Früher war nicht alles besser, aber früher gab es schon viele Dinge, die es heute auch gibt, die nur anders hießen. Stakeholder-Dialoge sind so ein Beispiel. Früher hießen sie „Runder Tisch“. Ich habe hin und wieder die Gelegenheiten, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen und habe sie auch selbst auch schon als Ministerin in Niedersachsen initiiert. Mein Fazit: Man kann vieles richtig, aber auch vieles falsch machen.
Stakeholder-Dialoge sind Foren zum Themenkomplex Nachhaltigkeit mit allen an einer Sache Beteiligten. Die Teilnehmenden können ihre Sicht der Dinge schildern. Dieses „Anspruchsgruppen“ geben einem Unternehmen oder einer Institution die Möglichkeit, sein Produkt oder sein Anliegen einzuordnen, aus anderen Sichtweisen zu bewerten und das Produkt oder das geplante Projekt und das unternehmerische Handeln daraufhin zu verbessern.
WERTSCHÄTZUNG DURCH OFFENE DISKUSSIONEN
Weil Stakeholder – oder früher „Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ – ihr Wissen, ihre Meinung und ihre Zeit investieren, sollten sie eine hohe Wertschätzung von Seiten des veranstaltenden Unternehmens erfahren. Das geht zum Beispiel über eine offene, ehrliche Diskussion. Wenn ein Textilunternehmer zu einem Stakeholder-Dialog seine Produzenten aus Bangladesh oder der Türkei einlädt, ist das erst einmal ein gutes Zeichen.
Zuhören müsste er ihnen dann aber auch. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Eröffnungsvortrag eines CEOs bei einem Stakeholder-Dialog sich nicht nur um Wachstumszahlen drehen darf. Diese werden besser, je weniger er den Produzenten bezahlt, je weniger er sich um die Situation seiner Dienstleister kümmert. Aber wenn die Führungsebene nichts interessiert außer bedingungsloses Wachstum, dann kann ein Stakeholder-Dialog nur eine Alibi-Veranstaltung bleiben.
KONSTRUKTIVITÄT IN KANTINENATMOSPHÄRE?
Insbesondere am Tag des Stakeholder-Dialogs sollten Stakeholder Wertschätzung erfahren. Das hat viel mit dem Ort zu tun, der für die Veranstaltung gewählt wurde, und auch mit der Mühe, die in den Tag gesteckt wurde. Ein Stakeholder-Dialog in Kantinenatmosphäre mit Kantinenessen wird kaum dazu führen, dass die Eingeladenen sich wohl genug fühlen, wirklich ihre Meinung zu sagen. Es wird auch nicht dazu führen, dass die Teilnehmenden aus dem eigenen Unternehmen sich bemüßigt fühlen, länger als irgend nötig vor Ort zu bleiben. Das Ergebnis könnte besser ausfallen, wenn beide Seiten echtes Interesse aneinander entwickelten – und dafür braucht es Kamingesprächs- statt Kantinenatmosphäre.
Oft genug bleibt es aber bei Arbeitsatmosphäre – eine vertane Chance. Mehr noch: Zu einem Stakeholder-Dialog einzuladen und sich dann knauserig zu zeigen bei Bewirtung und Reisekosten ist Ausdruck nicht nur von geringer Wertschätzung der Teilnehmenden, sondern auch Ausdruck des eigenen Widerwillens im Unternehmen, solche Dialoge ernst zu nehmen. Wenn Stakeholder trotzdem darauf hoffen, einen Unterschied machen zu können, haben sie sich wahrscheinlich geirrt.
KLARE SACHEN EINFACH ENTSCHEIDEN
Eine Alibi-Veranstaltung sind Stakeholder-Dialoge auch, wenn sie Dinge diskutieren, die die Führungskräfte eines Unternehmens auch einfach entscheiden können. Wenn – wie letztens in einer Veranstaltung, in der ich dabei war – in einem der Forem über die Abschaffung von Plastiktüten in den Läden diskutiert wird, fühlt man sich im falschen Film. Das sind Selbstverständlichkeiten, das sind Fragen, auf die antwortet der CEO mit Ja oder Nein. Aber er braucht dafür keinen Stakeholder-Dialog.
Schließlich und endlich ist ein Stakeholder-Dialog nur ein Erfolg, wenn mehr dabei herauskommt, als Probleme aufzuzeigen. Er sollte eine Atmosphäre schaffen, in der konstruktiv gearbeitet wird, in der am Ende Lösungswege für echte Verbesserungen im Kerngeschäft aufgezeigt werden. Auch daran, ob das geschieht, kann man ablesen, wie ehrlich es ein Unternehmen mit der Einbindung seiner Stakeholder meint.
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