800 Teilnehmende und 90 Referent*innen – ich freue mich, dass der Cradle to Cradle (C2C) Kongress sich so gut entwickelt hat, seit wir ihn im Jahr 2014 das erste Mal auf die Beine gestellt haben. Dieses Jahr, bei der achten Auflage, war die Qualität von Vorträgen und Diskussionen wie gewohnt hoch. Aber vielleicht noch wichtiger: Der positive Spirit ist zu spüren wie beim ersten Mal.
Dass hier Menschen zusammenkommen, die die Herausforderungen unserer Zeit am Schopfe packen, das ist das, was den Kongress zu etwas Besonderem macht. Eine Inspiration für alle, die vielleicht bei den multiplen Krisen unserer Zeit auch mal den Kopf in den Sand stecken möchten. Das muss nicht sein, denn es gibt Lösungen. Der positive Ansatz von Cradle to Cradle sieht den Menschen als Nützling, und das ist das A und O. So sagte C2C-Vordenker Prof. Dr. Michael Braungart beim Kongress: „Wenn man Menschen als Chance begreift, benehmen sie sich so. Wenn man Menschen als Belastung begreift, benehmen sie sich auch so.“
WISSENSCHAFT UND PRAXIS IN ENGEM AUSTAUSCH
Dieser Grundgedanke von C2C, einen positiven Fußabdruck zu hinterlassen, statt einen weniger großen, also statt auf Reduktion und Verzicht zu setzen, lässt sich auf alle Branchen und die gesamte Gesellschaft übertragen. Darum war der Kongress vielfältig und hochkarätig und zu einer Fülle von Themen besetzt: Anerkannte Wissenschaftler wie etwa der Mobilitätsforscher Prof. Dr. Andreas Knie kamen ins Gespräch mit einer Reihe von Praktikerinnen und Praktikern, die in ihren Unternehmen C2C umsetzen.
Ich selbst habe eine hochinteressante Podiumsdiskussion zu einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft in der Landwirtschaft moderiert. Hochspannend, sodass eine Stunde viel zu kurz war, um allein in diesem Segment alle Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten zu debattieren.
LEBENSMITTELSICHRHEIT DURCH KLUGE RESTEVERWERTUNG
Es ging darum, mehr fruchtbaren Boden aufzubauen oder mit einer klugen Preispolitik die Landwirte zum Anbau wichtiger Kulturen zu ermuntern. Wir sprachen auch über die Rückgewinnung von Phosphor als wichtigen Nährstoff oder wie man aus Produktionsresten weitere wertvolle Produkte herstellen kann. Der Ansatz von ReFood war dabei sehr interessant: Gründer Tim Gräsing hat ein Patent entwickelt, wie aus Treber, also übriger Gerste beim Bierbrauen, ein flüssiges Mehl hergestellt werden kann. „Bis zu 50 Prozent der konventionellen Mehle können durch dieses flüssige Mehl ersetzt werden”, so Gräsing. Die Lebensmittelindustrie habe bereits Interesse gezeigt.
Überhaupt zeigte der Kongress einmal mehr, wie viel Kreativität und Anpacker-Spirit in jungen Menschen steckt. Das bewiesen die inspirierenden Keynotes von Start-ups zum Ende des Kongresses. Dr. Anne Lamp, Co-Gründerin und Geschäftsführerin von „traceless materials“, sowie Martin Kyburz, Gründer und CEO von Kyburz Switzerland, stellten ihre Unternehmen vor.
START-UPS, DIE ZEIGEN, WO ES LANGGEHT
Anne Lamp hat mit „traceless materials“ ein Material aus Resten der Nahrungsmittelproduktion erfunden, das konventionelle Kunststoffe wie PP und PE immer dann ersetzen kann, wenn ein Produkt sehr wahrscheinlich in der Biosphäre landet. Das Material ist komplett biologisch abbaubar, da die Mikroorganismen im Boden die natürlichen Proteine erkennen und zersetzen können. Sie plädierte in ihrer Keynote vor allem für den Mut, Dinge umzusetzen. Auch sie habe gezweifelt und aus vielen Richtungen gehört, dass ihre Gründungsidee zu riskant sei. „Aber gemessen an dem Bedarf an Transformation, den wir haben, habe ich mir gesagt: Das Dümmste, was ich tun kann, ist es nicht zu versuchen“, so Lamp.
Martin Kyburz‘ Unternehmen ist im Mobilitätssektor angesiedelt – eine Branche, die in Sachen Kreislaufwirtschaft noch viel Potenzial hat. Seine Elektrofahrzeuge, die unter anderem von der Schweizer Post eingesetzt werden, seien mit C2C im Hinterkopf entwickelt worden. Selbst für die Kreislauffähigkeit der eingesetzten Batterien fand er eine Lösung. Denn das Problem des herkömmlichen Recyclings ist, dass die Batterien geschreddert werden. Aus der daraus entstehenden Schwarzmasse können nicht alle Rohstoffe zurückgewonnen werden. Kyburz macht das anders: „Wir nehmen die Batterie genauso auseinander, wie sie zusammengebaut ist. Das ist das ganze Geheimnis.“ Dadurch erhalte er rund 91 Prozent der verwendeten Rohstoffe zurück.
Als jemand, der die Entwicklung des Cradle to Cradle Konzepts von der ersten Stunde an begleitet hat, bin ist begeistert über Lösungen wie diese. Ich freue mich über die Überzeugungen junger Leute und ihre Fähigkeiten, ihre Ideen umzusetzen, aber auch zu präsentieren und damit andere zu motovieren, es ihnen gleich zu tun. Ich freue mich, dass etablierte Unternehmen die Zeichen der Zeit erkennen. Ich freue mich, dass Wissenschaft und Praxis so gut Hand in Hand arbeiten können. Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.
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