Ich habe mir viele Gedanken gemacht über den Amokläufer von München. Über die Tat an sich, aber auch über die Berichterstattung in den Medien. Deren Rolle beschäftigt mich in letzter Zeit immer häufiger. Teils konkret bezogen auf diesen Amoklauf, teils auch aus der Erfahrung heraus, die ich selbst beruflich mit ihnen mache, teils einfach als Bürgerin, als Beobachterin.
Nehmen wir die Berichterstattung zum Amoklauf. Dort, wo sogenannte soziale Medien ein Gerücht nach dem anderen streuten und damit Panikwellen auslösten, wurden sie selbst zum Akteur. Die Idealvorstellung einer neutralen Berichterstattung liegt ferner denn je. Mehr noch: Sie beschäftigten die Polizei an Ecken und Enden, wo diese eigentlich gar nicht gebraucht worden wäre. Sie banden Kräfte, die dringend woanders benötigt wurden. Und das Video, das zwei Männer vom Amokläufer auf dem Dach des Einkaufszentrums unter wüsten Beschimpfungen machten, welche Erkenntnisse hat es wirklich gebracht? Das Schwierige an all dem: Die sogenannten sozialen Medien sind kein Sender oder kein Verlag – wen soll man zur Verantwortung ziehen, wenn sie unverantwortlich handeln? Es sind einzelne Bürger, die lernen müssen, dass sie Verantwortung tragen. Das hat etwas mit Medienkompetenz und mithin mit Bildungspolitik zu tun.
Problematisch finde ich auch, was die Existenz dieser Netzwerke mit den konventionellen Medien macht. Das Öffentlich-rechtliche zeigte den ganzen Abend Sondersendungen und hetzte doch nur den Vorlagen aus dem Netz hinterher. Nichts kam dabei heraus, denn die Lage war über Stunden unklar. Da halfen kein Experte im Studio und kein an einer Ausfallstraße positionierter Reporter. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Experten für den nächsten Tag einzuladen, wenn sie dann mehr über Fakten als über Gerüchte hätten sprechen können? Ja, es stimmt, wenn die ganze virtuelle Welt vom Amoklauf redet, können auch Öffentlich-rechtliche nicht stur weiter den Heimatfilm zeigen. Im Fernsehen wären vielleicht Laufbänder mit den aktuellen Informationen ein ausreichender Ausweg gewesen, dem Anspruch an gründlicher Recherche gerecht zu werden und aktuell zu sein – ohne den Gerüchten aus dem Netz hinterherzulaufen.
Schnelligkeit – sicher auch Personalknappheit und die Lust an der Sensation – führen auch dazu, dass immer weniger recherchiert wird. Meinem Verständnis nach sollte doch, wenn ein Akteur eine Behauptung in den Raum stellt gegen einen anderen Akteur, dann dieser andere Akteur zu diesen Behauptungen befragt werden. Das geschieht zumindest in meinem beruflichen Umfeld leider sehr selten.
Der Satz, dass jede gute Recherche eine Geschichte kaputt macht, der ist in Redaktionen ein geflügeltes Wort, seit ich mit Medien zu tun habe. Dass aber nun tatsächlich auf Recherche verzichtet wird, dass Angebote zu klärenden Gesprächen ausgeschlagen werden, um eine Geschichte brisant zu halten, das ist eine neue Qualität. Sind es wieder die sozialen Medien, die diese Entwicklung beschleunigen?
Ich jedenfalls wünsche mir, dass es weiterhin eine deutliche Unterscheidung gibt zwischen einem Journalismus von ausgebildeten, kompetenten Schreibern, Filmemachern und Redakteuren (natürlich auch in Blogs und auf Internetportalen), und allen anderen Nachrichtenschreibern im Netz. Dieses Selbstbewusstsein sollten die Medien haben, besonders, um den Anspruch der vierten Gewalt zu erfüllen.
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