Michael Otto wollte keine große Geburtstagsfeier zu seinem 75., aber er wollte reden: über die Themen, die ihm wichtig sind. Darum lud der Vorstandvorsitzende der Otto Group, Alexander Birken, anlässlich des Geburtstages von Michael Otto zum Symposium „Zukunftswerte“ ein. Es ging um Nachhaltigkeit und Klimaschutz genauso wie um die Krise der Globalisierung, wachsende Ungleichheiten, die Digitalisierung der Wirtschaft und Fragen der Bildung. Rund 400 Gäste hörten Vorträge, diskutierten und tauschten sich aus.
VORREITER BEI NACHHALTIGKEIT UND NATURSCHUTZ
Michael Otto ist heute Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group, übrigens der zweitgrößte Versandhändler weltweit. Er hat das Unternehmen lange Jahre selbst geleitet, den Gedanken der Nachhaltigkeit praktisch und in der Unternehmenskultur verankert und nebenbei viel Engagement in den Naturschutz und in eine konstruktive, kooperative Nachhaltigkeitsdebatte gesteckt. Im Übrigen hat er schon sehr früh auch die Chancen der Digitalisierung erkannt. Seinem Unternehmen hat das nicht geschadet: Es ist ein Beispiel dafür, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sein müssen.
Wie hat er das geschafft? Andere wehren sich gegen Richtlinien und neue Umwelt- und Sozialstandards. Michael Otto hingegen ist Initiator der Stiftung 2 Grad, in der Unternehmer versammelt sind, die den Klimaschutz fördern wollen. Er hat konzernintern ein Lieferantenaudit aufgebaut, als kaum jemand darüber nachdachte. Er initiierte in den 1990er Jahren den Elbe-Dialog von Politik und NGOs, dessen naturschonenden Grundsätze in politisches Handeln umgesetzt wurden. Mit seiner Michael Otto Stiftung fördert er Großprojekte zum Schutz von Fließgewässern. Und all das macht er hanseatisch: ruhig, besonnen und kooperativ.
„BESSER ALS WIR GLAUBEN“
Zukunftswerte, was heißt das in einer sich schnell verändernden Welt?
Einige Schlaglichter der Referenten:
Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger verfolgt seit Jahrzehnten die Frage, ob die Digitalisierung Beschäftigung schafft oder vernichtet. Seine Erkenntnis: „Wir sind besser als wir glauben. Es hat noch nie so viel Beschäftigung gegeben wie derzeit, trotz Digitalisierung. Wohlstand für alle muss die Richtschnur sein und es muss viel in Aus- und Fortbildung investiert werden.“ Aber, so Bofinger, der Markt brauche auch Schranken.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Ernst-Ulrich von Weizsäcker hofft, dass sich in der „neuen Aufklärung“ weniger Rechthaberei und mehr Balance entwickeln wird. Es gebe heute eine globale Wirtschaft in nationalen Rechtsrahmen. Das funktioniere aber nicht mehr. Daher plädierte er für mehr internationale Abkommen und Absprachen wie etwa die der G20. Das deutsche Modell helfe in der Übergangsphase, weil es viele Familienunternehmen gebe, die langfristig dächten – im Gegensatz zu den Aktiengesellschaften, die nur mit Quartalszahlen arbeiteten.
Auch die Frage, ob Demokratie noch die richtige Staatsform sei, wurde diskutiert. Als Schwäche der Demokratie gilt, dass Entscheidungsprozesse lange dauern und oft nur Kompromisse an deren Ende stehen. Von Weizsäcker wollte das nicht als Nachteil sehen. Gute Entscheidungen erforderten häufig auch Zeit, im Gegensatz zu schnellen „Fake News“. Demokratie sei ein sinnvolles Verlangsamungsmoment. Für von Weizsäcker ist China ohne Demokratie ein Alptraum mit Digitalisierung.
BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN
Die Referenten des Symposiums diskutierten auch die Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Lösung sein kann, sollten durch die Digitalisierung massenhaft Arbeitsplätze wegfallen – was noch nicht eindeutig belegt ist.
Interessanterweise fordern auch die „Kapitäne“ der Digitalkonzerne ein solches Grundeinkommen. Der Ökonom Bofinger und der Politiker von Weizsäcker sind noch zögerlich in ihren Antworten: Von Weizsäcker meint, nach Leistung zu bezahlen sei ein positiver Anreiz, man müsse aber politisch dafür sorgen, dass Gerechtigkeit und Leistungsanreize in der Balance blieben. Bofinger brachte Arbeitszeitverkürzungen ins Spiel, um auf die Digitalisierung zu reagieren.
Insgesamt zeigte sich deutlich: Es sind nicht nur die Werte der Zukunft, die wir im Symposium diskutierten, es sind die Fragen der Gegenwart. Politisch müssen jetzt die Weichen gestellt werden, um Verunsicherungen in der Gesellschaft aufzufangen, die durch die Roboterisierung und Digitalisierung entstehen. Es ist neben der Umgestaltung der Wirtschaft hin zu Nachhaltigkeit und umfassender Qualität die wichtigste Aufgabe der deutschen und internationalen Politik, diese Transformation menschengerecht zu gestalten.
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