Einer meiner langjährigen Wegbegleiter, Helge Wendenburg, geht in den Ruhestand. Zuletzt war er Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft Ressourcenschutz im Bundesumweltministerium. Dass seine Unterabteilungsleiter ihm zu Ehren Anfang Februar ein Symposium organisiert hatten, war wunderbar. Wunderbar generell, weil dabei viele drängende Fragen der heutigen Zeit auf den Tisch kamen. Wunderbar für mich, weil ich viele Menschen wiedertreffen konnte, die mich in verschiedenen politischen Funktionen begleitet haben.
Keine freien Flüsse mehr
Das Symposium trug den Titel „Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in Deutschland“ und führte noch einmal vor Augen, wo es stockt. Georg Rast vom World Wild Fund for Nature (WWF) zum Beispiel hob Zahlen zu Fließgewässern in Deutschland auf die Tagesordnung. Nur noch ein Drittel aller Flüsse auf der Welt seien frei fließend, sagte er. In Europa gebe es keinen einzigen mehr, denn durchschnittlich hindere alle zwei Kilometer ein Querbau die Durchlässigkeit für Wasserlebewesen. Das können kleine Stauwehre an historischen Mühlen genauso sein wie die großen Wasserkraftwerke oder Brücken. Diese Querbauwerke haben einen erheblichen Einfluss auf die Artenvielfalt und das Leben am Rand des Flusses. „Ein Drittel aller Arten lebt in und an den Flüssen“, sagt der Referent. „So sind diese Regionen unsere Regenwälder.“
Die Fischtreppe am Pumpspeicherwerk Geesthacht, die vor einigen Jahren gebaut wurde, nachdem die Turbinen über Jahrzehnte Fische getötet haben, nannte er ausdrücklich als positives Beispiel dafür, wie der schädliche Einfluss des Kraftwerks auf die Elbe gemindert werden kann. Allerdings sei dieses großflächige Bauwerk unter anderem für den bis zu drei Meter langen Stör gebaut, der heute in Europa ausgestorben sei.
Zielkonflikte im Nachhaltigkeitsverhalten
Der Naturwissenschaftler und Politiker Ernst-Ulrich von Weizsäcker sprach ein unbequemes Thema , nämlich die Zielkonflikte in nachhaltigem Verhalten an. Die Sustainable Developments Goals (SDGs) der Vereinten Nationen würden diese Zielkonflikte „zum Teil übertünchen“. Wie aber sollte Armut abgeschafft werden, ohne den Ressourcenverbrauch zu erhöhen? Mehr Wohlstand gehe noch immer einher mit einem höheren Ressourcenverbrauch.
Allein Ressourceneffizienz als nachhaltiges Verhalten zu verstehen, führe zu immer größeren Reboundeffekten. Sein Beispiel: In den 1990er Jahren hatten nur Polizeiautos Mobiltelefone. Die ersten waren zehn Kilo schwer. Jetzt sind sie zwar nur wenige hundert Gramm schwer, aber es gibt in Deutschland Millionen davon und damit sind seltene Erden und andere Buntmetalle für immer verloren, da das Design nicht für die Wiederverwendung gemacht ist.
Auch mir fallen viele Beispiele ein, die das belegen: Ein Ort in der Lüneburger Heide rüstete seine Straßenbeleuchtung auf sparsame LEDs um, um dann die Beleuchtungsstunden zu verlängern. Hier stehen die Idee der Effizienz und die der Bürgersicherheit als soziale Komponente der Nachhaltigkeit in einem Zielkonflikt. Haushaltsgeräte werden immer energieeffizienter, doch die Menschen kaufen sich immer mehr oder größere elektrische Geräte.
Neue Definition für Wohlstand
Für von Weizsäcker war die Schlussfolgerung klar: Wohlstand muss vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt, muss neu definiert werden. Diese Idee teilen wir: Sharing- oder Dienstleistungskonzepte sind dabei wichtig (nutzen statt besitzen), aber auch die Frage, was gutes Design ist. In jedem Fall braucht es eine umfassende Kreislaufwirtschaft, gekoppelt mit Materialien und Designs, die sich gut im Kreislauf führen lassen.
Ob wir mit diesem Ansatz mit den Märkten Schritt halten können, auf denen sich zu viele Designer und Unternehmen zu wenig mit Kreislaufwirtschaft beschäftigen? Es bleibt ein Ringen. Von Weizsäcker jedenfalls graute vor einer Welt, in der jeder seine Sachen auf einem Zu-Hause-3D-Drucker selbst ausdruckt. Das seien alleine in Deutschland etwa 20 Millionen Haushalte, die Materialien dafür bereithalten müssten. Wie soll das mit Ressourcenschutz, Ressourceneffizienz und den Sustainable Development Goals vereinbar sein?
Mein Highlight des Abends war Helge Wendenburg selbst: Er erwähnte das Cradle to Cradle Konzept in seiner Rede lobend. Das gibt Hoffnung, dass die Politik ihre Möglichkeit, Weichen zu stellen, umsichtig wahrnehmen wird. Dann hoffe ich jetzt nur noch, dass er alle Menschen in seiner Abteilung sowie seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin bis zu seinem letzten Arbeitstag im Ministerium auch noch von dem Ansatz überzeugt hat!
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