Wenn Sarah Wiener zur Revolution aufruft, Sven Giegold leidenschaftlich für ein demokratischeres Europa argumentiert und Welzer neuerdings empfiehlt, wählen zu gehen – dann ist a) die Europawahl nicht weit und b) taz lab in Berlin.
Ein randvolles Programm mit politischer, gesellschaftlicher und kultureller Bildung hatte die Zeitung „die tageszeitung“ für Samstag, den 12. April, unter dem Titel „I love EU – Solidarität ist machbar“ auf die Beine gestellt. Es ließ sich über die Rettung des Euro genauso trefflich debattieren wie über die Kunst der Bruchlandung, über die Situation in der Ukraine genauso wie über Gemeinwohlökonomie, die Energiewende, vegane Ernährung oder den Lobbyismus der Zivilgesellschaft. Schwerpunktmäßig beschäftigten sich die Themen indes mit der Gegenwart und Zukunft Europas. Wenn eines hängen geblieben ist, dann, dass die wichtigen Weichen in Brüssel gestellt werden. Die Zeit, in der dort nur die Krümmung der Gurken festgelegt wurde, ist lange vorbei. Das bedeutet auch: Am 25. Mai nicht die Wahl zum Europäischen Parlament verpennen, sondern wählen gehen!
Anstelle der „Wahlkampfarena“ nutzten zum Beispiel Sven Giegold, Mitglied im europäischen Parlament für die Grünen, und die Linken-Bundestagsabgeordnete Sarah Wagenknecht in der Diskussion „Ist der Euro noch zu retten?“ die Bühne für eine engagierte Debatte über die gemeinsame Währung. Wagenknecht gab zum einen dem ungezügelten Geschäftsgebaren der Banken Schuld an den Miseren in Griechenland, Spanien, Zypern oder Irland, sah aber auch eine Mitschuld an der Schröderschen Agenda 2010 in Deutschland. Diese habe Billiglöhnen und Leiharbeit Tür und Tor geöffnet und das Lohnniveau gesenkt. Deutschlands Exportüberschüsse seien so kein Wunder und gingen zu Lasten anderer Länder.
Giegold sah diese Auswirkungen der Agenda 2010 zwar nicht so deutlich, wünschte sich aber gleichwohl ein solidarischeres Deutschland. Die große Koalition habe aber keine Bereitschaft, sich als solidarisches Land in Europa zu positionieren. Dabei sei ein engeres Zusammenwachsen in Europa seiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, Zukunftsfragen zu lösen. Doch noch sei nicht einmal die Demokratie richtig in Europa angekommen – bei allen Entscheidungen der Finanzkrise sei das europäische Parlament gar nicht gefragt worden. Und überhaupt wolle ihm nicht in den Kopf, warum die einmalige Chance der niedrigen Zinsen nicht genutzt werde, um Zukunftsprojekte voranzubringen – also die Firmen für Investitionen in den ökologischen Umbau Europas in die Pflicht zu nehmen.
In dieser Runde sorgte der Finanzexperte Martin Hellweg auf trockene humorvolle Art für die nichtpolitischen Redebeiträge. Wenn die griechische Regierung zum Beispiel heute um 23.59 Uhr beschließen würde, aus dem Euro auszutreten, und es am nächsten Morgen sofort Drachmen zu tauschen gebe, und niemand vorher von dieser Transformation erfahren hätte, dann, so Hellweg, könnte das für Griechenland die Weichen positiv stellen. Was er also meinte, war: Ein Austritt aus dem Euro ist KEINE Option für Griechenland.
Bleibt noch zu klären, wann Sarah Wiener zum Revoluzzer wurde. Die Starköchin und Bio-Verfechterin hatte in einer Diskussion über Reisen in Europa davon berichtet, wie alle Menschen, denen sie in den Ländern begegne, erzählten, sie seien die letzten ihrer Zunft. Die Frau in der 300 Jahre alten Käserei, deren Kinder nicht weitermachen wollten, Fischer, die die Netze für immer einholten und viele mehr – sie alle gäben Tradition und Wissen auf. „Das liegt auch an der agrarindustriellen Landwirtschaft der EU“, folgerte sie. Und weiter: „Ich bin ein sehr apolitischer Mensch, aber wenn ich mich hier so reden höre, dann denke ich, es ist Zeit für eine Revolution!“
Das „taz lab“ in Berlin – es macht jedes Jahr wieder den Kopf frei, erneuert den Spaß an der politischen Debatte und ist ein Stelldichein der Menschen, die es besser machen wollen. Inspiration pur!
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