Man kann nur hin und hergerissen sein. Auf der einen Seite sind, während wir mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Georgien sind, zehntausende Menschen seit über einem Monat auf der Straße und protestieren gegen das Gesetz „über ausländische Agenten“. Es wurde entgegen allen Protests am 28. Mai beschlossen, auch wenn Präsidentin Salome Surabischwili ein Veto eingelegt hatte. Auf der anderen Seite gab es bislang nur den Kampf zwischen zwei Oligarchen, die jeweils um die Macht streiten, und die jeweils gut daran verdienen, mit Russland zu tun zu haben. Ein wichtiger Wirtschaftspartner ist auch China. Das Land hat den Bau neuer Infrastrukturprojekte übernommen – investiert erheblich in Straßen und in einen neuen, unnötigen und Milliarden teuren Flughafen.
UMSTRITTENES „AGENTENGESETZ“
Es ist also schwer, sich in Georgien zu entscheiden, wohin man gehört. Jede Entscheidung ist eine Richtungsentscheidung, jede Entscheidung hat Tragweite. Ermutigend, dass so viele Menschen im Land das umstrittene Gesetz zur Kontrolle von Medien und NGOs nicht unterstützen. Wie in Russland sollen Organisationen, die mindestens 20 Prozent ihrer Gelder aus dem Ausland bekommen, sich registrieren lassen. Das betrifft zum Beispiel auch eine Bildungs-NGO, die Dialogfähigkeit, Fortbildung für den Beruf und ähnliches anbietet. Das wäre eigentlich Aufgabe des Staates. Die Organisation erhält 50 Prozent ihrer Mittel aus der EU. Auch sie würde so als ausländische Organisation deklariert und könnte damit staatlich kontrolliert oder gar verboten werden.
Viele der NGOs weigern sich, sich registrieren zu lassen. Dann kann es Ihnen so gehen wie Memorial in Russland, die ihr Haus, ihr Archiv, ihre Konten – einfach alles verloren haben und verboten worden sind. So eine Organisation gibt es in Georgien seit zehn Jahren: SOVLAB (Labor zur Erforschung der sowjetischen Vergangenheit). Sie arbeitet sowjetische Geschichte auf, hat Archive angelegt. Eine bewundernswerte Arbeit. Und sie sind auch ein Teil der Opposition.
Wobei – es gibt keine geordnete Opposition im Land. Dabei stehen im Oktober Wahlen an. Es bräuchte eine charismatische Person, die einen der Oligarchen herausfordern kann. Der frühere Regierungschef– auch ein Oligarch – sitzt im Gefängnis. Der jetzige ist abgetaucht und hat am 29. April eine bizarre Rede voller Vorwürfe gegen den Westen gehalten, die darauf hindeutet, dass er sich Russland annähert.
Zwar hat Georgien im Dezember 2023 den Kandidatenstatus für die EU bekommen, aber die Regierung tut nicht viel dafür, die Bedingungen der Standards der EU zu erfüllen. Das „Agentengesetz“ ist dafür ein Beispiel. Zwar behaupten 70 Prozent der Menschen im Land, sie orientierten sich nach Europa, aber gleichzeitig gibt es diese russlandfreundliche Regierung, die ja auch mit Mehrheit gewählt worden ist.
Georgien ist klein: dreieinhalb Millionen Einwohner (so viel wie die Stadt Berlin) auf einer Fläche von Bayern und das mit vielen Bergen. Daneben noch die Gebiete Südossetien und Abchasien die zwar formal zu Georgien gehören, aber getrenntes Gebiet sind und von Russland besetzt/kontrolliert werden. Es gibt eine EU-Mission, die die Grenzen monitort und für einen relativ ruhigen Grenzverlauf sorgt. Das geht so weit, dass sie sogar Rinder rettet, die sich auf die falsche Seite der Grenze begeben haben.
WIE KANN DIE WIRTSCHAFTLICHE PERSPEKTIVE FÜR GEORGIEN AUSSEHEN?
Zwei Produkte tun sich hervor: Wein und Kupfer. Es gibt wunderbare edle Tropfen, die zum Beispiel der deutsche Winzer Hilarius Pütz in alter georgischer Tradition in den großen Tongefäßen in der Erde herstellt. Das Besondere ist, dass die Reben vollständig, inklusive ihrer verholzten Stängel, in diese Tongefäße gefüllt und dort ohne irgendwelche Zusätze gegoren und gelagert werden. Die Winzer produzieren hier auf Qualität, der Wein schmeckt wunderbar. Er ist sehr bekömmlich und auch bei fettigem Essen geeignet.
Industriell interessant ist, dass Kupfer 22 Prozent des Exportes aus Georgien ausmacht. Mir ist im Hotel Iota in Tiflis, in dem wir übernachtet haben, aufgefallen, dass sämtliche Armaturen und Blumentöpfe aus Kupfer waren. Kupfer ist ein begehrtes Gut in dieser Zeit. Es wird besonders bei der Elektromobilität, für Windenergieanlagen, Batterien etc. gebraucht.
Wir haben erfahren, dass schon viele Großwinzer auf bio umgestellt haben, weil sie darin eine Entwicklungsperspektive sehen. Und mit dem Rohstoff Kupfer hat das Land auch ein Pfand in der Hand. Doch die politischen Strömungen könnten den Außenhandel mit dem Westen behindern. Die orthodoxe Kirche Georgiens ist einflussreich und staatstreu (oder gar russlandtreu). Sie fährt, wie die russische, einen sehr antiliberalen, ja sogar antieuropäischen (?) Kurs. So gibt es auch den Kampf gegen die LGBT Community, weitere Gesetze gegen sie sind in Arbeit.
LICHTBLICK FÜR TRANSRELIGIÖSE ZUSAMMENARBEIT
Dagegen steht dann ein Modell einer ganz winzigen Kirche, die Christen, Muslime und Juden vereint. Auch das ist ein schlechtes Zeichen: Von den 150.000 Juden, die es noch vor rund 20 Jahren in Georgien gab, sind nur 3000 übriggeblieben. Muslime machen noch etwa 10 Prozent der Bevölkerung aus. In der kleinen Friedensgemeinde finden die liberalen Kräfte der Christen, Juden und Muslime, die sich für Frieden und Kooperation engagieren, zusammen. Ein schönes Beispiel, ein kleiner Lichtblick.
Die Verehrung für Stalin ist in Georgien immer noch immens: Das Museum in Gori ist das meistbesuchte des Landes. Und es gibt zwölf neue Stalinfiguren im ganzen Land, die wieder aufgestellt worden sind. Stalin wird als Kind des Landes verehrt. In Georgien wird im Übrigen auch behauptet, der 2. Weltkrieg hätte erst 1941 begonnen. Im Stalin-Museum stellen wir fest: Konflikte werden nicht beschrieben. Die Häuser um das Geburtshaus von Stalin wurden 1937 abgerissen, um das Museum zu bauen. Nur sein kleines Haus wurde mit einem tempelähnlichen Gebäude überdacht.
Während wir also die Reise nach Hause antreten, bliebt die Frage: Wohin geht die Reise für Georgien? Viele junge Leute engagieren sich für ein Georgien in Europa mit den europäischen Werten. Aber nachdem das Land immer zwischen den Fronten hin und her geschoben wurde und die Menschen, die großes Geld verdienen, es offensichtlich mit Russland tun, sehe ich die Perspektive für einen EU-Eintritt eher verhalten. Aber wer weiß: In Deutschland hat 1989 ein großer gemeinschaftlicher Wille zu einer friedlichen Revolution geführt. Ich hoffe für die engagierten Menschen, die jeden Tag auf dem Friedensplatz die Europa-Hymne singen, dass ihr Wunsch nach einem Leben mit westlichen Werten in Erfüllung gehen möge und sich politisches Engagement auszahlt.
Schreiben Sie einen Kommentar