Eines hat die Personalisierung der Europawahl mit Spitzenkandidaten auf jeden Fall gebracht: Die Wahlbeteiligung ist gestiegen von 43,3 auf 47,9 Prozent. Das ist keine überragende Beteiligung, aber es zeigt doch: Mehr Menschen konnten für Europa interessiert werden. Auch die Medien haben sich vor der Wahl ins Zeug gelegt, informiert und eine neue, positivere Öffentlichkeit für europäische Themen hergestellt. Der SPD-Kandidat Martin Schulz hat ein Mammutprogramm absolviert. 200 Wahlkampfauftritte haben sich gelohnt, denn die SPD hat ihr Ergebnis im Vergleich zum vergangenen Mal um 6,5 Prozent verbessert.
Langsam also bekommt Europa die Aufmerksamkeit, die es schon lange haben sollte. Denn: Umwelt- und Verbraucherthemen, Fragen des Binnenmarktes, Forschung, Kultur – all diese Themen entscheidet heute auch das Europäische Parlament in Straßburg. Die CO2-Emissionen bei Neuwagen zu begrenzen, die Handy-Roaming-Gebühren zu senken – Entscheidungen wie diese haben direkten Einfluss auf die Bürger der EU-Länder, und sie werden „in Europa“ gefällt. Soll Europa langfristig Erfolg haben, müssen wir die Demokratie in Europa weiter stärken. Das Parlament benötigt mehr Entscheidungsbefugnisse, die Kommission weniger.
Ein Skandal ist unter diesem Gesichtspunkt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar, die Drei-Prozent-Hürde für den Einzug ins Europäische Parlament mit der Begründung zu kippen, das Parlament sei – sinngemäß – noch nicht wichtig genug. Nun haben viele Splitterparteien einzelne Sitze im Parlament. Was bringt das nun außer einer Fragmentierung des Parlaments?
Wichtig ist jetzt, dass die nationalen Regierungschefs das Votum ernst nehmen. Es wurden Spitzenkandidaten um den Kommissionsvorsitz ins Rennen geschickt, und die Wähler haben entschieden. Merkel und Co. dürfen sich diesem Votum nicht entgegenstellen, wollen sie das Fünkchen Interesse und Vertrauen, das die Wähler dieses Mal gezeigt haben, nicht wieder zerstören.
Nach den ersten Berichten zum überraschend schlechten Abschneiden der rechtspopulistischen Wilders-Partei in den Niederlanden hatte ich Hoffnung, die Prognosen über hohe Wahlergebnisse der EU-feindlichen Parteien würden sich zerstreuen – aber das war leider nicht der Fall. Dass der Front National in Frankreich stärkste Kraft geworden ist, ist eine Katastrophe, genauso wie die rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Parteien in anderen Ländern Erfolge zu verbuchen haben – die UKIP in Großbritannien, zum Beispiel. Es ist insbesondere an den nationalen Regierungen, diese Kräfte aufzufangen und für ein starkes Europa zu werben. Natürlich kann auch das neue europäische Parlament für sich werben, in dem nach wie vor die Europa-Befürworter eine stattliche Mehrheit haben.
Denn vergessen dürfen wir nicht: Seit es den europäischen Vereinigungsprozess gibt, leben wir friedlich zusammen. Fast 70 Jahre ohne Krieg in Europa, 70 Jahre Austausch und 70 Jahre Völkerverständigung – das ist auch das Verdienst dieses Prozesses.
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