Am Mittwoch ist Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden. Seither überschlagen sich die Ereignisse. Unter anderem will die FDP-Fraktion keine 24 Stunden später einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen und Kemmerich sein Amt gleich wieder aufgeben. Das macht den politischen Schaden nicht wieder gut, der entstanden ist. Auch, wenn die Wahl formal nicht zu beanstanden war, war es ein tiefschwarzer Tag für die Demokratie. Denn Kemmerich ließ sich offensichtlich neben den Stimmen der CDU auch mit denen der rechtspopulistischen AfD wählen.
Wer in den Interviews in die Gesichter der AfD-Vertreter geschaut hat, der hat erkannt, dass der vermeintliche Schachzug von FDP und CDU in Thüringen ein Fehler gewesen ist. Ihren Triumph konnten die Rechtspopulisten um Björn Höcke in ihren Mienen nicht verbergen. Sie hätten es eingefädelt, dieses Vorgehen beim dritten Wahlgang, ließen sie anklingen.
WIDERLICHE SCHARADE
Dass sich ein Freier Demokrat von der AfD am Nasenring durch die Manege führen lässt, ist dumm. Erbärmlich, entsetzlich, Tabubruch, Sündenfall, widerliche Scharade – viele dieser Beschreibungen haben wir seit gestern gehört. Es ist nicht auszuschließen, dass die AfD das Szenario noch weiter gedacht hat und darauf spekuliert, dass eine handlungsfähige Regierung mit den demokratischen Parteien so nicht zustande kommt, es Neuwahlen gibt und sie vielleicht stärker daraus hervorgeht. Vielleicht ist genau dieses Szenario aber auch der letzte Strohhalm in Thüringen, für eine stabile demokratische Mehrheit zu sorgen. Die spontanen Proteste auf den Straßen gegen das Geschehen in Erfurt geben Anlass zur Hoffnung.
In jedem Fall ist es ein Versagen auch politisch Handelnder, dass es so weit kam: Kemmerich und FDP-Chef Christian Lindner redeten sich die Geschichte am Wahlabend noch schön: Sie könnten nichts dafür, mit welchen Stimmen das Ergebnis zustande gekommen sei, hieß es sinngemäß. Damit ist Lindner zum zweiten Mal dafür verantwortlich, eine Regierungskrise ausgelöst zu haben. Wie war das noch? Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren? Genau.
DEMOKRATISCHE WAHL, ABER…
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer musste am Abend im heute-journal zugeben, ihren Landeschef Mike Mohring nicht im Griff zu haben. Er verhielt sich anders, als sie es empfohlen hatte. Er ließ sich auf das Manöver ein mit der Ausrede, seine Leute hätten im dritten Wahlgang, als es einen „Kandidaten der Mitte“ gab, diesen gewählt. In den Wahlgängen zuvor ohne Kemmerich, hatte die CDU sich enthalten. Eine Enthaltung wäre auch im dritten Wahlgang richtig gewesen. Wen wundert Politikverdrossenheit nach solchen Aktionen noch?
Vor ziemlich genau 90 Jahren ist ein ähnlicher Sündenfall in Thüringen schon einmal geschehen. Damals gewann die Sozialdemokratie die Landtagswahlen deutlich mit 32,3 Prozent. Dennoch bildenten DVP, DNVP und andere mit der NSDAP eine Regierung. Es war die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP in Deutschland. Wie die Geschichte sich dann entwickelte, ist hinlänglich bekannt. Der Hinweis darauf, dass damals wie heute alles demokratisch zuging, hilft da nicht. Viele Despoten, auch Hitler, sind gewählt worden.
WAS KÖNNEN WIR LERNEN?
Aber bei allem Entsetzen – was lernen wir daraus? Wie können wir ein „nächstes Mal“ verhindern? Offensichtlich gibt es in Thüringen viele Wähler, für die die AfD ein attraktives Angebot ist. Offensichtlich ist das Angebot der Demokraten nicht überzeugend. Es ist nötig, die Gründe dafür zu finden.
Gefragt ist mehr denn je politische Glaubwürdigkeit, Geradlinigkeit, Haltung und Transparenz. Gefragt ist von (uns) Politikern, eine Zukunftsvision zu entwickeln, auf die die Menschen vertrauen können. Das ist besonders wichtig in so großen gesellschaftlichen Umbrüchen wir der Energiewende oder der Digitalisierung. Denn ja: Die Herausforderungen sind riesig. Aber sie bieten viele Chancen. (Wir) Politiker müssen es schaffen, den Menschen Sicherheit zu geben und trotzdem zu zeigen, dass Veränderungen Fortschritt sind. Wir müssen es schaffen einen Gesellschaftsentwurf zu gestalten, der Mut, und nicht Angst macht.
Wir müssen das Gemeinschaftsgefühl von den Kommunen her wieder aufbauen. Dafür braucht es auch eine starke Sozialdemokratie, die alle mitnimmt. Lasst uns zusammenstehen gegen antidemokratische Demagogen. Politische Scharmützel mit fatalen Folgen sind wirklich fehl am Platz.
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