„Kinderarmut ist auch immer Familienarmut!“ Mit diesem absolut korrekten Satz startete Volker Kersting von der Ruhr-Universität Bochum die Diskussion im Rahmen des Runden Tisches zum Thema „Kampf gegen Kinderarmut“.
Es gibt hier nichts zu beschönigen; Kinderarmut ist ein großes Problem in Mülheim an der Ruhr. Keine andere Stadt in Deutschland hatte in den letzten zehn Jahren einen höheren Zuwachs an Kinderarmut zu vermelden. Es ist daher äußerst dringend, sich mit dem Sachverhalt zu beschäftigen und Lösungen zu finden.
Bei der Diskussion waren sich alle Anwesenden einig: Kinderarmut muss in ihrer gesamten Komplexität und Wirkung wahrgenommen werden. Andreas Spielkamp, Leiter der Kindertagesstätte „Kleine Stifte“, weiß, dass sich prekäre Verhältnisse auf weniger Aktivität und mehr Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen auswirken. Dies wird in deutlichen Defiziten bei der Kompetenzentwicklung spürbar. Hinzu kommen Mängel bei ausgewogener Ernährung und angemessener Kleidung, zu denen auch die Leiterin der Gemeinschaftsgrundschule in Styrum, Simone Dausel, traurige Geschichten erzählen kann.
Wenn beispielsweise für vier Kinder in einer Familie nur ein paar Sportschuhe zur Verfügung steht, fehlt es automatisch sowohl an Bewegung als auch an sozialer Interaktion durch Sport. „Vielen Kindern fehlt inzwischen die Körperspannung, um eine Stunde auf einem Stuhl zu sitzen.“ Es mag soziale Angebote geben, die dem entgegenwirken sollten, aber oftmals bestehen hierfür Barrieren, beispielsweise für Menschen mit Migrationshintergrund, die – wie Vahide Tig, Leiterin des Jugendzentrums in der Stadtmitte berichten kann – teilweise die Angebote nicht kennen oder nicht wissen, wie sie abzurufen sind.
Fest steht, wir verlieren durch den Status Quo auf allen Ebenen. Rein menschlich ist der Zustand bereits eine Katastrophe. „Kinderarmut führt auch zu Dauerarmut“, ergänzt Volker Kersting. Kommunen sollten ein aktives Interesse haben, dem entgegenzuwirken. Dieses Versäumnis wird auf Dauer unbezahlbar teuer. Einfache Lösungen wird es nicht geben, denn es handelt sich um ein strukturelles Problem. Einige Ansätze, wie beispielsweise die Wiedereinführung von Schulbezirken, mögen Verbesserung zur Folge haben. Wirkliche Fortschritte können wir aber nur über eine integrierte Politik erreichen, die das Problem von allen beteiligten Ebenen geschlossen angeht.
Wir haben ein klares sozialdemokratisches Konzept:
1. Wir benötigen ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Kinderarmut und ihre Folgen. Dieses muss Familien in den Mittelpunkt unserer Sozialsysteme stellen und individuell fördern sowie stärken.
2. Wir brauchen mehr Familienzentren und KiTa-Plus-Einrichtungen in sozial benachteiligten Quartieren, kostenlose, gesunde Mahlzeiten in KiTas und Schulen sowie die Förderung von Sportangeboten.
3. Kinderrechte gehören ins Grundgesetz und wir benötigen eine Kindergrundsicherung, die das System aus über 150 Gesetzen bündelt. Sie beendet das ungerechte Nebeneinander von besonders hohen Freibeträgen für Reiche und den undurchdringlichen Flickenteppich an Leistungen für Familien mit wenig Geld: Eine existenzsichernde Geldleistung soll alle bisherigen Familienleistungen zusammenfassen.
4. Hierfür wollen wir die „Mülheimer Familienkarte“ einführen. Sie erlaubt Familien, unkompliziert und frei von Diskriminierung und Stigmatisierung die unterschiedlichen Angebote in der Kommune wahrzunehmen und die finanzielle Unterstützung des Bildungs- und Teilhabepakets vereinfacht abzurufen: Nachhilfe, Bibliothek, Lernmittel, Sportverein, ÖPNV, alles in einer Karte.
5. Wir investieren in KiTa- und OGS-Plätze, um eine frühe und intensive Betreuung und Erziehung zu fördern und auch, um dem Rechtsanspruch ab 2025 gerecht zu werden.
Ich danke meinen Gästen dafür, dass sie sich mit dieser schwierigen Thematik auseinandersetzen sowie für die Moderation und natürlich den Zuschauer*innen für die Aufmerksamkeit. Wenn Sie mich zur Oberbürgermeisterin von Mülheim an der Ruhr wählen, werde ich auf kommunaler Ebene die Weichen stellen und mich zudem als oberste Lobbyistin der Stadt verstehen, um auf allen politischen Ebenen – also Land, Bund und Europa – gegen Kinderarmut vorzugehen.
Die Videoaufzeichnung finden Sie in den kommenden Tagen auf dieser Seite.
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