es für mich selbstverständlich, an der Uni in der Flüchtlingsarbeit mitzuhelfen.
Später aber folgte ich meinem damaligen Freund nach Hamburg, bis ich 1979 meine Diplomarbeit im Fach Soziologie einreichen konnte. Dafür hatte ich die Frage erforscht, wieso damals so viele junge Frauen ihr Studium abbrachen.
Neben dem Studium engagierte ich mich in einer Umweltgruppe, die sich gegen die Verschmutzung und Industrialisierung der Elbe einsetzte. Zudem fing ich noch in Göttingen beim Deutsch-Französischen Jugendwerk eine Ausbildung als Moniteurin an, nachdem ich mich dort schon zu Schulzeiten engagiert hatte. Der internationale Dialog, gerade zwischen Nationen, die jahrhundertelang im Krieg miteinander standen, faszinierte mich schon damals.
Im Jugendwerk war ich dann Seminarleiterin für Umweltthemen. Zusammen mit der Bildungsinitiative Arbeit und Leben von DGB und Volkshochschulen organisierte ich viele deutsch-französische Seminare und kam so auch öfter nach Frankreich. Dort lernte ich erstmals Greenpeace kennen.
Monika Griefahn:
„Unsere Gegner waren die ganz Großen: Weltkonzerne, Großindustrie, die Mehrheit des damaligen politischen Establishments.“
Greenpeace hatte den Ansatz, nicht allein lokal gegen Umweltverschmutzung vorzugehen, sondern den Kampf für eine lebenswerte Natur auf die internationale Ebene zu heben. Ich fand das großartig und erkannte, dass so viel eher ein Wandel erreicht werden konnte. Also gründete ich mit einigen Mistreiter*innen in Hamburg die deutsche Sektion von Greenpeace. Unsere ersten Treffen fanden zunächst in meiner Küche und dann in den Räumen des CVJM in Hamburg statt, der mich nach dem Studium als Bildungsreferentin angestellt hatte.
Wir – eine Gruppe junger, idealistischer Umweltbewegter – hatten uns nicht wenig vorgenommen und unsere Gegner waren die ganz Großen: Weltkonzerne, Großindustrie, die Mehrheit des damaligen politischen Establishments. Etwa bei unserer großen Kampagne gegen die Dünnsäureverklappung in der Nordsee in den Jahren 1980-83, die ich maßgeblich mit koordinierte.
Damals fuhren Schiffe von Kronos Titan, einem großen Chemiekonzern, vor die Insel Helgoland und pumpten einfach so hunderte Tonnen giftiger Chemieabfälle, sogenannte Dünnsäure, ins Meer – und das tagtäglich. Um auf diesen Umweltskandal aufmerksam zu machen, fuhren wir mit Schlauchbooten eng an die Schiffe heran und schwammen sogar im Wasser in unmittelbarer Nähe zu den Schiffen, um sie an ihrer toxischen Arbeit zu hindern. Das war sehr gefährlich, aber wir waren entschlossen, diese menschengemachte Umweltkatastrophe zu beenden.
Gleichzeitig suchten wir den Kontakt zur Politik und zeigten aktiv Alternativen im Umgang mit Dünnsäure auf. Mit Erfolg, der Konzern Kronos Titan hörte mit der Verklappung auf.
Monika Griefahn:
„Ich hatte mehrere ‚Nachteile‘: Weiblich, jung, nicht anglophon.“
Es war eine wilde Zeit: Andere Aktionen waren die Besteigung des Schornsteins der Firma Boehringer – durch den giftige Pestizide und sogar Dioxinstoffe in die Umwelt entlassen wurden – oder die Kampagne gegen die damalige Praxis von Dow Chemical, chlorierte Kohlenwasserstoffe in die Elbe zu leiten.
Ich bin froh, hieran und an vielen anderen Aktionen von Greenpeace in Deutschland maßgeblich mitgewirkt zu haben. Greenpeace Deutschland wählte mich 1980 zu einer seiner drei Geschäftsführer*innen, die ich bis 1984 blieb. Hier sammelte ich erste Management-Erfahrung. Und hier lernte ich meinen heutigen Ehemann Michael kennen. Er war unser Chemiker, der u. a. die „Beluga“, ein Greenpeace-Schiff zur Erforschung der Flussverschmutzung, mit einem Labor ausstattete.
In diesem Jahr berief mich der Gründer von Greenpeace International, David McTaggart, dann in den neu gebildeten internationalen Vorstand von Greenpeace. Damals gehörte ich diesem als erste und einzige Frau an. Auch Greenpeace war eine Männerwelt, ein old boys club. Ich hatte daher mehrere „Nachteile“: Weiblich, jung, nicht anglophon. Es wurde öfter versucht, Entscheidungen bei einer Runde Bier in der Kneipe ohne mich zu treffen. Dem habe ich aber schnell einen Riegel vorgeschoben. Ich bin froh, dass Greenpeace heute deutlich diverser ist. Im Vorstand setzte ich mich für Aus- und Fortbildung sowie die weltweite Einrichtung neuer Büros ein, besonders in Europa und Südamerika.
Monika Griefahn:
„Wir waren manchen so sehr ein Dorn im Auge, dass auch vor Verbrechen nicht zurückgeschreckt wurde.“
In meine internationale Vorstandszeit fiel auch die Versenkung der „Rainbow Warrior“. Wir benutzten sie bei verschiedenen Kampagnen gegen die Tests von Atomwaffen, die die Umwelt zerstörten und den Frieden bedrohten. 1985 demonstrierten wir mit dem Schiff gegen französische Atomwaffentests im Südpazifik.
Am 10. Juli lag sie in Auckland vor Anker, als sie plötzlich durch zwei Explosionen zerstört wurde. Unser Fotograf Fernando Pereira wurde dabei getötet. Zusammen mit der französischen Presse konnten wir in monatelangen Recherchen aufklären, dass es sich um einen Anschlag des französischen Geheimdienstes gehandelt hatte. So sehr waren wir manchen ein Dorn im Auge, dass auch vor Verbrechen nicht zurückgeschreckt wurde.
Monika Griefahn:
„Mein Mann und ich haben uns bei unserer Hochzeit geschworen: 50 gemeinsame Tage im Jahr.“
1986 habe ich meinen Ehemann Michael Braungart geheiratet. Mein Mann und ich haben uns bei unserer Hochzeit geschworen: 50 gemeinsame Tage im Jahr. Es ist alles andere als einfach, das hinzubekommen. Auch Michael hat als bekannter Wissenschaftler immer einen vollen Terminkalender. Umso mehr genieße ich jeden gemeinsamen Moment mit meiner Familie. Wir haben drei Kinder bekommen: Jonas, Nora Sophie und Stella Theresia. 2013 ist unser Sohn Jonas leider verstorben.
Ich arbeitete noch immer im internationalen Greenpeace-Vorstand, als mich 1989 aus dem heiteren Himmel eine Nachricht erreichte: Gerhard Schröder, Spitzenkandidat der SPD Niedersachsen, wolle mich gerne treffen.
Bei einem Abendessen bei Schröders Lieblingsitaliener in Hannover verriet er mir sein außergewöhnliches Anliegen: Ich solle doch Ministerin in seinem Kabinett werden, meine umweltpolitischen Forderungen auch in die Tat umsetzen. Ich sagte zu.
Monika Griefahn:
„Als Ministerin ist man nicht nur Politikerin, man ist auch Verwaltungschefin.“
Schröder berief mich, damals noch eine Parteilose, in sein Kompetenzteam und so reiste ich durch die Lande und kam mit Bürgerinitiativen, Bäuer*innen, Unternehmer*innen und vielen anderen Menschen ins Gespräch. Am Ende gewann die SPD 1990 die Wahl und ich wurde Umweltministerin (und nicht etwa der grüne Koalitionspartner). Zu meinen politischen Vorstellungen sagte Schröder nur: „Mach mal.“
Damit begann für mich ein gänzlich neuer Lebensabschnitt. Ich kam aus dem kampagnenorientierten Umweltaktivismus und übernahm sozusagen urplötzlich Regierungsverantwortung im flächenmäßig zweitgrößten Bundesland Deutschlands. Das war ein Sprung ins kalte Wasser, aber ich lernte schnell mich zurechtzufinden.
Als Ministerin ist man nicht nur Politikerin, man ist auch Verwaltungschefin. Unmittelbar im Ministerium arbeiteten rund 350 Menschen, in den mir als Ministerin nachgeordneten Behörden rund weitere 2.500. Es war eine gewisse Herausforderung, diesen Apparat so zu organisieren, dass er meine Politik für Niedersachsen optimal unterstützte.
Denn es war 1990 erst vier Jahre her, dass das Umweltministerium aus anderen Ministerialverwaltungen zusammengesetzt worden war. Die Beamtenschaft war etwas strukturkonservativ und es brauchte einige Überzeugungs- und Führungskraft, um sie für meine Projekte zu gewinnen.
Monika Griefahn:
„Als Ministerin Mutter zu werden galt als völlig undenkbar.“
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Für viele auch außerhalb des Ministeriums war ich zudem auch ein Kulturschock: Eine Frau im Ministerium war bisher normalerweise Sekretärin, nun aber war eine Frau oberste Vorgesetzte. Noch dazu war ich jünger als viele meiner Mitarbeiter und pflegte ein sehr offenes Wort. Dass eine Ministerin dann auch noch Mutter wurde, so wie ich 1992 und 1995, galt bis dahin als völlig undenkbar. In meinem Ministerium hatten sich die Frauen bis dahin kaum getraut, ein Kind zu kriegen, denn das hatte damals das Karriereende bedeutet. Damit habe ich kräftig aufgeräumt, nach mir entschieden sich viele Mitarbeiterinnen für eine Familie.
Unsere Umweltpolitik war die wohl mutigste in ganz Deutschland. Eines der Top-Themen schon im Wahlkampf war der geplante Bau von zehn Hausmüll- und mehreren Sondermüll-verbrennungsanlagen. Ein insbesondere damals sehr schädlicher Industriezweig, verantwortlich für Schadstoffe und große Ressourcenverschwendung. Ein irrsinniges Vorhaben. Bis auf drei Anlagen haben wir es vollständig gestoppt.
Stattdessen habe ich Alternativen vorangebracht, etwa biologisch-mechanische Müllbehandlung, die Arbeit mit Kompostierung und Vergärung, die Trennung von Müll und seine Wiederverwendung für Biogas etc. Vieles, was heute Standard ist, haben wir damals eingeführt. Das hat am Ende nicht nur der Umwelt genützt, sondern auch den Steuerzahler*innen, denn meine Politik war sehr viel günstiger als der Bau von Müllverbrennungsanlagen.
Als Ministerin setzte ich häufig auf das Format der Runden Tische. Ich habe unterschiedliche Menschen an einen Tisch gebracht, die vorher noch nie miteinander gesprochen hatten – obwohl sie sich mit ihren unterschiedlichen Interessen die ganze Zeit bekämpft hatten. Mehr als einmal erreichten wir so vernünftige Lösungen im Kompromiss.
Monika Griefahn:
„Ein besonderes Herzensanliegen war für mich der Atomausstieg.
Ich habe ihm ein gutes Stück Weg bereitet.“
Ein besonderes Herzensanliegen war für mich der Atomausstieg. Ich begann die gesamte Landespolitik darauf auszurichten, dass wir diese gefährliche Art der Energiegewinnung überwinden. Aber leider lag verfassungsrechtlich die wesentliche Entscheidung, an der Atomkraft festzuhalten, nicht bei den Ländern, sondern beim Bund. Dort waren meine Gegenspieler der CDU-Bundesumweltminister Klaus Töpfer und im Anschluss seine Nachfolgerin Angela Merkel, die heutige Kanzlerin. Töpfer und Merkel wehrten sich vehement gegen einen Ausstieg aus der Atomenergie. Mehr als einmal trugen wir darüber Konflikte aus; mehr als einmal mussten sie mich förmlich anweisen, Atomkonzernen erforderliche Genehmigungen zu erteilen.
Als Umweltministerin war ich für die Sicherheit der Atomkraftwerke in Niedersachsen zuständig. Ich ordnete an, dass alle Bauvorhaben intensiv, ausgiebig und kritisch geprüft werden. Der Atomindustrie gefiel das nicht, sie wollte schnelle Entscheidungen für schnelles Geld. Darum überhäuften mich die Atomkonzerne mit Schadensersatzklagen, gerichtet gegen mich persönlich. Am Ende türmte sich die Summe angeblicher Ansprüche auf 115.000.000 Euro. Man wollte mich mundtot machen, aber das beirrte mich nicht. Und es beirrte auch nicht die Wähler*innen, die die Landesregierung und mich 1994 wiederwählten und der SPD eine absolute Mehrheit verschafften. Eine schöne Bestätigung, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen hatten.
Aber auch für den Natur- und Wasserschutz habe ich mich intensiv engagiert: So haben wir den Nationalpark Harz ausgewiesen, das Wattenmeer bei der UNESCO zum Programm „Man and Biosphere“ angemeldet und das Biosphärenreservat Elbtalaue eingerichtet. Auch die Wasserqualität in Flüssen und Seen ist in meiner Amtzeit erheblich besser geworden, so dass auch dort wieder viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten leben können.
Monika Griefahn:
„Ich bin nicht Gegnerin der Wirtschaft.
Im Gegenteil, der Wirtschaft kommt eine Schlüsselrolle beim Schutz der Umwelt zu.“
Vorangebracht habe ich auch erste Formen der Kreislaufwirtschaft, also einer Wirtschaftsweise, die von vornherein auf die Produktion von Abfällen verzichtet, und bei der der die hergestellten Produkte der Grundstoff für neue Produkte sind. So habe ich mit Hewlett Packard auf der Hannover Messe den ersten auseinandernehmbaren Computer präsentiert, der aus nur einem Material bestand. Damals war die Zeit für diese Ansätze aber vielfach noch nicht reif, heute ist sie es aber umso mehr!
Und auch wenn es behauptet wurde, ich war auch als Ministerin nicht Gegnerin der Wirtschaft. Im Gegenteil glaube ich bis heute, dass der Wirtschaft eine Schlüsselrolle beim Schutz der Umwelt zukommt und ich kenne viele engagierte Unternehmer*innen, die auch ohne staatlichen Zwang ein ernsthaftes Interesse an einer gesunden Umwelt haben. Als Ministerin konnte ich beispielsweise ein Unternehmen dabei unterstützen, die Arbeit seines Werks so umzustellen, dass ein angrenzender Fluss nicht weiter belastet wird. So konnte ich eine Werksschließung vermeiden. Nicht nur die Umwelt, sondern auch Arbeitsplätze wurden geschützt.
Im Laufe der Jahre wurde immer mehr klar, dass ich als Landesministerin gegen den Widerstand des Bundes für den Ausstieg aus der Atomenergie nicht mehr erreichen konnte. Da fragte mich die SPD im Landkreis Harburg, ob ich nicht vor Ort als Bundestagsabgeordnete kandidieren wollte. Der Kreis Harburg war bis dahin kein rotes Pflaster, doch es gelang uns, die Wähler*innen zu überzeugen. So gewann ich 1998 als erste Sozialdemokratin dort das Direktmandat.
Eine Mitgliedschaft im Umweltausschuss des Bundestages wäre jetzt logisch gewesen. Doch als mein ehemaliger niedersächsischer Kabinettskollege Jürgen Trittin Bundesumweltminister wurde, hätte ich es komisch gefunden, wenn ich ihn plötzlich parlamentarisch hätte kontrollieren müssen. Dann wurde es also die Außen- und Kulturpolitik, die mich ebenfalls interessiert. Bald wählte mich dann auch der neu gegründete Kulturausschuss des Deutschen Bundestages zu seiner Vorsitzenden.
Kulturarbeit auf Bundesebene ist vor allem auch viel internationale Arbeit. Ich habe weltweit viele interessante Menschen kennengelernt, darum bin ich sehr froh darum, dass ich dieses Amt bekleiden durfte. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir es geschafft haben, die deutschen Goethe-Institute zu retten, die Deutschland kulturell in der Welt repräsentieren. Diese waren damals als rein „konsumptive Ausgabe“ verschrien und sollten darum in großer Zahl wegrationalisiert werden. Dieses Missverständnis von kultureller Außenpolitik, mit der gerade auch die Zivilgesellschaft in anderen Nationen (insbesondere auch in Diktaturen) erreicht werden kann, konnten wir ausräumen.
Monika Griefahn:
„Sexismus, Rassismus und Gewaltverherrlichung dürfen keine Zukunft haben.“
Sexismus, Rassismus und Gewaltverherrlichung dürfen keine Zukunft haben. Weil ich diese Linie auch als Kulturausschussvorsitzende konsequent vertreten habe, wurden meine Familie und ich zur Zielscheibe gerade auch von sogenannten Gangsta-Rappern, die nicht selten Texte mit solchen Inhalten zum Besten gaben. Trotz Morddrohungen und übler Kränkungen war diese Auseinandersetzung wichtig. Das haben mir auch die vielen Zuschriften von Mädchen und jungen Frauen gezeigt, die sich für meinen Einsatz bedankt haben.
Für meine jahrelange Arbeit für die deutsch-französischen Beziehungen, insbesondere im gemeinsamen Jugendwerk, ernannte mich 2002 die Französische Republik zur Ritterin der Ehrenlegion. Diese Ehre wurden nicht vielen Deutschen zuteil.
In der Atompolitik ging es noch lange hin und her: Im Bundestag beschlossen wir mit unserer rot-grünen Koalition 2002 gesetzlich den Atomausstieg. Das war ein großer Erfolg, dem ich mit meiner Arbeit als Ministerin in Niedersachsen zuvor ein gutes Stück Weg bereitet hatte.
2010 beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung unter meiner alten „Kontrahentin“ Merkel den Ausstieg aus dem Ausstieg, die Rückkehr zur Atomkraft. Es war ein Schlag auch für mich ganz persönlich, nachdem ich mein politisches Leben lang für den Atomausstieg gekämpft hatte. Plötzlich traf ich bei den Anti-Atom-Protesten in Gorleben meine eigenen Kinder wieder, die denselben Kampf aufgenommen hatten wie ich damals.
Aber schon 2011 stieg schwarz-gelb nach der Atomkatastrophe von Fukushima überhastet erneut aus der Atomenergie aus, praktisch der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Die Atomkonzerne erwirkten vor dem Bundesverfassungsgericht hohe Entschädigungszahlungen. Hätte man mal lieber unseren rot-grünen Atomausstieg beibehalten, der war rechtssicher und viel günstiger.
Monika Griefahn:
„Ein autoritäres Verständnis von Politik fand ich schon immer dubios.“
Aber zurück zu meiner Zeit im Bundestag:
In den 2000ern galten Privatisierungen als chic, so sollte es auch die Deutsche Bahn treffen. Ich wusste jedoch von den sehr negativen Erfahrungen der Privatisierung der British Rail im Vereinigten Königreich und stand den Plänen daher sehr skeptisch gegenüber. Damit hatte ich aber mit nur vier anderen Fraktionskollegen, darunter der leider schon verstorbene „Solarpapst“ Hermann Scheer, zunächst eine ziemliche Außenseiterposition inne. Auch noch heute führende Genossen echauffierten sich damals ziemlich, dass ich mir herausnahm, in der Frage der Bahn-Privatisierung nicht sofort einzulenken. So ein autoritäres Verständnis von Politik fand ich schon immer dubios.
Aber wie so oft in meinem Leben: Obwohl die Pläne im Hau-Ruck-Verfahren durch das Parlament geschleust werden sollten, ließ ich mich nicht beirren. Ich argumentierte, überzeugte und setzte mich schließlich mit meinen Mitstreitern durch: Der Bundesparteitag der SPD stoppte das Projekt, aus der Außenseiterposition wurde ein Mehrheitsbeschluss. Bis heute gehört die Deutsche Bahn den Bürger*innen und das ist sehr gut so.
Monika Griefahn:
„‚Nicht vermittelbar, weil zu eigenständig, zu eigensinnig, zu unbeugsam.‘ Da sah ich das einfach als Chance und machte mich selbstständig.“
Nachdem ich zwei Mal wiedergewählt wurde, habe ich 2009 den Bundestag verlassen. Ich musste mir bei der Jobsuche dann oft anhören: Nicht vermittelbar, weil zu eigenständig, zu eigensinnig, zu unbeugsam. Stimmt wohl. Da sah ich das einfach als Chance und machte mich selbstständig.
Ich gründete das Institut für Medien, Umwelt und Kultur. Dort richten wir Seminare aus, arbeiten mit Nichtregierungsorganisationen zusammen und helfen Unternehmen, die wirklich etwas für einen positiveren ökologischen Fußabdruck tun wollen. Und das meint kein bloßes Greenwashing, sondern ich sorge für einen echten, messbaren und nachhaltigen Effekt.
Einer unserer großen Kunden ist der Kreuzfahrt-Anbieter AIDA. Sicherlich: Kreuzfahrten sind für die Umwelt ein belastendes Geschäft. Aber ich hielt es für naiv davon auszugehen, dass dieser Wirtschaftszweig einfach verschwindet. Und ich sah bei AIDA ein echtes Interesse daran, die Umweltproblematik zu verstehen und sich zu verbessern.
Darum habe ich das Engagement angenommen, um AIDA dabei zu unterstützen, das Beste aus sich für die Umwelt zu machen. Wenn schon Kreuzfahrt, dann wenigstens so sauber wie möglich. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, so haben wir bei AIDA beispielsweise das erste mit sauberem Flüssigerdgas (LNG) betriebene Kreuzfahrtsschiff in Dienst gestellt. Mittlerweile berate ich auch den Mutterkonzern COSTA Group.
Andere Kunden sind beispielsweise öffentliche Institutionen wie die Studierendenwerke oder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit denen ich Richtlinien für nachhaltige Beschaffungen erarbeitet habe.
Monika Griefahn:
„Cradle to Cradle ist ein gesamtheitlicher Ansatz,
der unsere Art zu wirtschaften grundlegend verändert.“
Die Handelskammer Hamburg hat mich aufgrund meiner Arbeit für eine grünere Wirtschaft zur Vorsitzenden ihres Umweltausschusses gewählt. Dort gestaltete ich mit Unternehmer*innen kommunale Wirtschaftspolitik. Die Wahlperiode ist im Mai ausgelaufen. Nicht nur aus diesem Ehrenamt weiß ich: Umweltschutz und Wirtschaftspolitik gehen Hand in Hand.
2012 habe ich mit Mitstreiter*innen den Verein Cradle to Cradle e.V. gegründet, der mich auch zu seiner ersten Vorsitzenden wählte. Heute sitze ich dort dem Beirat vor. „Cradle to Cradle“ (C2C, dt. „von der Wiege zur Wiege“) ist eine Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft, ein gesamtheitlicher Ansatz, der unsere Art zu wirtschaften grundlegend verändert. Grundgedanke ist, dass jedes Produkt so beschaffen sein muss, dass es in seinen Einzelteilen stets wiederverwendet werden kann (technischer Kreislauf) oder vollständig ökologisch abbaubar ist (biologischer Kreislauf). So wird Müll von vornherein vermieden.
Ich bin stolz, dass sich mittlerweile mehr als 1.000 Menschen aktiv in etwa 50 Ortsgruppen für den C2C-Gedanken engagieren und immer mehr Organisationen und Unternehmen ihre Produktion von C2C inspirieren lassen. In unserer direkten Nachbarschaft hat beispielsweise die RAG-Stiftung mit dem „Kreislaufhaus“ auf der Zeche Zollverein in Essen ein von C2C inspiriertes Verwaltungsgebäude errichtet. Ich sehe auch in Mülheim viel Potenzial, mit Cradle to Cradle Schritt für Schritt den Müll abzuschaffen.
Monika Griefahn:
„Wir verleihen den ‚Alternativen Nobelpreis‘ an die Menschen auf der Welt, die wirklich etwas bewegen.“
Daneben engagiere ich mich seit über 35 Jahren für die Right Livelihood Foundation. Ich war deren langjährige Vorsitzende und bin noch immer stellvertretende Vorsitzende und Mitglied der Jury. Wir verleihen den „Alternativen Nobelpreis“ an die Menschen auf der Welt, die wirklich etwas bewegen. Menschenrechtler, Umweltschützerinnen, Friedensaktivisten. Große Menschen, die uns zeigen, dass die Lösungen für so viele unserer Probleme eigentlich da sind.
Monika Griefahn:
„Mit Mülheim habe ich immer Familie verbunden.“
Ich bin in meinem bisherigen Leben zwar viel rumgekommen. Im Herzen war ich aber immer ein Mülheimer Mädchen. Nie habe ich den Kontakt in unsere Stadt verloren. Meine Eltern haben bis zu ihrem Lebensende 2016 und 2017 in Mülheim gelebt, entsprechend häufig war ich hier. Ich habe die Entwicklung unserer Stadt beobachtet und regelmäßig miterlebt. Ich hatte hier immer Freunde und Bekannte. Und auch meine Tochter Nora Sophie hat hier ihre große Liebe gefunden: Mein Schwiegersohn ist natürlich Mülheimer, seine Eltern sind für mich gute Freunde. Mit Mülheim habe ich also immer Familie verbunden.
Als mich die SPD Mülheim letztes Jahr fragte, ob ich nicht als Oberbürgermeisterin antreten möchte, fiel mir die Antwort darum nicht schwer. Natürlich, ist doch meine Stadt. Heute wohne ich in Dümpten.